Es ist der Sehnsuchtsort für die internationale Kunstcrowd. Alle zwei Jahre heißt es good to be back. Allerdings weniger wegen der kunsthistorischen Schätze in Venedig, sondern für die zeitgenössische Kunst. Die Kunst-Biennale füllt von Anfang Mai bis Ende November die Pavillons und Gebäude in den Hotspots Giardini und Arsenale mit Malerei, Videokunst, Installationen und Skulpturen. Aber auch jenseits dieser beiden Hauptorte gibt es Kunst in versteckten Palästen, Kirchen und natürlich Museen zu entdecken. Sich auf diesem arty trail treiben zu lassen, macht nirgendwo so viel Spaß wie in dieser morbiden Kulisse. Und das meistens fernab von wuseligen Touristenspots der Serenissima. Hier meine Tipps für diese arty Nebenschauplätze.
1. Dysfunctional – Ca’D‘Oro
Siebzehn Designer und Künstler treffen mit ihren Arbeiten auf alte Meister vom Feinsten im Ca‘D’Oro. Ein faszinierender Dialog von Alt und Neu. Das Goldene Haus ist einer der ältesten Paläste Venedigs. Seit 1927 beherbergt es die hochkarätige Kunstsammlung des Barons Giorgio Franchetti, die mit der Ausstellung Dysfunctional in die Jetztzeit geholt wird. Da steht ein mit schwarzem Velourleder bezogenener überdimensionierter Diwan namens Double Bubble von Rick Owens zwischen alten Gemälden und Skulpturen. Offwhite-Designer Virgil Abloh hat schief stehende Möbel aus Bronze beigesteuert. Die Installation Alaska Alaska Acqua Alta ist auch der kritische Gedanke Ablohs zum Klimawandel und Venedigs besonders fragilem Ökosystem. Einfach nur zauberhaft sind die schillernden, gläsernen Seifenblasen der Verhoeven Twins – ihr Name Moments of Happiness ist mit Blick auf den Canale Grande sofort Programm.
Ganz besonders sind die kleinen Lämpchen vor einem Bild des Renaissance-Malerstar Andrea Mantegna. Die Lichtkunst aus echten Pusteblumen von Studio Drift findet sich übrigens auch im Königsschloss Huis ten Bosch von Willem und Maxima der Niederlande.
2. Fondazione Prada – Jannis Kounellis
Wesentlich reduzierter ist die Soloschau von Jannis Kounellis in der Fondazione Prada. Von Ca’D’Oro aus geht es am schnellsten zur Fondazione per Traghetto. Das ist Venedigs Gondola-Fährverkehr über den Canale Grande. Ich fühle mich herrlich venezianisch, wenn ich mit lauter Einheimischen, für nur zwei Euro über das Wasser schippere. Vom Markt an der Rialto-Brücke sind es fünf Minuten Fußweg. Der Palast der San Cassiano Familie wurde im 18. Jahrhundert gebaut und ist seit 2011 ein Museum des Modeimperiums Prada. Mit Alltäglichem wie Kohle, Kaffeepulver oder Alltagsgegenständen hat der griechische Künstler Kounellis (1936-2017) wirksame Kunst geschaffen. Seine dramatischen Rauminszenierungen passen erstaunlich gut in diesen Palast. Und die goldene Wand mit simplem Garderobenständer samt Hut und Mantel ist unglaublich fotogen.
Unheimlich hingegen, die unter der Decke schwebenden Kleiderschränke oder zugemauerte Türen. Bei Jannis Kounellis stimmt für mich dennoch alles – die Räume werden schlicht umwerfend gefüllt.
3. Must-do Palazzo Fortuny
Von einem Ah und Oh-Palast zum Nächsten. Der Palazzo Fortuny aus dem 15. Jahrhundert ist echter „Blast from the Past“. Hier hat Mariano Fortuny gewohnt. Der spanische Modedesigner und Künstler bezaubert bis heute mit Lampen wie aus Tausendundeiner Nacht. Seine Stoffe und Kleider, die er in den 20er Jahren kreierte, sind heute noch aktuell. In den beiden oberen Stockwerken des Palastes kann ich in seine Welt eintauchen.
Der belgische Interiordesigner Axel Vervoort hat hier zu den vergangenen Kunst-Biennalen Welten mit einem eklektischem Mix aus Kunst und Fortunys Einrichtung geschaffen. Dieses Mal hat er die Retrospektive von Yun Hyong-Keun aus Südkorea kuratiert. Wunderbar reduziert tritt dessen einfache, aber einprägsame Malerei so gar nicht in Konkurrenz zu Fortunys Magie.
4. The Spark is you – Musikkonservatorium
Zeitgenössische Kunst aus dem Iran steht im Musikkonservatorium Benedetto Marcello am Campo Santo Stefano im Mittelpunkt. Die in London beheimatete Stiftung Parasol Unit hat mit The Spark is you einen faszinierenden Dialog der Kulturen geschaffen. Wie vital die Kulturszene im Iran ist, zeigt sich schon im Hof der Akademie mit riesigen, abstrakten Bilder von Navid Nuur und coolen Skulpturen von Sahand Hesamiyan. Der Brückenschlag a la Goethes West-östlicher Diwan geht im ersten Stock des Palastes mit Videos, Skulpturen und Malerei weiter – poetisch, kritisch und sehr sehenswert.
5. Günther Förg – Palazzo Contarini Polignac
Weiter geht es über die nahegelegene Akademiebrücke zum Palazzo Contarini Polignac. Dort ist die abstrakte bunte Malerei von Günther Förg zu sehen. Seine Werke passen unglaublich gut in die romantischen Räume. Diese sind sonst der Öffentlichkeit selten zugänglich – schon deswegen ein absolutes Muss. Herrlich dieser Spiegelsaal, das kleine intime, nudefarbene Esszimmer, das grüne Kaminzimmer... hach, Malereien und Bronze-Skulpturen von Förg immer irgendwo dazwischen - an Wänden, auf Tischen oder Kommoden.
Der verdächtig schräge Boden im zweiten Stock des Renaissance-Palastes erinnert an die venezianische Gegenwart. Alles verschwindet. Fotografieren ist in diesen prächtigen Räumen streng verboten, denn alles ist privat. Kunst und Palast-Interieur müssen ganz old school im Kopf gespeichert werden.
6. Sean Scully – Basilika San Giorgio Maggiore
Mit dem Vaporetto fährt man bequem von Dorsoduro zur Insel San Giorgio Maggiore. Der irische Künstler Sean Scully hat mit seiner Skulptur Opulent Ascension einen 10 Meter hohen Farbenrausch in die Basilika aus dem 16. Jahrhundert gesetzt. Sieht toll aus. Ein bunter, begehbarer Turm aus Bauklötzen, die mit Filz bezogen sind.
Wer weiter durch die Sakristei in das angrenzende Kloster geht, sieht in der Ausstellung Human Scullys Malerei, poppige Fensterarbeiten, weitere Stapel-Skulpturen und amüsante Zeichnungen, die im Dialog mit den Mönchen entstanden sind. Unbedingt im Klostergarten vorbeischauen, dort schlängelt sich eine riesige Skulptur aus farbigen Glasbausteinen von Pae White über den Kies. Eine Überbleibsel der Kunst-Biennale vor zwei Jahren.
Noch ein Wort zur Biennale May you live in interesting times
Die Kunst-Biennale in Venedig ist die Mutter aller Biennalen. Zwei Tage Zeit für Arsenale und Giardini sind schnell um. Der Kurator der 58. Biennale, Ralph Rugoff, hat für seine Hauptausstellung 79 Künstler eingeladen. Und präsentiert sie mit einem Werk in den Giardini und einem anderen im Arsenale. Das ganze wird zum Kunst-Memory für das Zeit nötig ist. Unter den insgesamt 90 nationalen Pavillons findet jeder seinen persönlichen Favoriten. Der französische Pavillon in den Giardini von Laure Prouvost ist 2019 der heimliche Star. Den Goldenen Löwen hat jedoch der litauische Pavillon mit seiner Strandoper Sun & Sea, Marina gewonnen. Der Pavillon liegt versteckt im Ortsteil Castello. Die Suche wird mit bezaubernder Performance belohnt. Und regt bei aller Schönheit zum Nachdenken über Massentourismus und das auf dieser Biennale allgegenwärtige Thema Klimaerwärmung an. Im übrigen ganz ohne erhobenen Zeigefinger.
Wo essen?
Herrlich ist es, an einem kleinen Kanal im Stehen mit einem Aperitivo in der Hand Cicchetti zu essen. Besonders gut sind die kleinen Köstlichkeiten die in der Cantine del Vino gia Schiavi. Ein anderer Klassiker ist die Osteria Enoteca Ai Artisti (sehr klein, bitte reservieren).. Wer auf slow food schwört, dem empfehle ich das minimalistisch gestylt Local. Und da jeder, der in Venedig war, DEN weltbesten Italiener in petto hat: mein Geheimtipp ist das Bacaro da Fiore mit den köstlichsten schwarzen Spaghetti. Auch gut das Locanda Montin: das Restaurant war der Favorit von Peggy Guggenheim und an den Wänden hängt überall Kunst. Für den classy aperitivo am frühen Abend finde ich es sehr entspannt im Caffe Florian auf dem Markusplatz zu sitzen.
Bei Americano oder Negroni den Blick auf den sich von Touristen leerenden Platz genießen. Und zu guter Letzt für den günstigen Espresso auf die Schnelle und gehe ich ins Quadri. Schräg gegenüber vom Florian. Unbedingt an der kleinen Bar stehen bleiben, dann klappt es auch mit dem Espresso für 1 Euro 50. Wer sich setzt, zahlt den Markusplatz-Aufpreis. Das ist dolce vita italiana.
Und wo übernachten?
Das Gabrielli Sandwirth ist mein Favorit in Venedig. Die Biennale ist quasi um die Ecke, eine Vaporetto-Haltestelle ganz nah. Man hat einen herrlichen Blick auf die Insel San Giorgio Maggiore. Die Zimmer, des Palastes aus dem 14. Jahrhundert sind modern, renoviert und cool eingerichtet. Die Dachterrasse ist perfekt für den sundowner jenseits des Touristen-Trubels.
Eintritt oder nicht?
C’A’Doro, Fondazione Prada und Palazzo Fortuny kosten Eintritt, ebenso die Biennale. Der litauische Pavillon ist kostenfrei zu besichtigen, ebenso die Musikakademie mit The Spark is you, Günther Förg und Sean Scully. Viel Spaß!
Juliane Rohr ist Journalistin, lebt in Berlin und schreibt derzeit vorwiegend über Kunst. Monatlich kann man ihren Ausstellungstipps auf Kochen, Kunst und Ketchup folgen. Auf Instagram ist sie unter jr.artynotes zu finden.