L.A. in Zeiten von Corona

Ich kenne Christine Kruttschnitt jetzt schon mein halbes Leben und freue mich immer, etwas von ihr zu lesen. Ihr Schreibstil ist grandios und ihr profundes Wissen über Film und Kultur legendär und wäre sie nicht so herzlich, wäre sie fast furchteinflößend.

Sie war es, die mir damals auf den Filmfestspielen in Cannes gezeigt hat, dass man nach einem Lars von Trier Film morgens um 8:30 Uhr („Breaking the Waves“) sehr wohl noch einen vollen Interview-Schedule an der Croissette professionell bewältigen kann. Sie weckte mein Interesse für die Nouvelle Vague und erklärte mir, warum Michelangelo Antonioni als einer der bedeutendsten, italienischen Filmemacher gilt (gähn). Eine Zeitlang habe ich mir den Stern nur wegen ihrer brillanten Interviews und Kino-Kolumnen gekauft. Als sie dann für den Stern als Korrespondentin erst nach NYC und dann LA ging, habe ich nicht geglaubt, dass sie lange bleibt. Aber sie blieb. In Bel Air – und teilt sich jetzt den Berg hinterm Haus mit reichen Leuten, Rehen, Kojoten und neuerdings auch einem Pittbull. Ihre Gespräche mit Kollegin Brigitte Steinmetz auf ihrem Blog „Toast“ über die Traumfabrik Hollywood sind ein „must read“ für jeden LA-Fan. Es ist, als würde man mit ihnen an einem Tisch am Sunset Strip sitzen, dabei genüsslich ein Avocado Toast essen und dem neusten Gossip aus Lala-Land lauschen.

Unsere Liebe für George Clooney hat uns immer vereint – die Distanz LA/Hamburg leider getrennt. Zum Glück gibt es SoMe und das Château Marmont, wo wir uns alle Jubel Jahre mal treffen „to catch up“, wie der Amerikaner sagt. Als ich Christine nach einem O-Ton (so nannten wir das früher beim Fernsehen) zu meiner Coronalogie fragte, schrieb sie mir glatt eine ganze Einleitung für ihr (hoffentlich) nächstes Buch: „La in den Zeiten der Chorona“ – hier ihr wundervoller Bericht:


In Deutschland wird “gelockert”, bei uns soll “aufgemacht” werden, und ehe dieser entsetzliche Mensch im Weißen Haus uns überstürzt aus dem Hausarrest in eine fast bürgerkriegsartige Aufbruchstimmung reißt, will ich mal eben so entspannt, wie’s halt möglich ist, erzählen, was geht in Los Angeles. Und was nicht.

Zum Beispiel schlecht geht es – den Paparazzi. Ist nicht auf jedermanns Prioritätenliste, ich weiß: Aber ich fand den Bericht darüber in der “Los Angeles Times” herzergreifend. Denn wenn schon die Hitmen mit der Kamera arbeitslos sind, dann ist unsere große, tolle, blubbernde, kreative Traumstadt wirklich im Innersten getroffen.

Paparazzi und Entertainment-Industrie, das ist nämlich nicht nur ein parasitäres Verhältnis – etwa wie Hund und Zecke, Virus und Wirt –, sondern auch ein existentielles. Damit meine ich nicht mal das technische Problem, vor dem Fotografen stehen, deren Objekte den lieben langen Tag zu Hause rumsitzen (alle Restaurants, Bars und Soho-Häuser sind dicht). Und wenn Promis mal vor die Tür gehen, binden sie sich eine Maske um; Vorschrift. Nix mit roten Teppichen: Als rares Highlight gilt, wenn Stars eine Mammutpackung Klopapier erlegen und nach Hause schleifen. Das ging anfangs noch als echter Hingucker für “People” oder “Gala”. Aber wie oft kann man den Redaktionen solche lahmen Bilder verkaufen? Und wer will das sehen? Gossip-Magazine und -Webseiten schrumpfen ihre Bildhonorare, und selbst die scham- und skrupellosesten Skandalfotografen, die gerade noch sechsstellige Summen für manchen Klick eingeschoben haben, darben.

Nun ist Corona in der Glamour-Metropole L.A. so gefürchtet wie überall auf der Welt. Aber was das Virus mit sich bringt, also die Pflicht zu Social Distancing und Quarantäne: So definiert man in Los Angeles die Hölle. Die Pandemie ist schrecklich, aber schrecklicher noch ist das Nichts, das sich auftut für ganze Industriezweige, die vom Social Aufdränging leben.

Ich stand neulich im Supermarkt neben einem Herrn mit schwarzem Mundschutz und Sonnenbrille – kann echt sein, dass es Ben Affleck war. Interessant fand ich, dass sich kein Mensch nach ihm umdrehte: Auch Batman verliert in diesen Zeiten seinen Nimbus, hat sich doch die ganze Welt das Mantra “We are all in this together” verordnet. Das ist ein immens tröstlicher Gedanke für uns Normalsterbliche; für Superhelden aber irgendwie ernüchternd. Ben, wenn er’s war, kaufte Tiefkühlkost. Klopapier war an dem Tag alle.

Zum Glück sind gerade die Ex-Royals in Bel-Air unterwegs und suchen ein kuscheliges Zuhause. Lichtblick für unsere notleidenden Paparazzi! Megan in Maske ist zwar nur an den begleitenden Bodyguards im SUV erkennbar, aber hurra, Prinz Harrys Karottenkopf reißt die halbe Fotografengilde aus ihrer Corona-Depression; nur eine Burka würde alles vermasseln.

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In dem Canyon, wo ich morgens mit dem Hund spazierengehe, war heute der Regisseur Paul Thomas Anderson joggen. Es war ziemlich früh und ziemlich leer, wir beide trugen keine Maske (damit meine ich den Mann und mich: Der Hund ist ein Pitbull und hat den Anderthalb-Meter-Abstand quasi eingebaut, kaum jemand kommt ihm je zu nahe). Wir beide, also Mann und ich, fingen uns aber giftige Blicke ein, als wir zu den Autos zurückgingen: “Mask Shaming” ist in vollem Gange. In unserer Nachbarschafts-App – die theoretisch auch Harrys künftigen Wohnort erfasst – diskutieren die braven Bürger von Bel-Air, ob das Vermummungsgebot Gassigänge im Grünen betrifft. Und was soll man mit renitenten Nackt-Läufern anstellen, die Cops rufen? Mein Partner-in-Crime hat sich heute früh ein wenig geschämt, glaube ich; ich hab wie immer alles auf den Pitbull geschoben und gemurmelt, Masken machten ihn “nervös” (Merke: Nichts isoliert so gründlich wie ein Kampfhund).

Cashi beim Spaziergang

Apropos Isolierung. In der kleinen Ladenzeile am Ende unserer Straße brummt es normalerweise von gestählten Bel-Air-Grazien, die sich dort mit Smoothies und Yoga-Outfits eindecken. Jetzt ist das Karree eine Ghosttown. In einem der Geschäfte sieht man sonst Reality-Starlets aus der TV-Serie “The Real Housewives Of Beverly Hills” turnen: Es ist ein Pilates-Studio mit riesiger Fensterfront, in dem jetzt einsam die Reformer vor sich hin stauben. Ich habe mich immer gefragt, wer um Gottes Willen vor Laufpublikum seine lumbopelvischen Regionen stretchen will: Jetzt vermisse ich die Ladys. Ich vermisse ihre aufgedrehten Power-Lunches, die sie im Bistro nebenan filmen, ihre Fake-Freundschaften, Gott, ich vermisse sogar ihre Fake-Brüste. Nie war ich ein Fan ihrer Serie, aber jetzt, wo wir alle ungeschminkt in der eigenen Butze schmoren, sehne ich mich nach diesen unschuldigen Zeiten, in denen man unter Social Distancing Luftküsschen verstand, hmm-wah, hmm-wah.

Wo ist das normale Los Angeles, also das Fake-L.A.?! Keiner meiner Freunde und Bekannten, die im Filmgeschäft arbeiten, hat gerade irgendetwas zu tun; etwas, das bezahlt wird, meine ich. Ein Drehbuchautor, der noch vor ein paar Wochen in Prag eine Ritterserie gefilmt hat, schnarrt jetzt seine Kinder an, sie sollen nicht sein Geld beim Starbucks-Drive-Thru aus dem Fenster schmeißen, Kaffee gäb’s auch zu Hause, sei ja keine Rarität wie Tütenhefe. Eine Kinoproduzentin klagt, sie “pitcht” und “pitcht”, aber niemand gibt ihr grünes Licht, nicht mal die Streaming-Dienste, die sie vor einem Jahr noch verachtet hat. Und der Fernsehproduzent, der so erfolgreich ist im Romanzengeschäft: Er sieht kein Happy-End für seine Branche und fühlt sich wie in einem Horrorfilm, die Angst vor Corona raubt ihm den Schlaf.

Obwohl Trump seine Anhänger schon massiv aufhetzt, man solle sich von so einem blöden Virus nicht terrorisieren lassen, hat Kaliforniens Gouverneur alle Parks und Strände dichtgemacht. Die Freeways, normalerweise ein doppel- und trippelstöckiges Geflecht aus Asphalt und Abgasen, sind leergefegt, alle Skater und Muskelberge von den Promenaden in Venice Beach verjagt, und im rummeligen Downtown findet man plötzlich die schönsten Parkplätze; aber was will man da.

“Rush Hour” dauert bei uns praktisch rund um die Uhr, jetzt zwitschert man in zehn Minuten mal eben ins Valley, was sonst leicht zum Tagesausflug ausufert. Die breiten Boulevards im San-Fernando-Tal sind chronisch verstopft, es wimmelt von riesigen Autohöfen, Taco-Ständen, 99-Cent-Läden, dazwischen mexikanische Reisebüros, Schulen, Stau, Menschenmassen, Lärm – – – – alles Geschichte. Auf den Straßen sieht man fast nur noch Obdachlose. Ihre Zelte kleben am Boulevard entlang wie Spinnenkokons, ihre Siedlungen aus Plastiktüten, Umzugskartons und Einkaufswagen wachsen mit jedem Tag, der das Verkehrschaos lahmlegt. Manche Läden sind mit Sperrholzplatten verrammelt. An den Kreuzungen stehen Mexikaner und halten Neonschilder hoch: “Masken 5$”.

Im Briefkasten lag heute das Flugblatt einer Nachbarin, die ihre Arbeit anbietet. Sie fleht danach geradezu. Sie würde Alte pflegen, einkaufen gehen, bei Bedarf macht sie vegane Eiskrem. Und eine Freundin hat ein Probeexemplar ihrer selbstgenähten Atemschutzmasken geschickt, himmelblau und viel zu schön, um einfach reinzuschnaufen. Sie würde lieber Brot verkaufen, seufzt sie, aber Hefe sei überall aus. Es fängt wieder an zu rumoren in der City, die Leute wollen was tun, Scheiß-Corona. Wir alle vermissen Los Angeles.

Gestern Abend trottete ich mit dem Hund am Sunset Boulevard, wo normalerweise der Verkehr rauscht. Es war gespenstisch still. Kein Mensch unterwegs, still lagen die Villen in ihren Gärten. Der Hund pinkelte andächtig an die Hecke von Jeff Bezos’ frisch gekauftem Anwesen. Es duftete überall nach Rosen. Die Luft ist derzeit so klar, man konnte richtig viele dicke Sterne am Himmel sehen. Es war unglaublich schön, sowas erleben wir in Los Angeles eigentlich gar nicht.

Klar will ich, dass bald alles wieder normal ist. Aber so ein bisschen unnormal wäre toll.

 


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  • Super beschrieben

    Sehr anschaulich beschrieben, ich konnte es mir richtig gut vorstellen und auch nachvollziehen, wie klein die Welt doch wird ?