Patchwork ist ein Arschloch

Alle Jahre wieder…ist mein Lieblingsweihnachtslied - für Steffi ist es „Maria durch einen Dornenwald ging“: Singen - und wenn es nur zu Weihnachten in der Kirche ist, macht glücklich - das liegt an den Neurotransmittern und der Atmung. Außerdem soll es Stress und psychischen Stress abbauen - auch davon könnten wir Weihnachten ein Lied von singen!l  Ob Patchwork oder Großfamilie - Weihnachten ist für viele immer eine große Herausforderung -  wollen wir es an Weihnachten doch besonders schön und gemütlich haben. Nicht selten setzen wir uns damit heillos unter Druck. Da müssen noch ganze Küchen aus- und umgeräumt werden, die Geschenke für die Lieben sollen durchdacht und liebevoll verpackt sein, handgeschriebene Grußkarten und Pakete für die Liebsten in der Ferne auf den Weg gebracht, die Menüs geplant und der Kühlschrank voll sein. Alle Jahre wieder, nehme ich mir vor es dieses Jahr anders zu machen, mich nicht von der allgemeinen Weihnachtshysterie anstecken zu lassen. Gerade in diesem Jahr, wo ein Teil der Familie nicht kommen kann, sollte es doch eigentlich ruhiger und überschaubar sein, dachte ich mir. Und dennoch bin ich gestresst und gefühlt schon seit Anfang Oktober in der Jahresendzeit-Überforderung. Das liegt nur zum Teil an meiner Patchwork-Situation, die ja das ganze Jahr Saison hat - nein, in diesem Jahr ist nochmal alles anders. Wir leben in Zeiten von Corona und neuerdings wieder im Lockdown. Mein Nervenkostüm ist abgenutzt und Eruptionen in der Familie begegne ich entsprechend dünnhäutig und tränenreich. Und immer, wenn ich glaube, dass  „Kummer obenauf schwimmt“ ( John Irving „Hotel New Hampshire“) lese ich diese Weihnachtsgeschichte von meiner Freundin und Gastautorin Steffi Wilke. Das ist mein Dinner vor One. "Same procedure as every year James.“ „I’ll do my very best“ und beenden den Abend mit „Oh Du fröhliche...“


Patchwork ist ein Arschloch

Englische Tapeten von Farrow & Ball, sündhaft teuer – was hatte ich mir nur wieder dabei gedacht? Kleine, fein gezeichnete Papageien tummelten sich auf zarten Zweigen, der Grundton ein vornehmer Cappuccino-Ton. Vielleicht sind es auch Unzertrennliche, jedenfalls wollte ich noch vor Weihnachten meine Küche streichen und eine Wand tapezieren. Wir hatten Oktober. Das Friesenblau der Wand und die Raufaser stammten aus meiner Zeit mit meinem Mann, als wir noch eine Familie waren. Die Patina war längst nicht mehr „shabby-chic“, vielmehr sah es aus wie in einer schlecht gepflegten Frittenbude. Das Projekt begann mit meinem Spontanimpuls, nur ein winziges Stück der Raufaser abzutragen – kritzekratze – und die Renovierungs-Episode nahm ihren laienhaften Lauf. Wenn sich nach dem zweiten Advent nicht mein Nachbar, studierter Physiker und Universalgenie, meiner erbarmt hätte, wären die Papageien noch immer eingerollt.

Am 24. Dezember fand ich mich also auf den Knien wieder, mit einem Feudel in der Hand, die von Baustaub überzogenen Dielen meiner Küche wischend, mit übertrieben viel Grüner Seife, der Geruch beruhigt mich; ich wische grundsätzlich mit Grüner Seife. Ich habe meine Prinzipien, auch wenn ich als Hausfrau einen eher unorganisierten Eindruck mache. Kniend überlegte ich, ob sich ein Heulanfall lohnen würde. In zwei Stunden wollten wir zu siebt zum Krippenspiel aufbrechen. Das Singspiel lieferte seit zwölf Jahren zuverlässig meine Weihnachts-Hits von „Maria durch den Dornwald ging“, „Ihr Kinderlein kommet“ bis „Mach hoch die Tür die Tor macht weit“. Ich war textsicher bei den ersten zwei Strophen der meisten Lieder, den Rest brummelte ich mit und war nach der zweiten Strophe ohnehin zu gerührt, um die Notenblätter durch meinen Tränenschleier zu entziffern. Marias Dornenwald beherrschte ich perfekt, meine zweite Tochter forderte es fünf Jahre lang ganzjährig als Gute-Nacht-Lied.

Unsere heilige, seit nunmehr 5 Jahren getrennte Familie, hatte an diesem Weihnachtsfest Zuwachs. Ebenso risikofreudig wie bei der Renovierung hatte ich vorgeschlagen, mit der neuen Familie meines Ex-Mannes Heilig Abend zu verleben, in der frisch gestrichenen und tapezierten Küche, in der ich nun wie Maria kniete. In Anbetracht des Timings war ans Heulen oder an eine Stunde Instandsetzung für mich selbst nicht zu denken. Das Geschirr für das Abendessen war noch von einem Wand-Putz-Film bedeckt, Schränke für das Porzellan gab es derzeit nicht, die hatte ich von den Wänden gerissen und zerhackt, schließlich galt es eine gesunde Wut in meinem Leben zu etablieren und Altes loszulassen. Die Patchwork-Erweiterung bestand aus der relativ neuen, 18 Jahre jüngeren, Lebensgefährtin meines Ex-Mannes und ihrer zwei Kleinkinder. Wie niedlich, dachte ich. Es half unserer Anbahnung nicht wirklich weiter, dass mich das Mädchen ausdauernd fragend betrachtete und sie von ihrer Mutter in pädagogisch wertvollem Tonfall geduldig und nachhaltig informiert wurde, dass ich „auch eine Mama sei“. Ich vermutete das Mädchen sortierte mich in ihrem hübschen Köpfchen in der Kategorie Großmutter ein (vom Jahrgang kam das vermutlich sogar hin). Tatsächlich war die grauhaarige Frau (moi) in der hübschen Wohnküche mit den Papageien die Mama der Tochter ihres neuen Ziehvaters – aber eben auch der Ziehvater meiner ältesten Tochter, deren Vater wiederum mit seiner zweiten Ehefrau Weihnachten feierte.

Das frisch verliebte Paar in meiner frisch renovierten Küche hatte den Einkauf für unseren couragierten wie modernen Patchwork-Abend erledigt, weil ich mit der Renovierung, dem Weihnachtsbaum und den Geschenken, den gemeinsamen Töchter, den zahlreichen Haustieren und mit laufenden Aufträgen über-beschäftigt war. Das war so nett von den beiden, auch weil ich ihre speziellen Anforderungen an ihre supergesunde Ernährung vermutlich nicht hätte erfüllen können. Die Zucker- und Weizen-Wampen-Phobie hatte die beiden Sport-Freaks fest im Griff. Nach dem Salat mit Granatapfelkernen und einem nach Geheimformel zubereiteten Dressing (ich vermute Weizengras), mussten wir allerdings hungern. Denn der vegetarische Auflauf meines Ex dauerte Stunden. In irgendeinem Buch hatte ich mal den Ratschlag gelesen, neue Rezepte nicht an Festtagen auszuprobieren. Wenigstens verschmähten meine Gäste nicht den Rotwein, den ich besorgt hatte und die Stimmung war heiter.

Zur Bescherung war ich beschwipst und folgte gelassen dem Ganzen wie einer Neuinszenierung des Krippenspiels. Selbstverständlich simulierte mein Ex die Ankunft des scheuen Christkinds genauso selbstverliebt und liebevoll wie immer, nur das ihm nun zwei neue Kleinkinder die Schummelei glaubten. Klingeling, das Glöckchen und dann die Geschenke, bloß nicht zu viele, damit die Kleinen ja nicht überschnappen – auch wegen der Konsumgesellschaft und so. Das Paar überreichte mir mit großer Geste ein Paket Konfekt von „arko“ und ich fühlte mich schon wieder wie Großmütterchen auf meinem eigenen Sofa.

Als es nach 23 Uhr den Nachtisch gab, waren die kleinen Kinder so überdreht, dass ich am liebsten ins Bett gegangen wäre. Weit nach Mitternacht saß ich beim Weihnachtsbaum, die Kerzen flackerten und dufteten nach Honig, ich hielt Zwiesprache mit meinen Ahnen: Meiner verstorbenen Mutter versprach ich, im kommenden Jahr zu Weihnachten zu verreisen. Meine Töchter glauben schließlich nicht mehr an das Christkind. 


Über den Autor:
Die Autorin Stefanie Wilke ist 1964 auf Sylt geboren, dort war es damals ganz schön wild. Sie ist am Strand unter Piraten aufgewachsen. Heute lebt sie in Hamburg und hat Magazine wie AMICA, Allegra, Emotion und enorm mit Ideen und Texten begleitet. Aktuell arbeitet sie als Texterin in einer Agentur. Das Schreiben über Psychologie und die Liebe zählt zu ihren Lieblingsbeschäftigungen.  

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