Knuths Lost & Found November 23

 

 

Dieser Monat war ein richtiger November, wie er im Buche steht, sehr grau und trüb. Und die aktuelle Situation machte ihn nur noch grauer. Knuth war mal wieder vollkommen Lost. Er fragte sich, was ist mit den Menschen los, wie konnte es so weit kommen und waren die Risse und Gräben nicht schon immer da? Außerdem erfahrt ihr, mit welchen Serien und Büchern er sich im November getröstet hat.

 #SillyconValley

November 2021 – Egal welche Zeitung ich aufschlage oder in welcher Talkshow ich reinzappe, immer wieder lese und höre ich, dass die Pandemie unser Land spaltet. Die Gräben zwischen den Menschen seien vertieft und es gäbe immer mehr Risse in der Gesellschaft. Meine bittere Erkenntnis ist aber, dass Corona gar nichts machen musste. Gräben und Risse waren nie verschwunden. Sie waren immer da. Diese Krise zeigt deutlich, dass wir uns längst auseinandergelebt haben. Wir leben gedanklich, jeder für sich in tiefen Schluchten.

Für mich ist Deutschland ein einziges grenzenloses Labyrinth, das aus unendlich vielen schattigen Tälern besteht. Und jedes Tal für sich hat wieder viele Nebentäler und diese wiederum haben auch wieder Nebentäler. So geht das immer weiter. Es gibt kein Ende. Kein Kartograf ist mehr in der Lage, so eine Landschaft zu erfassen.

Die Bewohner irren hier schon seit Generationen herum und suchen einen Weg ins Freie. Manchmal, wenn der Wind den Nebel lichtet, schauen sie hoch und erkennen oben scharfe Kanten. Dann halten sie inne und träumen von den sonnigen Plateaus, die es dort in der Höhe geben soll. „Es ist wie es ist“, sagen sie dann und geistern gleichgültig weiter durchs nächste Tal.

Auf meinen täglichen Talwanderungen begegne ich vielen Leuten. Zu meiner großen Überraschung traf ich bisher keinen, den ich als Deutschen oder Deutsche bezeichnen würde. Dieses Schluchtenland scheint mir aus Menschen zu bestehen, die so ziemlich alles sind und alles wollen.

Getroffen habe ich: Männer, Frauen, Autofahrer, Veganer, Nerds, Camper, Digital Natives, Bahnfahrer, Werber, Jäger, Edelfedern, Warmduscher, Reiche, Arme, Rapper, Pokerspieler, Christen, Juden, Moslems, Buddhisten, Fußballfans, Hausbesitzer, Kinder, Schwarzfahrer, Gärtner, Geimpfte, Impfverweigerer, Genesene, Köche, Schneider, Einfallslose, Founder, Verkäufer, Studierende, Ossis, Aussteiger, Aufsteiger, Chorsänger, Youtuber, Seefahrer, Dachdecker, Surfer, Influencer, Pfleger, DJs, Alte, Junge, Gärtner, Schriftsteller, Lesben, Spinner, Maler, Imker, Rebellen, Grafen, Behinderte, Träumer, Segler, Metalheads, Bestatter, Läufer, Flexitarier, Arbeitslose, Programmierer, Dünne, Rotweinkenner, Instagramer, Metzger, Idioten, Wissenschaftler, Taubenzüchter, Prominente, Nichtstuer, Vieltuer, Millennials, Omas, Opas, Selbstverliebte, Helfer, Ökos, Wanderer, Vielflieger, Baum-Umarmer, Rote, Gelbe, Grüne, Schwarze, Braune, Lahme, Radfahrer, Schwule, Vanilleeisesser, Stilvolle, Legosammler, Tagelöhner, Keksesser, Studenten, Eisbachsurfer, Uhrenmacher, Angler, Gamer, Läufer, Mittagsschläfer, Boomer, Linkshänder, Notare, Geizige, Rechtshänder, Geschäftsführer, Bergsteiger, Wessis, Vielleser, Hippies, Diätgläubige, Alphornbläser, Ausländer, Schlager-Fans, Wirte, Kiffer, Android-Nutzer, Geflüchtete, Handballer, Sportschau-Gucker, Applekäufer, GEZ-Zahler, Schnäppchenjäger, Dicke, Kraftsportler, Rastas, Blinde, Hochmütige, Mütter, Väter, Polizisten, Punks, Manager, Klempner, Sprayer, Speaker, Schlafwandler, Alleinerziehende, Eingebildete, Performer, Schwertkämpfer, Visagisten, Fotografen, Legastheniker, Rätselfreunde, Sockenstricker, Handballer, Harte, Weiche, Zarte, Starke, Leser, Streamer, Bahnfahrer, Schlagersänger, Feuerspucker, Friedensbewegte, Sushi-Esser, Besserwisser, Menschenkenner..........

Ich könnte hier ewig weiterschreiben. Drei Internets würden nicht ausreichen.

Was würde ich für Risse oder Gräben geben. Dann wäre vieles einfacher in diesem Land. So werde ich noch viele Umwege gehen müssen. Ich will die Hoffnung aber nicht aufgeben. Vielleicht gelingt es mir und ich finde den roten Faden, der mich aus diesem Irrgarten herausführt. Wenn ich dann in Freiheit bin, werde ich dir berichten.

 

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Ein Viertel der deutschen Manager hält körperliche Gewalt gegen die Partnerin für gerechtfertigt, schrieb der englische Independent. Ich war erschrocken, als ich das las. Die von YouGov durchgeführte Untersuchung im Auftrag der Organisation Frontline100, die sich der Bekämpfung von häuslicher Gewalt widmet, ergab, dass ein Viertel der Manager der Meinung ist, dass körperliche Gewalt gegen eine Partnerin in mindestens einem der genannten Fälle gerechtfertigt sein kann, z. B. bei der "Verweigerung von Sex" oder der "Nicht-Erledigung der Hausarbeit". Wir reden hier von Männern, die in White-Collar-Jobs arbeiten. Bei der aktuellen Situation ging dieses Nachricht vollkommen unter. Ich wollte hier noch einmal darauf aufmerksam machen.

 

 


 

Squid Game

 

„Eurem Bruder wird Gewalt angetan, und ihr kneift die Augen zu! Der Getroffene schreit laut auf und ihr schweigt?....Und ihr sagt: uns verschont er, denn wir zeigen kein Missfallen“ Es könnten die Worte des spielsüchtigen Gi-Hun (Lee Jung-jae) sein, als er erkennt auf welchen Wahnsinn er sich eingelassen hat: In diversen Survial-Games kämpfen die Mitspieler ums Überleben, denn der Gewinner erhält am Ende ein großes Vermögen. Wie Gi-Hun sind alle Teilnehmer hoch verschuldet und für sie ist das die einzige Chance, um später ein anständiges Leben zu führen. Dafür nehmen sie sogar den Tod in Kauf. Die Serie aus Korea ist die erfolgreichste Netflix-Produktion aller Zeiten. Squid Game ist brutal. Für mich ist die Serie eine Parabel auf den Kapitalismus. Die Spieler sind bloß Human Ressource, um eine Clique von gelangweilten Reichen zu bespaßen. Mehr nicht. Ganz nebenbei, die Worte am Anfang stammen von Berthold Brecht aus „Der gute Mensch von Sezuan“. Ich musste beim Zuschauen immer an Brecht denken, es war die Wucht der Bilder und die starke Erzählung. Ihm hätte die Serie bestimmt gefallen. Er wäre heute ein verdammt guter Netflix-Regisseur.

Squid Game , Staffel 1 Netflix

 


 

 

Shuggie Bain

 

Glasgow zur Thatcher-Zeit in den 80er-Jahren: Shuggie ist ein kleiner Junge, der in einem heruntergekommenen Arbeiterviertel lebt. Beim Gehen tänzelt er, Fußball kann er nichts abgewinnen und er träumt viel. Er ist anders. Immer wieder wird er gemobbt. Zusätzlich macht ihm zu schaffen, dass er sich um seine alkoholkranke Mutter kümmern muss. Aber in den wenigen nüchternen Momenten, wenn sie ganz bei Verstand ist, verwandelt sie sich in eine starke und schöne Frau. Dann ist sie voller Liebe und macht ihrem Sohn Mut, auch wenn Shuggie nur zum Heulen ist. „Gib ihnen die Genugtuung nicht..... Doch.Du.Kannst! ....Kopf hoch, und gib Gas...“ sagt sie ihm dann immer wieder. Liest sich einfach, ist aber schwer, sogar verdammt schwer. Demütigungen und Scham können Shuggie nicht kleinkriegen. Er gibt nicht auf. Douglas Stuart hat für den Roman 2020 den Booker Preis bekommen. Ein Buch, das die Seele wärmt.

 Shuggie Bain – Douglas Stuart, 496 Seiten, Hanser

 


 

 Local Valley

 

"Ich genieße Songs zu schreiben, die dich von einem düsteren Ort an einen sehr hellen bringen können. Oder sie ziehen dich kurz in die Tiefe, wenn es um heftige Themen geht, aber am Ende kommt ein Twist und du wirst Erlösung spüren und das passiert bei meinen Songs und auf meinen Konzerten", sagt der schwedische Songwiriter José Gonzáles in einem Interview auf BR2. Ehrlich gesagt, es stimmt. Seine sanfte Stimme und die friedlichen Rhythmen erinnern mich an Samba, Highlife oder Bossa-Nova. Mein Antidepressiva ist der Titel „Swing“. Kann ich nur empfehlen. Ich war ganz weit weg. Sehr weit sogar.

Local Valley – José Gonzáles auf Apple Music und Spotify

 


 

Maid

 

Alex (Margaret Qualley) und ihre kleine Tochter müssen vor häuslicher Gewalt flüchten. Eine Odyssee beginnt: Obdachlosigkeit, Frauenhaus und jede Menge Putzjobs. Die Frau hat mehr drauf, als nur für ein paar Dollar eine Toilette zu schrubben. Sie ist eine gute Schreiberin. Sie kämpft mit Anwälten, Behörden, ihrem Ex und ihrer Familie. Coole Empowerment Serie, die aktuell die Situation in den USA beschreibt, wo sich der Staat teilweise aus der Fürsorge ganz verabschiedet hat und es private Organisationen überlässt, sich um die Menschen zu kümmern. Interessant und spannend, die durchgeknallte Mutter von Alex gespielt von Andie MacDowell, ist auch im wirklichen Leben ihre Mutter. Beide spielen das großartig. Unbedingt einschalten.

Maid – Minisserie auf Netflix

 


 

 Onkel Bobby‘s Hochzeit

 

Bobby ist der Lieblingsonkel von der kleinen Clara. Gemeinsam unternehmen sie viel und haben viel Spaß. Eines Tages bringt er zu einer Party seinen Freund Jan mit, dort verkündet er, dass er Jan heiraten will. Clara hat viele Fragen. Wer jetzt denkt, das Kinderbuch erklärt mühsam, warum sich ein Mann in einen Mann verliebt, der liegt falsch. Der kleinen Heldin ist das sehr egal. Sie hat eine ganz andere Sorge. Für alle, die schon immer wussten, dass nur die Liebe zählt. Schauenswert. Lesenswert. Bewundernswert.

 

Onkel Bobby’s Hochzeit – Sarah S. Brannen, Zuckersüß Verlag, 32 Seiten

 

 

Vielen Dank für Deine Zeit. Ich wünsche dir eine schöne Adventszeit, frohe Weihnachten und einen guten Rutsch. Mögen sich alle deine Wünsche erfüllen. Bleib gesund. Wir sehen uns hier im neuen Jahr. Bis bald.

 


 

 

Knuth Kung Shing Stein ist Gründungsmitglied von SoSUE und unterstützt noch weitere Marken als PR Berater und Content Curator. Er selbst beschreibt seine Arbeit als „irgendwas mit Medien“. Der Hamburger würde am liebsten auf einen Berg mit Strand ziehen. Mehr über Knuth erfahrt ihr auf seiner Website Collideor and Scope.

 


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