Frauen sind in der Ehe viel unglücklicher als Männer. Sie leisten den größten Teil der Care-Arbeit und müssen häufig auf eigene Wünsche und Bedürfnisse verzichten. Eine Scheidung kann eine Lösung sein. Kein einfacher Weg. Die Autorin Karina Lübke ist ihn nach zweiundzwanzig Jahren Ehe und zwei halbwüchsigen Kindern gegangen. Ein Text über den Mut, in sein altes Leben zurückzukehren und ein neues zu beginnen.
Von Karina Lübke
Es war einer der schönsten Tage meines Lebens: Meine Trauzeuginnen, die meine ältesten Freundinnen sind, saßen in eleganten Kleidern links und rechts von mir am gedeckten und geschmückten Tisch. Ich roch ihr vertrautes Parfum, genoss ihre Nähe und Liebe. Sie hatten Geschenke und Blumensträuße mitgebracht. Von einem wolkenlosen, eisblauen Winterhimmel leuchtete die Sonne hellblond durch die Fenster des voll besetzten Café́ Paris, nur eine Straße entfernt vom Hamburger Rathaus gelegen. Sogar die Staubkörner flitterten festlich in ihrem Scheinwerferstrahl. Im Hintergrund Geschirrklappern, Gelächter, Stimmengewirr.
Wir erhoben unsere Gläser mit kaltem Crémant: „Viel Glück! Auf Dich!“ sagte die eine. „Ja, auf uns! Danke, dass ihr da seid“, erwiderte ich euphorisch und gerührt zugleich. Wir stießen an und tranken aus. Das Gefühl rauschhafter Leichtherzigkeit lag nicht nur an der ungewohnte Alkoholzufuhr am Morgen. Eine hoffnungsvolle Zukunft fächerte sich auf, und mir frischen Wind zu. Alles auf Neuanfang, zurück auf das große Los! Ich fühlte mich wieder wie Anfang Zwanzig, als wäre im Leben noch alles drin für mich – nein, besser: Als hätte ich zudem die wirklich wichtigen Entscheidungen – Beruf, Kinder, Freunde – bereits richtig getroffen und nun den Rest meines Lebens hauptsächlich als Spielwiese für mich. Zwischen Seidenmalerei und Sex war künftig alles drin.
Hungrig biss ich in das butterige Croissant und trank einen großen Schluck Café́ au lait. Vom nahen Rathausturm schlug die Glocke zwölf. Die skulpturale Bronzeuhr über dem Eingangsportal stellt Anfang und Ende des Lebens dar; das Kind auf dem Schoß seiner Mutter schlägt die Viertelstunden, der Tod dann die vollen. Wie passend! Der Gerichtstermin war um 10 Uhr gewesen. Seit zwei Stunden war ich eine geschiedene Frau. Einst trug ich ein großes Weißes und sah schwarz, heute ein kleines Schwarzes und schaute durch die rosa Brille auf mein neues Eigenleben. Nach zweiundzwanzig Jahren Ehe und zwei halbwüchsigen Kindern hatte ich das Gefühl, endlich zu mir zurückgekehrt zu sein. Mich wiederzuerkennen.
Ja, die Jahre vor der Trennung und der sich dann ewig hinziehende Prozess der Scheidung nach so vielen gemeinsamen Jahren, Konten und Kindern war schrecklich und maximal schmerzhaft. Nein, auch ich hatte das einmal nicht so gewollt; hatte aus Liebe geheiratet und nach deren Ende um sie gekämpft, gestritten, geheult und getrauert. Aber jetzt war ich froh, diese Ent-Scheidung gefällt zu haben. Lieber den Lebensstil downsizen, als sich weiterhin ständig kleinzumachen, denn zwischen dem Tod einer Ehe und dem realen Tod kann noch eine gefühlte Ewigkeit liegen. Mal ernsthaft: Wie viele alte Ehepaare kennt ihr, bei denen man glaubt, die beiden wären immer noch glücklich miteinander und würden nicht als größte Gemeinsamkeit ihre gegenseitige Abneigung pflegen? Ja, von denen man annimmt oder sogar weiß, dass sie noch Sex haben, und das auch noch miteinander? Ich persönlich kenne drei - und ich kenne viele Leute!
Die wenigsten Frauen, die nicht Britney Spears sind, heiraten aus einer Laune, weil sie gerade besoffen an einer Hochzeitkapelle in Vegas vorbeigekommen sind. Es heiratet allerdings wahrscheinlich auch keine, um dadurch zunehmend Eigenleben zu verlieren, während sie sich abwechselnd immer mehr im Job, Haushalt und an der Beziehung abarbeitet. Eine gute Gattin soll auch heute noch wie ein Thermomix funktionieren: Einmalige teure Grundanschaffung, in die alle dann täglich einen Haufen Ansprüche, Aufgaben und Erwartungen hineinwerfen, damit sie daraus etwas an Leib und Seele Nährendes zaubert. Wenn Kinder dazu kommen, nimmt die Fürsorge gar kein Ende mehr.
Der „Väterreport 2016“ des Bundesfamilienministeriums resümierte, dass nur 14 Prozent der Eltern tatsächlich ein partnerschaftliches Familienmodell leben. Der "Väterreport 2021" ergab nun, Überraschung: 92 Prozent der berufstätigen Väter mit Kindern unter zehn Jahren arbeiten in Vollzeitjobs. Folgender Beisatz der Studie soll wohl trösten: "Aber nicht einmal die Hälfte der Männer finden das gut". Theoretisch eben! Verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre nennen Soziologen das. Da kann man nur raten, wer sich (neben einem Teilzeitjob ohne Aufstiegschancen und wegen des altertümlichen Ehegattensplittings zumeist in Trottelsteuerklasse 3 geparkt) um die gemeinsamen Kinder kümmert. Auch Studien zum „Equal Care Day“ bestätigen alljährlich, dass im Gegensatz zu den Müttern moderne Väter in der Regel weder Schlaf noch Karriere einbüßen: Ab der Geburt beginnt der „Geschlechter-Gap“. Der Mann zieht davon und sein gut dotiertes (Arbeits)Leben durch, die gut ausgebildete und bis eben noch gleichberechtigte Mutter bleibt „erstmal“ zuhause, bei der unbezahlten Care-Arbeit für die künftigen Rentenerbringer, auf der das gesamte Wirtschaftssystem basiert. Von der potentiellen Millionärin zur Tellerwäscherin. Aus Liebe. Man kriegt ja soviel zurück! Nur kein Geld, keine Altersvorsorge, keinen Respekt und einen Kindergartenplatz sowieso nicht.
Ich habe in den letzten Jahren oft erlebt, dass Frauen zehn Jahre jünger aussahen, nachdem sie 90 Kilo Ehemann abgenommen hatten.
Es gibt ja diesen coolen Rock’ n Roll-Vorsatz: „It ́s better to burn out, than to fade away“. Langjährige Ehefrauen und Mütter schaffen locker beides: Einen Burn out zu haben und gleichzeitig immer mehr zu verblassen. Funktionieren tun sie dabei natürlich trotzdem weiter. Sie wollen das Rudel unbedingt zusammenhalten, zumindest, bis die Kinder aus dem Elternhaus ausziehen. Corona hat das Ungleichgewicht sowie den Gender Care Gap weiter verstärkt - waren es doch vorrangig Frauen, die allerorten einsprangen und (noch mehr) Fürsorgearbeiten übernahmen; sich zwischen Haushalt und Homeoffice zusätzlich als Lehrerinnen für ihre Schulkinder zwangsqualifizieren mussten. Kein Wunder also, dass nach dem ersten Lockdown trotz Angst um Job und Zukunft die Anzahl der Trennungen gestiegen ist. Mittlerweile wird jede dritte Ehe geschieden, die meisten nach durchschnittlich 15 Jahren. Getrennt wird sich oft, wenn Kinder kommen und dann wieder, wenn die Kinder einen verlassen. Denn es stimmt, dass Frauen ab einem gewissen Alter und langer Liebesdienstlaufzeit viele Dinge einfach nicht mehr können: Männer für ihr schieres Mannsein bewundern, über sexistische oder unlustige Witze lachen, dem Partner hinterherputzen, Urlaub und Sozialeben zu organisieren und trotz Unlust sexuell verfügbar zu sein. Sieben von zehn Scheidungen werden von Frauen eingereicht, manche sogar noch nach 35 Jahren. Und dass, obwohl in Deutschland nach der völlig falsch gedachten und schlecht gemachten "Unterhaltsreform" von 2008 Ehefrauen, die beruflich zugunsten von Kindererziehung und unbezahlter und ungeschätzter Familienarbeit lange zurückgesteckt haben, finanziell deutlich schlechtere Karten haben.
Da Frauen eine glückliche Partnerschaft und Familie mehr oder weniger bewusst als ihre Aufgabe ansehen, kommt ihnen eine Trennung oder gar Scheidung trotzdem oft wie persönliches Versagen vor. Permanent leisten sie deshalb einsame Überstunden in Beziehungsarbeit. Erst wenn ihre Bedürfnisse nach liebevoller Verbindung, Unterstützung und emotionalem Verständnis über viele Jahre hoffnungslos frustriert und erodiert sind, denken sie irgendwann wie die Exfrau des „Spiegel“ Redakteurs Jan Fleischhauer, der sein eheliches Aufarbeitungsbuch nach dem Schlusssatz seiner Gattin benannte: „Alles ist besser als noch ein Tag mit dir“. Und während Ehemänner, Meister des magischen Wunschdenkens, auch nach Jahrzehnten voller Streits, Bitten, Schweigen, Tränen und Therapieversuche den finalen Trennungswunsch ihrer Frau „überhaupt nicht haben kommen“ sehen und nach dem ersten Schock eine Neubesetzung für die Gattin suchen, um nicht ins Betreute Wohnen ziehen zu müssen, finden Exgattinnen nach der Trennung auch ihre Traumfrau: Sich selbst! Eine schöne Überraschung.
Nach einer Umfrage der amerikanischen Paartherapeutin Jennifer Garvin unter geschiedenen Frauen zweifelte übrigens jede Dritte bereits vor der Eheschließung, ob das nun wirklich der einzig „Richtige“ von momentan weltweit verfügbaren 4 Milliarden Männern sei. Wenn Frauen nein denken, aber ja sagen, liegt das an der Torschlusspanik, den Erwartungen ihres sozialen Umfeldes, dem Wunsch auch mal so ein wunderschönes Hochzeitskleid zu tragen wie die Freundinnen und einer biologischen Uhr, die fünf vor schwanger anzeigt. Man sollte sich das Ja-Wort nicht von der Angst vor Einsamkeit diktieren lassen: „Wenn Sie Zweifel haben, lassen Sie es sein“ rät die Fachfrau. Allerdings ist es zum Glück nie zu spät, es sein zu lassen.
Vor einer Weile war ich auf einem Klassentreffen der Mütter. Wir alle hatten uns kennen gelernt, als unsere ersten Kinder vor 15 Jahren zusammen in die 1b eingeschult wurden. Damals waren wir eine homogene, privilegierte Gruppe mit Ehemännern, ein bis drei Kindern, Zweitwagen und Hund. Es gab nur zwei Alleinerziehende unter den Müttern, Exotinnen, die eher unter sich blieben, als ob das ansteckend wäre. Die erste Scheidung brach in Klasse 2 wie ein Tsunami in das familiäre Auenland ein und spülte unter anderem ein Wochenendhaus, eine Eigentumswohnung, einen Weinkeller, ein Pony und einen Porsche weg. Der Rest der Herde sah es mit Schrecken und schwor sich, es nie so weit kommen zu lassen. Nun, 15 Jahre später, waren gut 70 Prozent geschieden oder getrennt lebend. Viele waren mit dem Fahrrad oder Bus gekommen – eher aus ökonomischen als ökologischen Gründen. Manche erkannte ich zuerst gar nicht wieder, aber im positiven Sinne: Obwohl es fast allen an Geld mangelte, hatten sie dafür Unmengen von Lebensfreude, Attraktivität und Ausstrahlung gewonnen. Unsere Kinder waren auf dem Weg in ihr eigenes Leben – und wir auch wieder.
Ich habe in den letzten Jahren oft erlebt, dass Frauen zehn Jahre jünger aussahen, nachdem sie 90 Kilo Ehemann abgenommen hatten. Hat man eine Ehe erst hinter sich, ist auch Angst vor dem Alleinsein kein Thema mehr. Die meisten geschiedenen Frauen sind lebenstüchtig, selbstständig, krisenerprobt, praktisch, sozial viel besser vernetzt als Männer und wissen aus leidvoller Erfahrung, dass man nie einsamer sein kann als in einer unglücklichen Ehe. Im Gegensatz zu früheren Frauengenerationen, die kaum Alternativen zum Ausharren und Dulden in einer unglücklichen Ehe hatten, kennt die Generation der Frauen zwischen 40 und 60 ein anderes Leben. Sie erinnern sich noch gut an die voreheliche Unabhängigkeit, die Reisen, den Beruf, ihre Ambitionen, Träume, das eigene Geld, Freiheit. Das alles ist auf ihrer Festplatte gespeichert, sie müssen nur den Ordner wiederfinden. Wenn das glückt, lebt man als upgedatete, zukunftsfähige Version seiner selbst weiter.
Doch auch wenn Scheidungen momentan in Büchern und Filmen popkulturell als das ultimative Sich-neu-Erfinden in der Lebensmitte gelten und die Vorher-Nachher-Effekte in vielerlei Hinsicht bemerkenswert sind: Kaum jemand willigt in den Bund des Lebens ein, mit dem Vorsatz, sich aus launischen Lifestylegründen wieder scheiden zu lassen. Man hat geliebt, geheiratet, gehofft und gelitten bis zum Gehtnichtmehr. Frauen gehen langsam – aber gewaltig. Doch dann ist für sie die Scheidung kein Scheitern.
Sondern - wie für mich hier an diesem Tag - ein alternatives Happy End. Ein Grund zum Feiern.
Karina studierte erst Design, machte ein Diplom in Mode und absolvierte dann bei Wolf Schneider die Hamburger Journalistenschule. Sie wurde anschliessend Redakteurin und Kolumnistin bei TEMPO und schrieb dann freiberuflich für einige Magazine. Ihre monatliche Kolumne "Bitte recht feindlich" in der Zeitschrift BARBARA hat eine große Fangemeinde und ist als Buch erschienen. Zwischendurch heiratete sie, zog eine Tochter und einen Sohn groß. Mehr erfahrt ihr hier.
Ihr neues Buch „Bitte recht feindlich“ ist jetzt im Buchhandel erhältlich. Es geht um Kerle und Kinder und kindische Kerle, um Politik, Gesellschaft, Geld und gute Worte. Und um Liebe – trotz allem. Dieses Buch fasst ihre besten Kolumnen aus der Zeitschrift BARBARA zusammen und enthält neue, bisher unveröffentlichte Texte.