Unser Leben hat sich in den letzten Tagen verändert. Der Ukrainekrieg hat uns alle durcheinandergebracht. Die Sorgen und die schrecklichen Eindrücke verunsichern uns und machen Stress. Wie geht man damit um? SoSUE Redakteur Knuth hat aufgeschrieben, wie er mit dieser Krise umgeht.
Es war in den ersten Tagen des Ukraine-Krieges. Ein Freund schrieb mir über Instagram. Viele Jahre hatte ich nichts mehr von ihm gehört. Ich freute mich, dass er sich mal wieder bei mir meldete. „Wie geht es dir?, fragte ich. Seine Antwort kam schnell zurück. „Mir geht es sehr privilegiert!“, antwortete er und weiter „Ich habe eine warme Wohnung, genug zu essen, Strom, frisches Wasser und kein Krieg im Viertel!“ Ich gab ihm recht. Es bestand auch bei mir keinen Grund zur Klage. Weder hatte ich Verwandte in der Ukraine, noch waren Menschen, die ich kannte auf der Flucht und ich musste kein Trauma verarbeiten. Im Grunde müsste es mir gut gehen, wäre da nicht dieses chaotische Gefühl aus Angst, Zorn und Ungewissheit. Fast schämte ich mich dafür, weil mir klar war, dass es in keinem Verhältnis zu dem schrecklichen Leid der Ukrainer steht. Aber diese zähe Beklommenheit ist da, sie beschäftigt mich und ich kann sie nicht verleugnen.
Die Nachrichten sind in den letzten Tagen nicht besser geworden. Es ist ein Schrecken ohne Ende. Ich taumelte eine Weile, bis ich wieder mein Gleichgewicht fand. Es lag vielleicht an der Nähe zum Krieg, der in Europa stattfindet und das ich nach zwei Jahren Pandemie empfindlicher geworden bin. Für zu viele Krisen bin ich unbrauchbar. Aber ich komme mit der Situation jetzt besser klar.
Als ich den ersten Schock überwunden hatte, haben mich ein paar Dinge wieder aufgerichtet. Ich habe sie für euch aufgeschrieben. Manche davon sind ganz banal, trotzdem waren sie nicht unwichtig für mich, weil sie mir helfen, dass ich wieder in die Zukunft blicken kann, egal wie dieser Krieg eines Tages endet.
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Helfen – Ein Weg, um aus der Starre zu kommen, war für mich zu spenden. Ich vertraue den meisten Hilfsorganisationen, weil es Profis sind und diese genau wissen, was in Krisenzeiten vor Ort gebraucht wird. Außerdem habe ich meine Hilfe angeboten und mich in eine Liste eingetragen, falls noch Helfer benötig werden. Hätte ich eine größere Wohnung, würde ich sogar Flüchtlinge aufnehmen. Es ist sicher nicht viel, aber etwas sinnvolles zu machen hilft mir.
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Protestieren – Ich musste meinem Ärger Luft machen und wollte mit vielen anderen ein Zeichen setzen. Ich war früher häufiger auf Demos, warum ich es all die Jahre nicht gemacht habe, verstehe ich selbst nicht mehr. Das so viele unterschiedliche Leute zusammenfinden und sich für eine Sache einsetzen, ist großartig zu sehen. Seinen Unmut zu äußern und sich auszutauschen gab mir das Gefühl, dass ich nicht alleine bin. Außerdem glaube ich, dass Protest tatsächlich etwas bewirken kann und eine gute Form ist, um Beistand zu zeigen.
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Musik hören – Als der Strom der schlechten Nachrichten nicht nachließ und der Frust größer wurde, habe ich Musik gehört. Musik hat etwas Wunderbares, weil sie mich tröstet. Wie ihr das gelingt, habe ich nie wirklich verstanden. Es ist einfach so. Besonders in Krisenzeiten fühlt es sich bei mir immer an, als würde mich jemand auf den Schoß nehmen. Hier meine Trost-Musik aus den letzten Tagen:
- Beethoven – 6. Sinfonie, Pastorale
- Stromae – Multitude, Album
- Marvin Gaye – What‘s going on, Album
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Reden – Es lässt sich nicht vermeiden, es wird überall über den Krieg und seine Folgen geredet: An der Käsetheke, im Job oder auf Familienfeiern. Das ist gut. Es hilft mir und anderen, den Krieg besser zu verstehen und den daraus entstehenden Kummer gemeinsam zu bewältigen. Ich lerne immer wieder, dass in Krisen die Menschen gerne ihre Sorgen teilen und viele sogar zuhören, was für alle Beteiligten beruhigend ist. Das finde ich gut, weil es die Welt menschlicher macht.
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Informieren – Ich bin ein Nachrichtenfreak. Seit dem Überfall auf die Ukraine verfolge ich das Geschehen dank der digitalen Medien fast in Echtzeit. Überwiegend informiere ich mich bei seriösen Nachrichtensender, Tageszeitungen, Agenturen, Blogs und NGOs. Es hilft mir, dass ich die Lage besser einschätzen kann. Aber auch meine Aufmerksamkeitskapazität hat Grenzen. Meine Erfahrung ist, dass ein Dauerloop aus Zerstörung, Gewalt und Flucht einen nur noch hilfloser und verzweifelter macht. Ich nehme mir News-Pausen. Obwohl ich zugeben muss, dass es mir diesmal schwerfällt, mich an meine News-Pausen zu halten. Ich schaue immer wieder nach, weil ich das Wort FRIEDEN lesen will.
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Bewegen – Ab und zu nehme ich von meinen eigenen Gedanken Reißaus. Ich muss dann abschalten und brauche andere Eindrücke, die meinen Schwermut wegfegen. Bei mir funktioniert es am besten, wenn ich mich draußen an der frischen Luft bewege. Wenn ich laufe kann ich gut abschalten, hier komme ich zur Ruhe, kann mich sortieren, abschweifen und finde sogar Inspiration.
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Strukturieren – Es ist der Coaching-Klassiker schlechthin, aber es stimmt, seinen Tag zu strukturieren hilft mir besonders in unsicheren Zeiten. Meine Aufgaben zu erledigen, fiel mir in den ersten Kriegstagen schwer. Zu sehr war ich abgelenkt und war am Grübeln. Aber da ich einen festen täglichen Ablaufplan habe, behielt ich die Kontrolle und drifte nicht zu sehr ab.
Knuth ist Gründungsmitglied von SoSUE und unterstützt noch weitere Marken. Er selbst beschreibt seine Arbeit als „irgendwas mit Medien“. Der Hamburger würde am liebsten auf einen Berg mit Strand ziehen. Mehr über Knuth erfahrt ihr auf seiner Website Collideor and Scope.