Das Haus am See

 

Stephanie macht sich in letzter Zeit viele Gedanken über das Älterwerden. Aktuell fragt sie sich vor allem wo sie leben wird, wenn Kind und Kegel aus dem Haus sind und sie machen kann was sie will.

Von Stephanie Hielscher

Ich hatte ein Interview mit Sue und ich wurde inspiriert zu ein paar Gedanken, denen ich gerade hinterherhing.

Und das kam so: Am Ende erzählte sie mir, was sie alles so vorhat, wenn sie nur noch die Verantwortung für sich und nicht mehr für ihre Kinder hat. Dass sie sich zum Beispiel vorstellen kann, nochmal ganz woanders zu leben oder gar keinen festen Wohnort mehr zu haben. Ich habe so noch nie darüber nachgedacht. Es ist ja ein bisschen wie nach dem Abi, wenn man zuhause auszieht. Nur, dass jetzt eben die anderen zuhause ausziehen und man selbst nicht mehr als tägliches Zuhause gebraucht wird. Freedom, Alter!

Deshalb schreibe ich mir jetzt eine Liste mit Orten meiner Träume, an denen ich dann wahlweise leben möchte. In meinen Träumen gibt es für diesen Moment mal keine Kriege, Inflationen, Altersarmut, Pandemien, altersbedingte Krankheiten oder was man sich sonst noch Schlimmes ausdenken kann. Ich stelle mir gerade vor, dass mein Mann und ich eine feste Base haben, an die wir und unser Kind und unser Hund dann immer wieder zurückkehren können. Ein Treffpunkt, ein Zuhause, das groß genug ist für uns alle und alle, die hoffentlich noch dazukommen. Hallo Schwiegertochter, hallo tausend Enkelkinder, hallo süße Hundebabies. 

Mein Mann und ich sind dann Nomaden und wir ziehen dann weiter, wann es uns passt. Ich schätze nach zwei Monaten. Erster Stopp: Bad Gastein. Mit Blick auf die Berge trinken wir morgens einen Kaffee auf dem Balkon und machen dann einen großen Spaziergang. Wir nehmen den Eichhörnchenweg und packen vorher ein paar Erdnüsse ein, die wir unterwegs knacken und den neugierigen Eichhörnchen zu fressen geben. Wir fahren in den Salzstollen ein, um das Radium seine gesundheitszuträgliche Wirkung auf unsere Körper ausüben zu lassen. Nach acht Wochen fahren wir weiter nach Istanbul. Dort wohnen wir mitten in der Stadt in einem Haus, in dessen Erdgeschoss ein Café ist, in dem wir unseren ersten Kaffee trinken. Es ist ein bisschen laut. Ich bin geräuschempfindlich. Aber ich möchte trotzdem dort sitzen, weil ich mitten im Leben sitzen will. Nach dem Kaffee gehen wir in ein Museum und am Abend in ein Konzert. Wir essen niemals in der Wohnung, sondern immer auf einem Platz mittendrin, zwischen den vielen Menschen. Ich suche mir ein Yogastudio und turne jeden Tag meine Asanas. In Istanbul sind wir nach sechs Wochen fertig und machen einen kurzen Zwischenstopp zuhause, um unseren Sohn zu sehen und ihm ein handgeschnitztes Schachspiel, das wir ihm in Istanbul und einen Janker, die wir ihm in Bad Gastein gekauft haben, zu geben und ihn sehr fest und lange zu drücken. Dann gehen wir ins Kino, weil wir das Kino vermisst haben. Und in die Volksbühne, weil wir die Volksbühne vermisst haben. Und dann merken wir, dass wir so viele Dinge gemacht haben, die wir vermisst haben, dass wir auf einmal drei Monate in Berlin waren. So geht es wohl weiter. Nachdem wir dann auf Mallorca und in Kalifornien waren, kommen wir wieder nach Hause, weil dann Weihnachten ist, das wir natürlich hier zusammen feiern wollen. Und wenn es dann wieder losgeht nach Paris und Sizilien, kommt uns unser Sohn in Palermo besuchen und wir kaufen ihm so viele Kugeln Eis wie er nur essen kann. Es könnte auch sein, dass es ein Familienbattle gibt: Wer schafft die meisten Kugeln?

Es ist ganz anders als das Haus am See bei Peter Fox. Und es kommt eh anders, aber ich freue mich auf das, was kommt. Ich freue mich auf die Zeit in zwanzig Jahren genauso wie auf die in zwei Jahren. Ich denke, das liegt vor allem daran, dass es in diesem kleinen Traum keine Zerwürfnisse oder gar Trennungen gibt und ich in meiner Vorstellung alles mit meiner Familie machen kann. Dass wir zu Dritt dann die Einheit sind, die wir auch jetzt sind. Und dann singe ich auch gern das Lied von Bosse namens Frankfurt/Oder, in dem es heißt: Mir war´s schon immer egal, wo wir waren. 

 


 

Stephanie Hielscher studierte Kulturwissenschaft mit Schwerpunkt Dokumentarfilm an der HU Berlin. Danach absolvierte sie ihr Volontariat bei MTV. Sie arbeitet als freie Journalistin für verschiedene Sender wie KiKa, Nickelodeon, MTV, Sat1/Pro7 und den RBB. Ihr Schwerpunkt liegt auf Dokumentationen und Kinderfernsehen. Seit 2020 moderiert und produziert sie außerdem den Podcast Fünf zu Eins für Mit Vergnügen und schreibt den wöchentlichen Newsletter Eins zu Eins. Mehr über Stephanie erfahrt ihr auf ihrem Instagram Account @stephaniehielscher.

 

 


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