Ganz bei mir Zuhause

 

 

Bitte Abstand halten: Unsere Autorin Karina Lübke lebt und liebt glücklich in getrennten Wohnungen.

(Der Text erschien bei Brigitte Woman)

Von Karina Lübke

Mittlerweile sind mein Freund und ich seit drei Jahren zusammen, wohnen aber getrennt. Vielleicht sind wir ja gerade deswegen noch ein Paar. Wir teilen Tisch und Bett - mal bei ihm, mal bei mir. Zwischen unseren Adressen liegen zwanzig Minuten Fußweg und jede Menge Herzklopfen. Es zieht uns immer wieder sehr zueinander, zusammenziehen müssen wir deswegen nicht. Ja, er gehört zu mir wie mein Name an der Tür, wie es in dem Marianne-Rosenberg-Schlager einst hieß -  aber es steht eben nicht SEIN Name an meiner Tür. In Zeiten von explodierenden Mieten, Energiekosten und Wohnraumknappheit ist das ein Luxus, das ist uns völlig bewusst. Wir sind es uns wert.

Natürlich sind ein gemeinsamer Haushalt, Kühlschrank, WLAN und geteilte Kosten für Heizung und Wasser praktischer und preiswerter. Aber wir fürchten beide, die emotionalen Kosten, die durch Zusammenziehen entstehen, könnten uns noch teurer zu stehen kommen und letztlich unser Liebesleben ruinieren - zumindest die sexuelle An-, beziehungsweise Ausziehungskraft. Das hat in einem Interview gerade auch Gwyneth Paltrow bestätigt, die seit ihrer Ehe mit Chris Martin überzeugte Gute-Botschafterin der „LAT“ (Living Together Apart) Philosophie war: Vier Jahre lang war sie mit Serienproduzent Brad Falchuck liiert, 2018 haben die beiden geheiratet, doch erst vor Kurzem sind sie auch zusammengezogen. Nun jammert Gwynnie öffentlich: „Ich habe kein Sexleben mehr!“. Das Problem habe es vorher nicht gegeben.

Diese negative Paardynamik bleibt nicht nur Prominenten vorbehalten, wie die Wiener Paartherapeutin Katja Beran weiß: „Definitiv geht es mit der Entzauberung schneller, wenn man sich räumlich auf der Pelle hockt, also zusammen wohnt. Erotik entsteht durch eine gewisse Distanz und Unsicherheit - wie ernüchternd, wenn man den Partner 24/7 hautnah miterlebt! Und zwar alles von ihm - vom Schnarchen, über seine Stuhlgang-Gewohnheiten, bis hin zu seiner Unordnung und dem Ritual, sonntags stundenlang mit Mama zu telefonieren.“ Außerdem würden Frauen schnell mehr oder weniger freiwillig schnell die Fürsorge übernehmen und hausarbeiten sich ab, damit alle es gemütlich haben. Beran: „Die Rundum-Versorgung des Partners, das weiß man als Frau aus leidvoller Erfahrung, ist ein Sex-Killer. Warum also sich für die paar schönen Stunden den ganzen übrigen Mist einhandeln?“

Auf der anderen Seite steht natürlicherweise der Bindungswunsch, doch Zusammenziehen wollen vor allem junge und jungverliebte Menschen in der heißen Phase von Heiratswut, Kinderwunsch und Hausbau. Und das ist auch eine Weile herrlich: So viel Wir-Gefühl, Optimismus, und so wenig Vorstellung von den alltäglichen Problemen, die sich daraus ergeben, jahrzehntelang in permanenter Ruf- und Griffbereitschaft des anderen zu liegen! Spätestens nach drei Jahren möchte man morgens als Erstes einen starken Kaffee und keinen harten Penis, der sich auffordernd an einen drückt, weil man praktischerweise sowieso im gleichen Bett ist. Ich kenne genug langverheiratete Freundinnen, die von einem eigenen Schlafzimmer träumen, was von ihren jahrzehntelangen Beischläfern aus Verlustangst vehement abgelehnt wird - obwohl in der Wohnung Platz genug wäre. Beim Zusammenleben schwinden automatisch Rückzugmöglichkeiten und Spielräume.

Meinem Freund bin ich zum Beziehungsglück in einem Alter begegnet, in dem jeder von uns seine Geschichte, Macken und Angewohnheiten hat und ich zudem zwanzig Jahre Ehe, Kinder und Familienleben hinter mir. Nun genieße ich die Freiheit, in meiner eigenen Wohnung tun und vor allem lassen zu können, was immer ich will, ohne auf Ansprüche anderer reagieren zu müssen. Im Zusammenleben spüre ich als Seismogräfin in meinem Körper sämtliche Stimmungen und (An)Spannungen um mich herum, leide darunter und versuche automatisch, diese aufzulösen und auszugleichen; denn so wurde es mir - wie vielen Mädchen - als Verpflichtung anerzogen. Wie beim Yoga und der Meditation brauche ich stillen Schutzraum um mich herum, um mir zu erlauben, ganz nach innen zu gehen, ungestört meinen Gedanken nachzuhängen und einfach bei mir zuhause zu sein. Die Luft bei mir ist immer rein. Nein, ich will mich nicht mehr in Kompromissen einrichten! Ich bin auch nicht mehr so jung und idealistisch zu glauben, dass die Liebe alleine schon alles (ein)richten wird. Daran ist es sogar beim unkonventionellen „Girls“- Wunder Lena Dunham gescheitert, deren Beziehung mit Jack Antonoff nach sechs glücklichen Jahren durch´s Zusammenziehen endete. Dunham wollte in „heruntergerockten Glam“ hausen, er dagegen „fürchtet sich vor Staub“. Nachts lag sie wach und stellte sich ihr Traum-Zuhause vor. Jedes Mal, wenn sie auf seine Bitte eine „pinke Wand mit taubengrau überstreichen musste“, wurde Dunham „kotzübel“. Ihr bitteres Resümee: „Liebe hält nicht alles aus“.

Muss sie ja auch nicht! Man muss sich nur von der allgemein immer noch vorherrschenden Meinung lösen, falls man als Paar nicht zusammenziehen wollte, wäre das nichts „Richtiges“. Die meisten Leute idealisieren „wahre Liebe“ als etwas Symbiotisches, einen Einschmelztiegel zweier Persönlichkeiten, die nun ein auf ewig in den Feuern des Schicksalsberg geschmiedetes „Wir“ ergeben. Horror! „In Wahrheit ist die Möglichkeit, sich ganz bewusst auf die eigenen Bedürfnisse zu konzentrieren, einen eigenen Raum zu bewahren und einzunehmen, und - wichtig! - gleichzeitig ehrlich in Kontakt und Kommunikation mit dem Partner zu bleiben, das Ticket zu einer stabilen Beziehung, die wahrhaft ist, weil sie nicht in der Seifenblase der Symbiose schwebt“, bestätigt auch Katja Beran. Sie betrachtet das Modell als etwas für alters-, wie beziehungstechnisch Fortgeschrittene, denn man sollte dafür innerlich gefestigt und selbstbewusst sein: „ LAT ist schön - macht aber auch viel Arbeit“. Die hohe Beziehungskunst eben. Nein, das kann nicht weg.

Statistisch lebt in Deutschland mittlerweile jedes sechste Paar aus Überzeugung in getrennten Wohnungen, wie eine Studie der Deutschen Forschungsgesellschaft ergeben hat. Auch bei uns ist keine Änderung in Sicht. Mein Liebster und ich haben für Notfälle jeweils Schlüssel für die Wohnung des anderen. Bis wir uns diese Zutritts- und Zugriffsmöglichkeit gewährten, vergingen über zwei Jahre. Dafür wissen wir aber jetzt, dass der andere sich nicht in Abwesenheit heimlich hineinschleichen wird, um irgendwelche Schubladen oder Computer zu durchsuchen. Und das keiner seine Bude nur behalten will, um den anderen ungestört zu betrügen. Wir respektieren und vertrauen einander, auch auf Abstand. Wenn einer die reale Anwesenheit des anderen wirklich braucht, macht der sich sofort auf den Weg. Und während das sexuelle Spannungsfeld flirrt wie eh und je, entschärft das Teilzeit-Zusammenleben viele andere Spannungsfelder.  Die nervigen nämlich, wer seine Sachen wieder wo liegen gelassen hat, wer falsches Zeug eingekauft oder es total vergessen hat, wer „immer“ das Licht an-, die Zahnpastatube offen, die Butter draussen und den Staubsauger stehen gelassen hat. Und das sind ja nur Kleinigkeiten. Vor allem wenn Kinder dazu kommen, wird der gemeinsame Lebensweg schnell zur Zeitreise in die Sechziger. Diese Hausfrauenrolle rückwärts will man schon einmal nicht und dann garantiert nicht wieder.

„So sehr Praktisches dabei im Vordergrund stehen mag: Letztlich ist es ein Stück weit immer auch eine Schutzstrategie, wenn ein Paar sich für räumlichen Abstand entscheidet“, sagt auch der der Hamburger Paarberater Eric Hegmann. Gerade in der Generation 50 Plus würde von Frauen, die in seine Beratung kämen, auffällig oft der Wunsch geäußert, weiter für sich sein zu wollen, während Männer sich eher ein gemeinsames Heim vorstellen können. Im Gespräch würde dann schnell deutlich, wieso: „Was man in der Vergangenheit als nachteilig erlebt hat, soll vermieden werden“, so Hegmann. Sie will dann zum Beispiel nicht mehr ihren Mitbewohner umsorgen. Der Mann wiederum mag nicht weiter komplett auf sich gestellt sein. Er schätzt den Servicecharakter in einem gemeinsamen Haushalt.

Schauspielerin Whoopie Goldberg, 65, hat mittlerweile drei Ehen hinter sich. Gerade sagte sie in einem Interview mit dem NY Times Magazine: „Ich bin alleine viel glücklicher. Ich bin frei, mit jemandem soviel Zeit zu verbringen wie ich mag, ohne mit ihm für immer zu leben oder zusammenleben zu müssen. Ich möchte niemanden in meinem Haus haben“. Das nenne ich Lebensweise.


 

Karina Lübke studierte erst an der Folkwangschule Design und absolvierte dann bei Wolf Schneider die Hamburger Journalistenschule. Anschließend wurde sie Redakteurin und Kolumnistin („Das wahre Leben“) bei dem legendären Zeitgeistmagazin TEMPO und schreibt seitdem freiberuflich u.a. für das SZ-Magazin, die ZEIT, DIE WOCHE, emotion, SALON, Myself, MOM und BRIGITTE WOMAN. In Letzterer ist dieser Text zuerst erschienen. Zwischendurch heiratete Karina Lübke, zog eine Tochter und einen Sohn groß und ließ sich scheiden. Sie lebt in Hamburg und findet, dass sie oft bessere Geschichten schreibt als das Leben.

 

Ihr neues Buch „Bitte recht feindlich“ ist jetzt im Buchhandel erhältlich. Es geht um Kerle und Kinder und kindische Kerle, um Politik, Gesellschaft, Geld und gute Worte. Und um Liebe – trotz allem. Dieses Buch fasst ihre besten Kolumnen aus der Zeitschrift BARBARA zusammen und enthält neue, bisher unveröffentlichte Texte.

 


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