Das am wenigsten benutze Kleidungsstück in der Quarantäne war angeblich der Büsten-Halter, dass behaupteten zahlreiche Artikel. Darüber musste ich erst einmal eine halbe Alsterrunde nachdenken. Warum in aller Welt, sollten wir uns jetzt unserer BHs entledigen, nur weil wir jetzt im Homeoffice sind?
Jeden Morgen nach dem Aufstehen, das gleiche Ritual: Kaffee, Joggen, Waschen, Cremen, ein wenig Makeup und ein angemessenen Tagesoutfit anziehen. Dazu gehört natürlich auch immer ein BH. Ich liebe BHs! Sie sind mein schönstes Kleidungsstück und ich trage sie immer schon hauptsächlich nur für mich. Schön versteckt unter Lagen von Unterhemd, T-Shirt, Bluse oder Pulli ist er mir dort auf der Haut am nächsten. Nur wir beide kennen das Vergnügen Brüsseler Spitze oder nachtblauer Seide. Mein BH gibt mir Halt und Haltung, auch wenn ich bügellos trage. Schummeln obenrum brauche ich nicht. Nur ganz selten trage ich leicht gepaddete Schaumstoffschalen. Mit meiner Körbchengröße von 75 B bin ich guter Durchschnitt im deutschen Oberweiten-Vergleich.
Beim Sport greife ich übrigens lieber zu Bustiers-Tops aus Lyrca. Das ist zwar ein ganz schönes Gequetsche aber ich mag das Gefühl nicht, wenn der Busen freischwingt. Beim Yoga oder Joggen möchte ich am liebsten gar kein Kleidungsstück spüren. Wie einst Eva im Paradies möchte ich nur meinem Atem ohne verstofflichte Ablenkung lauschen.
Die Sitte, dass wir Frauen unsere Brüste bedecken und stützen, reicht übrigens bis ins antike Griechenland zurück. In Sparta sollen sich Frauen bei der Teilnahme an Sportveranstaltungen die Brüste abgebunden haben, um männlicher zu wirken. Im 19. Jahrhundert waren vorwiegend einfache Leibchen mit wattierten Brustverbesseren üblich, die dem heutigen BHs schon sehr ähnelten. Dazwischen gab sich das Korsett die Ehre, allein der Büstenhalter überlebte am Ende.Ja, ich wage sogar zu behaupten, dass es keine vielfältigeren Designs, als die mit den winzigen Stoffstücken der Busen Oberkleidung gibt: Elastisch, zylindrisch, spitzbübisch, auftrumpfend, plättend, glättend, festigend und freilegend. Und selbst die wilden 70-iger, haben dem BH – seiner tragenden Rolle nichts anhaben können. Die Feministen konnten sich zwar dem einengenden Korsett entledigen, aber der BH aber durfte bleiben. Allein wegen der orthopädischen Wirksamkeit, da ein großer Busen durch zu viel Gewicht Schulterprobleme auslösen kann. Vielleicht beweisen daher mehr Frauen Rückgrat als Männer. Wie viele andere Kleidungsstücke unterlag auch der Büstenhalter dem Diktat der Mode: knabenhaft in den 20er Jahren, rund in den 30erJahren während des Krieges und spitz in den Swinging 50ties. Dann 1994 folgte ein Meilenstein in der Geschichte des BHs: Die Wonderbras eroberten mit ihren neuen Formen und Materialen die Oberweiten. Jetzt gab es kein Halten mehr und ein Lingerie Boom fiel wie Heuschrecken über uns herein. Der teuerste jemals produzierte BH ist der Fanatsy Bra (2000) mit einem Kaufpreis von 15 Millionen Dollar. Der BH feiert in diesem Sommer als Bracelet unter einem Blazer getragen sein Comeback. Und wer den Trend mitmachen möchte, wird anstelle von Po-Übungen wohl mehr Crunches machen müssen. Der Fokus liegt diese Saison ganz klar in der Mitte des Körpers.
Warum also sollte ich mich nun meines geliebten BHs entledigen nur weil ein Virus mir gerade mein gewohntes Wirkungsfeld versperrt? Wir lernen doch gerade, dass alles im Wandel ist, wir nichts festhalten können und sich alles neu ordnen wird. Warum also sich nicht wenigstens von meinem BH-Bügeln behüten oder soll ich lieber sagen „betüten“ lassen?
Laut Karl Lagerfeld haben viele doch schon mit dem tragen einer Jogginghose ihre Würde verloren, warum denn jetzt auch noch obenherum nachlässig sein? Alles was wir haben, ist das hier und jetzt – und das ist eben unser BH. Nicht mehr aber auch nicht weniger. Er hilft mir Struktur in den Tag zu bringen und mit dem Schließen der Ösen nehme ich Haltung an. Und Haltung ist gerade sehr wichtig für mich: sie zerteilt meine Angst vor der Zukunft in verdauliche kleine Häppchen. Mein BH bringt mich in den ersten Gang eines neuen Tages mit Home Schooling, Hang-out Meetings, Fensterputzen und 3 Mahlzeiten auf den Tischen bringen. Ich jongliere gerade meine neue Firma und Familie auf engstem Raum und soll mich des einzigen Kleidungsstück was mir dabei eine Stütze ist entledigen? Manchmal spüre ich die zu enggestellten Träger meines BHs am Abend, wenn sich mein Körper vom Tag ausgeweitet hat und auch der Verschluss am Rücken zwickt mich manchmal. Kein Wunder - er hat ja auch schwer zu tragen an diesen Tagen. Ich beobachte dann beim Lösen der Ösen, dass meine Haut aufatmet. Das ist wie beim Yoga: Anspannung - Entspannung. Ein Kreislauf der mir Sicherheit gibt.
Es zeigt mir aber auch, wie sehr mein Büstenhalter mich gestützt und getragen hat und der Gedanke einen Helfer zu haben ist fast tröstlich. Zum Dank massiere ich die Striemen manchmal ein wenig mit Massageöl weg, schaue in den Spiegel und freue mich, dass ich einen weiteren Tag ohne Schmerz und Krankheit in meiner engsten Umgebung erleben durfte, dass ich keine Panikattacke und Lagerkoller bekommen habe, es zum Einkaufen schaffe und auch sonst keine tragischen Schicksalsschläge mehr zu verdauen habe. Ich lächle mir zu, denke an meine Kinder und auf welche Ideen sie heute wieder gekommen sind um sich die Zeit zu Hause zu verkürzen. Ich hänge meinen BH liebevoll an den Haken, damit er ausgeruht morgen wieder mit mir durchstarten kann. Er lässt bei mir nichts hängen und ich lass ihn nicht hängen.
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