Alles auf Anfang

 

Kann man in der Mitte des Lebens sein Leben ändern? Ja, sagt Stephanie Neumann, 46. Die ehemalige Modejournalistin besiegte den Brustkrebs, hängte ihren Beruf an den Nagel und gründete ein Start-up: Happie Haus, eine App für Brustkrebsbetroffene. Hier erzählt sie ihre Geschichte

„Es ist gut, dass Sie wiedergekommen sind, es ist bösartig.“ Vor dreieinhalb Jahren hörte ich diese Worte wie in einem Traum – zugegeben, einem ziemlich schlechten. Ich hatte gerade mit einer Freundin erfolgreich eine Firma gegründet, war frisch verliebt und das Leben großartig. Und dann, an einem eisigen Freitagnachmittag im Februar 2018, kam die Diagnose: Brustkrebs. Was? Ich? Krebs? Wie konnte das sein? Mir ging es doch blendend. Das musste ein Irrtum sein! So schoss es mir durch den Kopf, während mein Onkologe mir auf ein weißes Blatt Papier Tumorklassifizierungen und Behandlungsmethoden aufzeichnete. Ich blickte auf das weiße Papier mit seinen Abkürzungen und Pfeilen und verstand nichts. Wie denn auch?

Mir war damals so einiges nicht klar. Nicht, dass jährlich rund 70.000 Frauen in Deutschland diese Diagnose erhalten. Nicht, was es heißt, monatelange Chemo-, Antikörper- und Was-weiß-ich-noch-alles-für-Therapien über sich ergehen zu lassen. Und nicht, dass sich an diesem eisigen Freitagnachmittag mein Leben schlagartig ändern würde. Aus der schnellen Multitaskerin, die fröhlich in drei Sprachen an fünf verschiedenen Projekten gleichzeitig arbeitete, wurde ein „Krebsi“ mit Chemobrain. Vergesslich und unendlich langsam – körperlich wie im Kopf. Ich konnte mich nur noch auf eine Sache konzentrieren und manchmal klappte nicht mal das. Ich saß im Auto, wollte losfahren, aber meine Füße wussten nicht mehr, welches Pedal sie drücken mussten. Der Name Woody Allen war über ein Jahr wie aus meinen Hirn gelöscht. Und wenn ich es dann doch mal aufs Fahrrad schaffte, war ich die letzte, die im ersten Gang völlig außer Atem an der Ampel ankam.

Ich war frustriert, irritiert, erkannte mich selbst nicht mehr wieder. Doch irgendwann in den unendlichen Stunden am Tropf habe ich den Schalter in meinem Kopf umgelegt. Ich begann, die Langsamkeit, die die Chemotherapie in meinen Körper tröpfelte, zu akzeptieren. Ich entschied mich dafür, dass diese Bremse, die der Krebs in mein Leben gehauen hatte, eine Herausforderung ist, die ich annehmen möchte. Und ich fasste den Entschluss, dass es, wenn ich den Krebs überlebe, ein neues Leben für mich geben wird. Eines, dass nicht mehr auf der Überholspur stattfindet, sondern im Einklang mit mir selbst. Eines, dass sich nicht nur um die neuesten Handtaschen und Schuhe dreht, sondern um andere Menschen. Ich wollte helfen. Etwas Sinnvolles tun. Aber was?

 

"Ja, ich wollte etwas ändern, aber ich hatte keine Ahnung, wohin die Reise gehen sollte."

 

Ein Leben, das man über 40 Jahre auf eine bestimmte Weise und mit bestimmten Zielen vor Auge geführt hat, kann man nicht einfach so über Nacht ändern. Das musste ich ernüchtert feststellen, als ich mich nach erfolgreichem Abschluss meiner Therapien in einer Rehaklinik im Spreewald von den vergangenen neun Monaten erholte und langsam den Kopf freibekam. Ja, ich wollte etwas ändern, aber ich wusste überhaupt nicht was. Ja, ich wollte etwas ändern, aber ich wusste nicht wie. Ja, ich wollte etwas ändern, aber ich hatte keine Ahnung, wohin die Reise gehen sollte. Ich steckte fest. Die Psychoonkologin in der Reha drückte mir ein Buch in die Hand mit dem Titel „Diagnose Krebs – Wendepunkt und Neuanfang“ von Lawrence LeShan. Ich schlug es auf und las das Vorwort: „Welches Leben würdest du leben, wenn du die Welt an dich anpassen würdest, anstelle von dem, was die meisten Patienten tun, sich an die Welt anpassen? Welches Leben und welcher Lifestyle würde dich morgens glücklich aufstehen und abends glücklich ins Bett gehen lassen?“ Hier war, es mein Buch, meine Inspiration, mein Ticket in eine neues Leben. Ich las es in jeder freien Minute während der Reha und bestellte mir parallel mein eigenes Exemplar nach Hause. Das Buch ist heute ziemlich genau drei Jahre alt, aber es sieht so aus, als hätte ich es schon mein ganzes Leben lang besessen. Ich weiß gar nicht, wie oft ich es gelesen, zitiert und darin geblättert habe auf der Suche nach Antworten. Das Buch selbst gab mir keine Antworten, aber es half mir, sie in mir zu finden. Es setzte etwas in Bewegung.

Und so ging es los, Schritt für Schritt. Nicht im Galopp wie früher, sondern in meinem neuen Tempo: gaaaaanz langsam. Ende 2018 trat ich kurz vor Weihnachten aus der Firma aus, die ich so stolz nur wenige Jahre zuvor mit meiner Freundin gegründet hatte. Und im Sommer 2019, ein Jahr nach meiner letzten Chemotherapie und ein halbes Jahr nach meiner letzten Operation, tat ich vorsichtig den ersten Schritt in eine andere Richtung: Ich machte eine Yogalehrerausbildung. Es fühlte sich gut an, aber sicher war ich meiner Sache dabei noch nicht. Wenn mich jemand in dieser Zeit fragte, was ich beruflich machte, hatte ich keine Antwort. Ich fühlte mich nicht als Yogalehrerin, aber auch nicht mehr als Modejournalistin. Ich hatte zwar wieder Aufträge als freie Autorin angenommen, aber ich tat dies mehr aus finanziellen Gründen. Mein Herz war woanders, es war auf der Suche. Immer noch.

Und dann fügte sich alles in der Zeit, als ich am wenigsten damit gerechnet hatte: im Corona-Lockdown 2020. Alle meine Schreibaufträge wurden abgesagt und ich saß mal wieder in meinem Dachgeschoss und hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Um irgendetwas Sinnvolles mit meiner Zeit zu tun, gab ich Freunden einmal die Woche Yogakurse auf Zoom. Und um noch mehr Sinnvolles zu tun, machte ich online eine Zusatzausbildung für Yoga bei Krebs. Und plötzlich, in den Monaten, als die ganze Welt stillzustehen schien, setzte sich für mich etwas in Bewegung. Zweieinhalb Jahre nach meiner Diagnose wusste ich auf einmal, was ich tun wollte. Ich gründete eine Charity-Organisation, Yoga for Cancer, die mit Yogaevents Spenden für Krebsorganisationen sammelt. Und ich gründete Happie Haus mit dem Ziel, Brustkrebsbetroffene auf ihrem Weg durch die Krankheit zu unterstützen.

Und so ist es gekommen. Heute stehe ich kurz vor dem Launch meiner Happie Haus App. Gemeinsam mit meinen Partnern vom 3Horizons Founders Hub und einem Team aus Experten habe ich eine App entwickelt, die mit einem liebevoll kuratierten Mind-Body-Programm helfen soll, die schwere Zeit der Brustkrebstherapien ein bisschen leichter zu machen. Es gibt Meditationen, Kochkurse, psychoonkologische Gruppensitzung, Schminkvideos, Tipps zum Nebenwirkungsmanagement, Yoga... Dazu jede Menge Tricks und Ideen, wie man den Krebsalltag meistert – auch in modischer Hinsicht. Wie bindet man einen Turban? Wie findet man die richtige Perücke? Diese Fragen zu beantworten macht mir besonders viel Freude – ich war ja immerhin zwei Jahrzehnte lang Modejournalistin. Und da ist es wie von selbst herausgerutscht. Ich WAR Modejournalistin. In meinem letzten Leben. Jetzt habe ich ein neues. Meinen letzten Text als freie Autorin habe ich im Spätsommer diesen Jahres geschrieben. Jetzt bin ich Unternehmerin. Und ich setze alles auf eine Karte. Darauf, dass ich mit der Happie Haus App ganz vielen Frauen ein Lächeln ins Gesicht zaubern kann – trotz der Diagnose Brustkrebs. Wünscht mir Glück!

 

 

Stephanies Happie Haus App wurde im Oktober gelauncht. Alle Infos dazu findet ihr auf www.happiehaus.com .

Auf unserem YouTube-Kanal findet ihr außerdem noch ein ausführliches Gespräch mit Stephanie.


Tagged: Krebs, Brustkrebs, App

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