Die Weihnachtszeit ist für viele die schönste Zeit des Jahres. Leider können nur ein paar wenige die Zeit wirklich genießen, die meisten von uns sind permanent damit beschäftigt, es für alle anderen zum schönsten Moment des Jahres zu machen. Besonders betroffen sind Mütter, die sich wie immer abschuften, um Kinderaugen zum Leuchten zu bringen. Zwischen Weihnachtswundern und Weihnachtswahnsinn ist vielen einfach nur noch zum Heulen. Festtagstränen sind die aber die besten Tränen, findet die Autorin Karina Lübke. Aus ihrem neuen Buch "bitte recht festlich" ihre ganz persönliche Sicht auf den Weihnachtsstress.
Von Karina Lübke
Die Weihnachtszeit ist so wahnsinnig gefühlsintensiv, dass sie schon eine eigene Form der Familientherapie gelten kann. Innerhalb von gut zwei Monaten erlebt man dabei mehr existenzielle Emotionen als ansonsten das ganze Jahr über: Ich weine regelmäßig Tränen der Wut, Tränen der Erschöpfung, Tränen der Rührung, Tränen der Enttäuschung, Tränen der Dankbarkeit, Tränen der Erleichterung und Tränen der Freude in einem jährlich wechselnden Mischungsverhältnis. Denn Weihnachten kommt nicht einfach, wie viele Männer glauben – man muss es schon nachdrücklich einladen, bei sich zur Tür reinschieben und es ihm gemütlich machen. Bei dieser Form der psychologischen Heldenreise wird die Komfortzone verlassen, Grenzen überschritten und täglich spontan improvisiert. Weihnachts-Nervenzusammenbrüche sind deshalb besonders bei Frauen und Müttern Tradition und irgendwie auch die besten, denn sie wirken kathartisch: Derart von Altlasten gereinigt und die Seele tränenfeucht durchgewischt lässt es sich in den Tagen zwischen den Jahren gut in das neue Jahr starten.
Schade allerdings ist, dass man nie genau weiß, ob die ersehnten und eingeplanten Gefühle auch zur richtigen Zeit und auf der passenden Veranstaltung auftreten werden. Manchmal war die ganze Inszenierung perfekt, aber vor lauter Erschöpfung kann man nicht mehr tief oder hoch genug fühlen. Das intensive Glück im Hier und Jetzt, was ich mir pünktlich zum Heiligen Abend wünsche, wenn die echten Kerzenflammen am Baum als einzige Lichtquellen im Raum brennen, wenn alle gesund, frisch gewaschen und hübsch angezogen ein Glas Champagner in der Hand und bereits ein neugieriges Auge auf die Geschenke unter dem Baum haben, diese Mischung aus tiefem Frieden, freudiger Aufregung und überströmender Liebe erwischt mich oft erst mit Verspätung am Nachmittag des zweiten Weihnachtsfeiertages. Dann hat auch die Sorge nachgelassen, man hätte das ganze Geld in Geschenke investiert, die dem Beschenkten keine Jubelschreie entlocken, sondern bestenfalls ein wohlerzogenes „Oh! das ist ja...nett“ und schlimmstenfalls ein „Was is’n das? Was? Aha. Und ... wozu braucht man sowas? Aha. Meinst du, das kann man noch umtauschen?“.
Die gefühlte Verantwortung für das Gelingen des Festes und eine angemessenene Menge Glücksgefühle für alle ist plötzlich von mir abgefallen, was geschehen ist, ist geschehen. Die Außenwelt, die Sorgen und der ganze Hussle sind weit weg. Ich liege in Jogginghose alleine auf dem Sofa, habe mir zum Anbruch der tiefblauen Stunde die letzten Kerzen auf dem prachtvollen Baum angezündet, dessen Schönheit ich bisher noch gar nicht richtig genießen konnte; ich höre über Kopfhörer ein Bachkonzert, atme endlich tief durch und plötzlich fegt mich der Chor völlig weg: Hallelujahhh! Die After-Show-Party ist eben oft besser als das Hauptevent.
Wie viele Weihnachten erlebt man in seinem Leben? Mit viel Glück und gesunder Ernährung achtzig oder neunzig. Würde man die alle einfach hintereinander wegfeiern, wäre man nach drei Monaten komplett durch – mit allem. Das ist wirklich nicht viel Zeit. Da muss man das Beste draus machen. Psychologen sagen, dass sich Erinnerungen am besten abrufen lassen, wenn diese mit starken Emotionen einhergingen. Deswegen erinnert man sich an gefühlsechte Weihnachtstage eben auch nach vielen Jahren noch so detailliert. Deswegen ist es mir so wichtig, jedes einzelne zu einer intensiven, verdichteten Lieblingserinnerung zu machen.
Weihnachten ohne Tränen? Nicht meins!
Nein, das Leben ist kein Wunschzettel! Aber in diesem Buch steht alles, was man über Advent und Weihnachten wissen muss, um das Fest der Liebe(n) nicht (nur) zu hassen. „bitte recht festlich“ von Karina Lübke ist im Carlsen Verlag erschienen, hat 128 Seiten und kostet 12 Euro (digitale Ausgabe 8,99 Euro). Gibt es hier oder in allen Buchläden. Viel Spaß beim Lesen!
Karina studierte erst Design, machte ein Diplom in Mode und absolvierte dann bei Wolf Schneider die Hamburger Journalistenschule. Sie wurde anschliessend Redakteurin und Kolumnistin bei TEMPO und schrieb dann freiberuflich für einige Magazine. Ihre monatliche Kolumne "Bitte recht feindlich" in der Zeitschrift BARBARA hat eine große Fangemeinde und wird Anfang diesen Jahres als Buch erscheinen, ebenso wie ihr nächster Roman. Zwischendurch heiratete sie, zog eine Tochter und einen Sohn groß. Mehr erfahrt ihr hier.