Schichtwechsel

 

Von einem Leben mit und ohne Overall

Kal Ruttenstein, Vice President vom Luxuskaufhaus Saks, sah trotz der New Yorker Finanzkrise zufrieden aus. Er hatte mal wieder den richtigen Riecher gehabt. Die Frauen aus der Upper East Side rannten ihm die Türen ein, nachdem er im Time Magazin verkündet hatte, dass der Jumpsuit die wichtigste Silhouette für den Herbst sei. Er war einer der einflussreichsten Modeeinkäufer in den USA und war der Style-Schiedsrichter über „in“ oder „out“. 1975 war der Jumpsuit absolut mega-in. Grace Jones, Bianca Jagger und selbst First Lady Betty Ford besaßen einen. Aber die Saks Kundinnen wollten nicht irgendeinen Jumpsuit, sie wollten einen von Yves Saint Laurent. Es war seine Idee gewesen den ordinären Overall, wie ihn Monteure oder Klempner trugen, in einen eleganten Modeanzug zu verwandeln. Nicht zu vergessen, dass er, wie zuvor beim Smoking, ein weiteres männliches Kleidungsstück für Frauen zugänglich machte. Er war aus Gabardine gewebt und statt eines Reißverschlusses schloss man ihn mit Knöpfen. Ein Gürtel betonte die Taille und machte die Frauen dadurch noch weiblicher. Alles Funktionale war nur noch Dekor, die Epauletten auf den Schultern, die Taschen auf den Hosenbeinen oder die Stoffriegel, die die aufgekrempelten Ärmel oben halten sollten. Er war nur schön.

Silikon und Wandfarbe auf Baumwolle

Damals in den 80ern wusste ich nichts von Saint Laurent oder Jumpsuits. Mein erster Jumpsuit war immer noch ein Overall und hieß jetzt Blaumann. Ich bekam ihn zum Anfang meines Kfz-Praktikums ausgehändigt und ich hatte viel Mühe in ihn reinzusteigen. Nur mit viel Schulterarbeit und durch leichtes Springen schaffte ich es, in ihn hineinzuschlüpfen. Ich glaube, dass er auch deswegen auch Jumpsuit heißt, weil man mit dem Umziehen wenig Zeit verschwenden wollte: Reinspringen, fertig und losschuften. An meinem ersten Tag fror ich schrecklich in diesem Ding. Mein Fehler war es, dass ich mir keine Hose und Pullover drunter angezogen hatte. Der feste Baumwollstoff des Overalls soll im Grunde die eigentliche Kleidung, die man darunter trägt, vor Schmutz und Dreck schützen. Aber seine Funktion interessierte mich damals nicht, ich wollte nur aus dem Ding wieder schnell raus und ich war froh, als nach vier Wochen der Spuk vorbei war. Ich wünschte mir seitdem nur eines: keinen Overall und keine Werkstatt mehr. Damals, fing ich von einem White-Collar-Job zu träumen.

Es kamen keine "Anzugsjobs" und so arbeitete ich zum Beispiel als Student in den Semesterferien bei Beiersdorf an einer Metallstanze und auch hier trug ich wieder einen Overall. Jeden Morgen um fünf nahm ich den ersten Bus, um pünktlich bei der Frühschicht zu sein. Im Männerumkleideraum empfing mich immer ein Poster mit der Schauspielerin Farrah Fawcett, die einem sehr engen Jumpsuit trug. Obwohl er alles bei ihr verdeckte, zeigte er ironischerweise viel mehr. Für Glamour hatte ich in der Frühschicht leider keinen Sinn. Wir Arbeiter zogen unseren Overall müde an und hingen unser Leben in den Spint. Nach einer lauten und schweren Schicht war ich einfach nur fertig und wollte ins Bett. Der Overall war mal das Kleidungsstück der Moderne, er war das Symbol für den technologischen Fortschritt. Arbeiter trugen ihn mit Stolz, weil er Hoffnung auf bessere Zeiten machen sollte. Männer in Overalls hatten Arbeit und ein Einkommen für Träume – für sehr kleine Träume. 

Bauhaus: Spätwerk mit starken Einflüssen von Moltofill

 

Als vor wenigen Monaten bei uns eine neue Heizung eingebaut wurde, beschloss ich mir einen Overall zu kaufen, weil ich unsere Wohnung renovieren wollte. In einem Onlineshop fand ich dann auch einen passenden Overall, der mich an meine Arbeit in Lagern, Werkstätten und Fabriken erinnerte. Dieser Overall nannte sich Rallye Kombination KTH737 und war immer noch nicht „Rive Gauche“. Ich sprang in alter Manier in meinen neuen Overall und fühlte mich da drin sehr wohl. Er war jetzt keine Bedrohung mehr. Ich war versöhnt mit ihm. Selbst wenn ich unsere Baustelle verließ, behielt ich ihn an. Er war jetzt mit Farbe vollgeschmiert und hatte stellenweise etwas von Jackson Pollock. Aber am meisten irritierte mich, dass es das erste Outfit bei mir war, welches bei Frauen Eindruck machte. Sogar die stille Buchhändlerin machte mir ein Kompliment. Das war mir in einem Anzug bisher noch nie passiert. Ruttenstein hatte recht, so ein Overall oder Jumpsuit macht wirklich eine schöne Silhouette, egal ob man ein Buch oder einen Hammer dazu trägt. Da musste Yves einfach zuschlagen. 


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