Kultur-Tipps in Zeiten von Corona

Sie steht still, die Kultur. Stopp. Alles auf null. Pause. Große Kunst-Pause: die art basel Hongkong abgesagt, die Art Cologne, die erste aller Kunstmessen in dieser Welt, das Berliner Gallery Weekend verschoben in den Herbst – hoffentlich?! Museen, Galerien, Theater, Konzertsäle, Kinos geschlossen – von jetzt auf gleich. Ende – erst einmal. Social distancing in Zeiten von CoViD-19 zwingt uns alle zu Hause zu bleiben, im Home Office zu arbeiten. Alles auf null? Wirklich? Nein, auch Museen, Galerien und Theater gehen online. Bleiben so Grundnahrungsmittel für Seele und Gehirn.

Mental gefordert zu werden und dank einem Kunstwerk auch mal an Denk-Grenzen zu stoßen, tut gut. „Denken ist interessanter als Wissen, aber nicht als Anschauen“, sagte schon Johann Wolfgang von Goethe. Los geht’s: Es macht Freude bei der Kunst vorbeizuschauen – eben doch woandershin zu gehen, wenigstens virtuell. Hier meine Anregungen für digitale Kunsterlebnisse in Stay-at-home-Zeiten:

Art goes online

1. Me collectors room in Berlin

Das kleine, feine Museum in der Auguststraße in Berlin Mitte gibt es seit zehn Jahren. Sammler Thomas Olbricht hat es gegründet und zeigt seither verblüffend gute Ausstellungen jenseits seiner Sammlung. Zum Geburtstag gibt es jedoch wieder Kunst aus den eigenen Beständen. Thomas Olbricht will Menschen inspirieren, bewegen und für Kunst begeistern. Die Ausstellung moving energies tut genau das und sie versammelt zeitgenössische Kunst von Katharina Grosse über Alicja Kwade zu Gerhard Richter. Dessen Editionen hat Olbricht im Übrigen komplett gesammelt.

Zudem kann der Besucher in moving energies der Sammler-Leidenschaft von Thomas Olbricht nachspüren: wie eine kleine Wunderkammer sind sein Büro und Wohnzimmer im Museum nachgebildet. Die Kunst arrangiert sich eklektisch mit banalen Sammelobjekten wie Mini-Feuerwehrautos oder Schweinchen und chicen Möbelstücken. Olbricht öffnet ein Stück weit seine Seele, hat einfach Freude an den simplen Dingen. Was für ein Glück, die Ausstellung wurde Ende Februar eröffnet, ich konnte sie noch erleben. Um so mehr freue ich mich, wie gut jetzt der online-Besuch gemacht ist –  wundervoll sich im me collectors room zu verlieren.  

2. Kunsthalle in Mannheim

Die tolle Sammlung und sehenswerte Wechsel-Ausstellungen sind definitiv ein Grund dieses Museum auch online im Blick zu haben. Das Museum war zudem unter den ersten in Deutschland, das in der Corona-Krise mit einer viralen Kampagne auf Sichtbarkeit setzte. Abgesehen davon, ist auch der Gebäudekomplex fantastisch: Der Jugendstilbau von 1907 ist seit zwei Jahren mit einem kantigen, sehenswerten Neubau verbunden. Hier versammeln sich Kunstklassiker von Claude Monet über Caspar David Friedrich bis zu poetischen Installationen von William Kentridge und spiritueller Lichtkunst von James Turrell.

Jetzt ist das Gebäude menschenleer und die Sichtachsen nach draußen zeigen die verwaiste Stadt. Die Kunst ist allein. Direktor Johan Holten teilte via Instagram sehr spontan seine Gedanken zu einem Bild von George Grosz. Der große Künstler hat den satirischen Schriftsteller Max Hermann Neiße als schwächliche Person auf einem Blümchensessel sitzend gemalt. Ein beeindruckendes Bild, an dem ich noch im November vorbeigelaufen bin. Wiedersehen macht Freude. Genauso wie Neuentdeckungen, denn inzwischen folgen dem Direktor Holten auch Kuratoren, Restauratoren oder Praktikanten der Kunsthalle. Sie reden über die Kunst im Museum ohne Menschen, zeigen Gesicht – erklären Kunstwerke und sind Vorbild für andere Institutionen. Bitte mehr davon. Ein paar Minuten Kunst in der Kunsthalle Mannheim sind eine willkommene Ablenkung im Ausnahmezustand.

3. Atelierbesuche mit Marine Tanguy auf Instagram

Sie ist eine engagierte Frau und es macht Spaß ihrem Mix auf Instagram zu folgen: Marine Tanguy. Die Französin lebt in London und hat vor fünf Jahren MTArt Agency gegründet. Mit ihrer Idee, gezielt Künstler zu fördern, die die Welt inspirieren, hat sie es auf die Top 30 unter 30 Liste von Forbes geschafft. Sie organisierte mit dem britischen Fotograf Rankin die Kampagne Visual Diet. Dabei geht es um den Einfluss der täglichen Bilderflut auf unsere Psyche.

Aber zurück ins Hier und Jetzt. Als CoViD-19 mehr und mehr zum Thema wurde überlegte sie, wie sie sofort etwas für die Sichtbarkeit ihrer Künstler tun kann. „Die Idee ist, einen Ort zu öffnen, der eigentlich sehr geschlossen ist, und normalerweise nur selten gezeigt wird, nämlich das Atelier des Künstlers,“ sagt sie mir. „Das ist der Inspirationsort für Künstler, der in dieser schwierigen Situation anderen Menschen zeigt, wie es weitergeht.“ Studios Dial-ins nennt Marine Tanguy diese kleinen auf via Instagram-TV hochgeladenen Gespräche. Sie erzählen die Realität für Künstlerinnen wie Elisa Insua, die in Buenos Aires lebt oder Delphine Diallo aus New York. Lebensnah und motivierend. Jedes Mal aufs Neue.

4. Online viewing room der Galerie Florian Schönfelder

Die Fasanenstraße ist der Kunst Hotspot im Berliner Westen. Das ehrwürdige Auktionshaus Grisebach hat hier sein Stammhaus; Galerien wie Kornfeld, Mehdi Chouakri, Buchholz und Crone sind in der direkten Nachbarschaft. Im ersten Stock einer Villa hat Florian Schönfelder vor einem halben Jahr seine Galerie eröffnet. Eigentlich war am 20. März eine Ausstellungseröffnung mit der französischen Künstlerin Alizée Gazeau geplant. Ihre Leinwände, Installationen und Keramiken sind poetische Erkundungen unserer Erde. Doch dann kam die Corona-Krise. Die Ausstellung in Berlin ist verschoben und die Kunstwerke bleiben vorerst in Paris.

Der neu eröffnete online viewing room ist die Antwort des smarten Galeristen auf das Virus. „Ich musste schnell reagieren. In Zukunft wird der online room parallel zum traditionellen Galerieraum bestehen. Die Fotografien von Yorgos konnte ich selber kuratieren und, ganz wichtig, sie sind verfügbar gewesen.“ Der griechische Künstler Yorgos Yatromanolakis, der mit lang belichteten Fotografien vielschichtige Geschichten erzählt, ist der erste Künstler mit dem er online geht. „Den Gedanken einer Transformation über Zeit heute und das Zitat finding light in darkness fand ich gerade jetzt sehr treffend“, sagt Florian Schönfelder. Es lohnt online zu schauen und vielleicht ein neues, schönes Kunstwerk, mit dem man in eine andere Welt eintaucht, für die eigene kleine Sammlung zu kaufen. 


Theater im Netz

5. Schaubühne Berlin

Theater ist neben Kunst eine meiner Leidenschaften. Kein Kino, kein Film, keine noch so spannende Netflix-Serie kann mir dieses unmittelbare Erlebnis ersetzen. Einen kleinen Trost bietet derzeit die Schaubühne Berlin. Die Institution hat bis zum 17. April einen online Theaterplan erarbeitet. Unter dem Titel Ersatzspielplan wird das Videoarchiv mit Fernsehaufzeichnungen geöffnet. Da heißt es Theatergeschichte pur erleben von legendären Peter Stein Inszenierungen bis zu Hamlet oder Richard III. mit Schaubühnen-Star Lars Eidinger. Diese Vorstellungen sind eigentlich immer ausverkauft. Jetzt gibt es sie ganz bequem auf dem heimischen Sofa, einfach so. Herrlich. Jeden Tag um 18.30 Uhr beginnt die (längst aufgezeichnete) Aufführung und die bleibt dann bis 24 Uhr online stehen. Was für eine tolle Idee.

Foto: Schaubühne


Beruhigende Bücher in unruhigen Zeiten

6. Coexist von Franziska Stünkel

Ein Buch zum Träumen - von Reisen in ferne Welten. Bis auf weiteres liegen diese Träume zwischen zwei Buchdeckeln. Das Buch Coexist von Franziska Stünkel (Kehrer-Verlag) hat etwas Magisches. Die Künstlerin fotografiert seit zehn Jahren poetische, geheimnisvolle Spiegelungen in Istanbul, New York, Miami, Shanghai oder Berlin. Auf einer Glasscheibe sucht sie diesen einen Moment, in dem sich der Augenblick des davor und dahinter so verdichtet, dass sie ihn mit der Kamera festhält. Die Fotografien werden hinterher nicht bearbeitet, bilden die Gleichzeitigkeit eins zu eins im Original ab.

Ihre Ausstellungen in Berlin und Hamburg sind noch vor dem Shutdown zu Ende gegangen, das Buch zur Kunst ist soeben erschienen. Franziska Stünkel selber arbeitet derzeit an der Nachbereitung ihres Kinofilms „Nahschuss“ mit Lars Eidinger, der noch 2020 in die Kinos kommen soll. Bis dahin blättere ich sehr gerne in Coexist und lese in einigen cleveren Essays, die in der Buchmitte zu finden sind. Darin schreiben Wissenschaftler, Juristinnen, aber auch Musiker wie Bela B. oder Schriftsteller wie Bernhard Schlink über Themen wie künstliche Intelligenz, Angst, Glück, Heimat oder Koexistenzen.

Bilder aus dem Buch Coexist von Franziska Stünkel

7. Thomas Girst: Alle Zeit der Welt

Was für ein Titel und dieses Buch ist kein CoViD-19-Produkt! Es liegt schon seit einigen Monaten in meinem Bücherstapel, wandert von unten nach ganz oben und ich lese immer wieder rein. Thomas Girst schickt mich mit Alle Zeit der Welt (Hanser-Verlag) in die Unendlichkeit, philosophiert über Nachhaltigkeit und bleibende Werte. Kleine in sich abgeschlossene Geschichten, die lesens- und nachdenkenswert sind.

Da ist der Briefträger Cheval der 33 Jahre lang Muscheln und Steine sammelte, um sein idealen Palast zu bauen. In einer anderen Geschichte geht es nach Halberstadt, dem Tor zum Harz. Dort begegnen mir „Zeitfenster absoluter Ruhe“, wie Girst selber schreibt, aber auch der Komponist John Cage und der Komiker Karl Valentin taucht auf. Letzterer mit dem Satz „Die Zukunft war früher auch besser!“ Ein herrliches Büchlein, das gerne mal abschweift, Aufmerksamkeit braucht und so mit dem Faktor Zeit grandios zu lesen ist. Auch wenn wir momentan scheinbar zu viel Zeit haben – Alle Zeit der Welt ist gerade jetzt auf den Punkt.

Immer wieder oben auf meinem Bücherstapel: Alle Zeit der Welt


 Meine Wünsche

...für die nächsten Wochen: Distanz halten, in Verbindung bleiben – den Kopf und gute Laune behalten, das tägliche CoViD19-Update nicht vergessen und sich zeitweise in kleine Auszeiten streamen. Vor allem: Bleibt gesund.

Wem diese Tipps hier nicht reichen, der kann auf Instagram #museumforhome oder #globalartexhibition folgen. Noch mehr Kunst online bietet google arts&culture. Hier finden sich rund 1200 Institutionen aus aller Welt  vom Van Gogh Museum in Amsterdam über die Uffizien in Florenz nach New York und Guggenheim oder Seoul ins National Museum of Modern and Contemporary Art. Hat was von Museums- und Galerienhopping wie vor der Pandemie. 


Über den Autor:

Juliane Rohr ist Journalistin, lebt und arbeitet in Berlin. Sie schreibt mit Leidenschaft über Kunst und Menschen in der Kunst u.a. für n-tv. Im Blog kochen, kunst und ketchup bespricht sie monatlich Ausstellungen und unter jr.artynotes gibt es ihre Kunst-Tipps auf Instagram.

Juliane Rohr


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