Im Osten was neues

30 Jahre Mauerfall. So-Sue-Gastautorin Berit Großwendt über Ost-West-Erfahrungen und die neuen Powerfrauen in ihrem Heimatland Thüringen

Mir geht es wie vielen Ostfrauen meiner Generation: Ich schleppe meine Vergangenheit mit mir herum wie eine alte Tasche, die über Nacht aus der Mode kam. In den Second-Hand geben? Verweigert einem die eigene Historie. Obwohl: Die neue It-Bag aus dem Westen war ja sowieso viel schicker! Lang ersehnt und hart umkämpft, bis sie einem schließlich geschenkt, ja regelrecht aufgedrängt wurde, damals vor 30 Jahren. Mit ihr ging es hinaus in die Welt. Traumziele entdecken, Traumkarriere machen und jede Menge Freiheiten genießen.

Meine DDR-Tasche hole ich ab und zu aus der Schublade, wie jedes Jahr in den Tagen um den 9. November – einer Zeit voller Melancholie. Damals verwob sich meine persönliche Geschichte mit der Weltgeschichte. Heute blicke ich sehnsüchtig auf all die Hoffnungen und Ängste kurz nach dem Fall der Mauer – aber auch in die fragenden Gesichter vieler „West“-Freunde und Bekannter. Sich das Leben in der finsteren DDR vorzustellen, fällt eben immer noch nicht leicht.

Foto: @heidigumpert

Finster? Ist es hier schon lange nicht mehr, aber diese Erkenntnis kommt bei einigen nicht an. Auf der einen Seite scheint von der Sternstunde der deutschen Geschichte nicht mehr viel übrig zu sein – das zeigen die traurigen Ergebnisse der jüngsten Landtagswahlen hier in Thüringen, die mich sehr nachdenklich stimmen. Auf der anderen Seite habe ich tatsächlich Begegnungen mit gleichaltrigen Menschen, die noch nie in den neuen Bundesländern waren. Es erstaunt mich ernsthaft, wenn jemand im Jahr 2019 weder eine kultige Zeitschrift noch eine bekannte Musikband oder einen ehemaligen Fernsehstar aus dem „ehemaligen Osten“ kennt, oder ich gefragt werde, wie es denn so war, das Leben bei uns – damals auf der anderen Seite der Mauer.

Meine West-Premiere hatte ich Ende der 1990er-Jahre. Wie Katharina Thalbach neulich in einem Interview erzählte, träumten wir eigentlich gar nicht von Hamburg oder Düsseldorf, sondern von Paris und New York – Ziele, viel weiter westwärts. Doch der Weg schien zu lang, die Hürden zu hoch, damals jedenfalls. Das Gefühl dieser Zeit: einfach raus. Nichts war mir fremder als meine Heimat, die nicht mehr gefragt war und mit der ich nichts anzufangen wusste. Ich ging trotzdem für kurze Zeit nach New York, und reihte mich ein in die Schar gut ausgebildeter Akademikerinnen, die schnell wegwollte aus Thüringen oder Brandenburg Richtung Bayern oder Nordrhein-Westfalen.

Es fiel nicht schwer. Zonenkinder von Jana Hensel, das Buch der Stunde, war damals noch nicht geschrieben; Angela Merkel nicht in Sicht, im Gegenteil: was nach Osten roch, war bäh. Ein Identitätsverlust, der den Mut der Menschen beiseiteschob, Lebenserfahrungen verbannte, Geleistetes ignorierte. Ich sehe darin die Ursache, dass sich die Generation ’89 nie im Positiven etablieren konnte.

Was uns Abenteuerinnen zu dieser Zeit im Westen erwartete: neue Freundinnen, Kolleginnen, Geschäftspartnerinnen, alle überragend tough, welterfahren, sprachbegabt und modisch tippi toppi, aber auch festgefahren in den Rollenklischees der alten Bundesrepublik. Was für ein Culture Clash! Hier die westdeutsche Selbstbewusste, die mit dem ersten Kind und einem gutsituierten Ehemann zur Hausfrau mutiert. Da die ostdeutsche Schüchterne, fachlich eins A, aber naiv und keine Ahnung von der Welt. Sich trauen, das zu zeigen, was man kann? Fehlanzeige! Eine Erfahrung, mit der ich erst einmal umgehen musste.

Foto: @jenaparadies_de

Bis ich begriff: Westfrauen waren nicht schlauer oder hübscher, sie hatten nur gelernt, lautstark auf sich aufmerksam zu machen – oder einen Millionär zu angeln. Wir dagegen sind erzogen worden von Frauen und Müttern, die Gleichberechtigung schon vor der Wende lebten, aber eben kein Aufhebens darum machten. Die Kinder, Karriere und Küche unter einen Hut bekamen, notfalls auch ohne Mann, weil die Bedingungen dafür da waren und weil dies eben eine Selbstverständlichkeit war. Erfolgreich, ja, aber möglichst bescheiden und unauffällig bleiben, das hatten wir sozialistisch verinnerlicht. Ein Motto, das uns Ostfrauen jahrelang im Weg stand, auch mir.

Wenn für Katarina Witt heute die Ostfrau ein Gütesiegel ist, dann trifft sie mit dieser Feststellung den Nerv der Zeit. Frei, unabhängig, weitgereist und mittlerweile ebenso selbstbewusst zieht es viele von ihnen wieder zurück, nach Leipzig, Schwerin oder wie mich nach Jena.

Ostdeutsche Aufbruchsstimmung, die Zweite. Diesmal initiiert von Powerfrauen, die alles wollen und können: nach vorn streben, trendy sein, Glamour verbreiten, Gesicht zeigen, zusammenarbeiten, vernetzen, politisch engagieren und für den Erhalt von Demokratie und Freiheit kämpfen. Die innovative Start-up-Unternehmerin, die schlaue Ärztin, die taffe Agenturchefin oder die kreative Fotokünstlerin – sie alle lassen sich nicht abschrecken von der missmutigen Stimmung im Land. Im Gegenteil: Diese Frauen organisieren sich in Netzwerken, halten zusammen und wollen etwas bewegen in der alten Heimat. Mit der Vergangenheit im Blick und der Zukunft zugewandt fühlt sich ihr Leben gerade an wie eine aufpolierte Lieblings-Bag, die zur neuen Begleiterin wird.


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