Älter werden gehört zum Leben dazu, findet die Unternehmerin Sue Giers. Und macht sich so ihre Gedanken über Schönheitsideale und graue Haare.
Jedes Jahr an meinem Geburtstag, mache ich mir bewusst, dass ich älter werde. Ich bin jetzt „50-something“, wie meine Kinder mir liebevoll sagen. Dabei fühle ich mich innerlich eher wie „35-Something“. Das jedenfalls ist meine Wahrnehmung bei guter Tagesform. Und dennoch: Ich habe jetzt Alter.
Das ist nicht negativ gemeint. Mit Stolz kann ich sagen, dass ich eine fitte 52-jährige bin. Anscheinend habe ich in Drachenblut gebadet. Ich habe drei Kinder zu Welt gebracht, mich durch eine Scheidung gekämpft, eine Firma mit meiner Schwester und einem tollen Team aus dem Stand gegründet und zwei Corona- Quarantänen überstanden ohne mich anzustecken. Die Rushhour des Lebens hat sich durch die Trennung nahtlos in meine 50er verlängert, weil ich nochmal alles auf Anfang stellen musste. Ich bin zufrieden und dankbar. Und dennoch habe ich manchmal Muffensausen vorm Älterwerden. Schließlich wuchs ich in einem Kulturkreis auf, in dem vor 30 Jahren die Supermodels zum Schönheitsideal erklärt wurden. Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, von diesen Ikonen unbeeindruckt gewesen zu sein. Und nun erfahre ich, am eigenen Leib, wie es sich anfühlt, wenn sich Mutter Natur schrittweise dieses gepachtete Selbstverständnis von Alterslosigkeit zurückerobert.
Mir hat noch nie Jemand einen Drink ausgegeben oder Kompliment spendiert, wenn ich in eine Bar gekommen bin. Ich war immer eher das Jeansgirl als der Vamp und fühlte mich frei in der Wahl meiner Mode und Beauty-Routine. Doch jetzt spüre ich eine Veränderung in meiner nächsten Umgebung: „Mami, also das kurze Kleid solltest Du nicht mehr tragen“ oder „Mami, ich weiß jetzt woher Deine „Moodswings“ kommen, Du hast Menopause“. Nicht ganz, aber meine Vitalität lässt in Mikrodosierung nach, ich kann es meistens gut vor mir selbst und anderen kaschieren; die Östrogene verabschieden sich zusammen mit dem Collagen so langsam in den Ruhestand. Das gleiche ich aus. Das Gute am Älterwerden ist, dass wir irgendwann wissen, was wir uns selbst Wert sind. Wir brauchen nicht mehr die permanente Bestätigung der anderen, um uns gut zu fühlen. Aber ich würde lügen, wenn meine Selbstliebe nur durch innere Werte geprägt wäre.
Ich gebe sehr gern mein Geld dafür aus, meine grauen Haare zu färben. Wenn ich müde aussehe, obwohl ich mich nicht so fühle, gehe ich zum Beauty Doc – warum den Fortschritt nicht sanft erproben? Ich genieße, dass Laufen um die Alster, wenn ich meine – noch – festen Gluteus Maximus spüre.
Ich laboriere in Maßen gegen den Alterungsprozess an, wohlwissend, dass ich ihn nicht aufhalten kann. Man mag mir deshalb Selbstoptimierung vorwerfen – wo die anfängt und wo die aufhört bestimme ich. Auch das ist für mich Emanzipation.
Als Best Ager bin ich jetzt gefragt.
Wir „alten Weiber“ sind jetzt wieder in den Fokus gerückt, weil sich die Wirtschaft plötzlich für uns interessiert, nicht zuletzt, weil wir zahlungskräftig und in der Mehrzahl sind. Medien und Beauty-Konzerne entdecken gerade „Erwachsenen Frauen“ als wichtige Zielgruppe. So feiert der aktuelle Titel der „Madame“ die 80-jährige Schauspielerin Senta Berger. Allerdings mit einem Foto, auf dem sie 20 ist!
Die sozialen Netze gelten als Katalysator für diesen neuen „Ageless Beauty – Trend“ und so schrieb sogar der „alt“ ehrwürdige Stern über erfolgreiche Influencerinnen Ü-40 wie mich: „Da geht noch was“. Ein erfreulicher Artikel mit einer Überschrift, die jedoch leider den Muff in den Köpfen bestätigt.
Früher wurden Frauen mit dem Ergrauen ihrer Haare für unsichtbar erklärt. Heute haben solche äußerlichen Attribute des Alterns eine neue Bedeutung: Graue Haare als modisches Statement sind Trend und der Anteil der über 50-jährigen, die sich nach eigenen Angaben bewusst unauffällig kleiden ist in den letzten 10 Jahre von 63 auf 49 Prozent gesunken. Social Media sei Dank. Aber eigentlich sind das zahlenmäßig kleine Schritte.
Aus meinem Netzwerk erreichen mich auch immer wieder kummervolle Nachrichten von verdeckter „Altersdiskriminierung“: in vielen Branchen wird offenbar gnadenlos altersbedingt ausgemustert. Auch da wirkt Corona als vorgeschobene Entschuldigung, einige Frauen Ü50 in den Vorruhestand auszumustern oder Aufhebungsverträge anzubieten: Zu teuer, zu unbequem. So jedenfalls, wird es mir berichtet.
In der Mode haben aus meiner Sicht Stil und Coolness glücklicherweise weder Verfallsdatum noch eine Altersbegrenzung. So lange ich neugierig bleibe, fühle ich mich jung, so einfach ist das! Nachlassende Aufnahmebereitschaft von zu vielen neuen Informationen kompensiere ich mit Lebenserfahrung. Schnelligkeit tausche ich gegen Präzision ein, meine Ungeduld gegen Gelassenheit. Es ist erwiesen: Je positiver wir dem Älterwerden gegenüber eingestellt sind, umso jünger fühlen wir uns. Das ist doch eine zeitlose Perspektive.
"Ich habe Alter"
Wowww, welch toller Text, ich liebe deine Ehrlichkeit und Authentizität! Super gut geschrieben. C'est la vie, für den, der sich immer noch jung fühlt Ü50 und jung bleiben will. Ich fühle mich meist auch nicht Ü50, doch manchmal klopft im Kopf wer an und macht mich stutzig, wenn es körperlich mal kurz hakt ;-) aber dann aufstehen und voller Schwung weiter gehen... Danke Sue für diesen Text. Ich liebs ♡