Knuths Lost & Found Oktober 22

 

Zum Ende der Saison reiste Knuth auf die Nordseeinsel Föhr. Was er bei seinem herbstlichen Ausflug zwischen Ebbe und Flut erlebt hat, könnt ihr jetzt hier nachlesen. Dazu seine Kulturtipps mit Büchern und Filmen. Irgendwie kommen diesmal viele Vögel vor. Zufall oder nicht, mehr wird nicht verraten.

#Tidelands

Oktober 2021 – Luftige Erschöpfung breitet sich über die kahlen Felder aus. Verzweifelt erheben sich die Äste der Bäume gegen den Herbstwind. Die Blätter fallen und dürfen nicht bleiben, wo sie den Frühling und Sommer verbracht haben. In alle Himmelsrichtungen treiben die Böen sie weiter. Einigen gelingt es, sich in Ackerfurchen zu versammeln, ob Eiche oder Linde spielt hier keine Rolle, eng umschlungen suchen sie hier gemeinsam Schutz. Gräben und Teiche sind bedeckt mit Laub, wo sie Kontinente bilden. Bunt werden sie bald in der Tiefe versinken.

Ich fahre mit dem Rad durch die goldbraune Landschaft der Insel Föhr. Genieße die Marschlandschaft und den Sonnenschein. Am Ende der Saison sind hier draußen kaum noch Menschen unterwegs. Ab und zu werde ich von ungeduldigen Rentnern wachgeklingelt, damit ich ihnen Platz mache, wenn sie mich mit ihren E-Bikes überholen. Die Akkus geben ihnen die Kraft der jungen Jahre wieder, ich störe nur ihr Vergnügen. Warum haben es alte Menschen immer so eilig frage ich mich? Gerne hätte ich sie angehalten, um mehr zu erfahren. Aber mit Ihren Antworten sind sie längst weiter gehetzt.

Während ich weiter in die Pedale trete, verspottet mich ein Schwarm Stare. Ihr Spott geht so: Immer, wenn ich an sie herangefahren komme, fliegen sie auf, um nur ein paar Meter wieder zu landen. Leicht und schön zeigen mir die Vögel ihre Überlegenheit. Dieses Spiel wiederholen sie noch viele Male, bis ihnen der Mensch auf dem Rad langweilig wird.

Überraschend drängeln Wolken das kühle Blau zur Seite. Es wird sehr dunkel. Kräftiger Regen zieht auf. Ein grauer Mantel legt sich über die Natur. Was eben noch wie ein in Butter gebackenes Schnitzel aussah, verwandelt sich in wenigen Minuten in einen trostlosen grauen Brotteig. Unter den Augen von Hunderten von Nonnengänsen, die hier einen Zwischenstopp eingelegt haben, versuche ich in meine Regenhosen zu steigen. Meine Ungeschicklichkeit wird mit lautem Schnattern kommentiert. In der Tundra gibt es so was sicherlich nicht zu sehen.

Es wird richtig ungemütlich.

Mutig strampel ich weiter am Deich entlang und verkrieche mich immer tiefer in meinem Outdoor-Kokon. In der Ferne entdecke ich den Kirchturm von Niblum, der einfach stoisch das schlechte Wetter über sich ergehen lässt und viel mutiger ist als ich. Wahrscheinlich hat er schon Schlimmeres erlebt. Der Regen hört auf. Es ist ein guter Moment, um die andere Seite des Deiches zu erkunden, denke ich und halte an. Oben auf der Deichkrone blökt ein Schaf, als wäre es ein Hofmarschall, der meine Ankunft im Watt ankündigt. Es ist Ebbe. Auf welligen Meeresgrund gehe ich der See entgegen. Die Kulisse ist einmalig. Sollte ich jemals einen Science-Fiction-Film drehen müssen, wäre das Watt das perfekte Setting für einen fernen Planeten. Immer wieder bleibe ich stehen und beobachte durch mein Fernglas Vögel. Scharen von Alpenstrandläufern tippeln aufgeregt über den Schlamm. Die Austernfischer wirken dagegen viel ausgeglichener. Bei ihrer Nahrungssuche benehmen sie sich wie verwöhnte Kreuzfahrtgäste, die ein reichhaltiges Buffet begutachten.

Weiter komme ich leider nicht, meine kleine Safari endet. Die Priele laufen schon wieder voll. Ich staune, wie schnell das Meer wieder zurückkommt und kehre um. Auf meinem Rückweg finde ich eine tote Eiderente. Die Flut hat dem Erpel im Sand ein schönes Bett bereitet. Sein Kopf liegt unter seinem Flügel, es sieht so aus, als würde er friedlich schlafen und träumen. Gern würde ich ihn wieder zurück ins Leben hieven.

Zurück auf dem Deich, schau ich mich noch einmal um. Die Sonne kommt wieder raus. Der liebe Gott probiert wohl neue Instagram-Filter aus, der Himmel ist so sattblau, dass ich es kaum glauben kann.

Das Meeresrauschen wird lauter.

Die Wellen kommen wieder.

Sie bringen neue Ewigkeiten mit.

Das ist sicher.

 

 ***

 Auf Twitter habe ich gelesen, dass eine Lehrerin beobachtet hat, dass Kinder, die viel auf TikTok unterwegs sind, sehr schnell und abgehackt sprechen. Und dann habe ich in der SZ gelesen, dass der plötzliche Anstieg des Tourettesyndroms gar nichts mit der Erkrankung zu tun hat, sondern auf einen beliebten YouTuber zurückzuführen ist, der an Tourette leidet. Die Jugendlichen hatten sein Verhalten einfach gespiegelt und am Ende glaubten sie selbst, dass sie Tourette haben. Beide Berichte finde ich total spannend, ich würde so gerne wissen, wie diese junge Social Media Generation mal später so drauf ist.

 


 

 Ted Lasso

 

Vergiss alle Psychologieratgeber und sag alle deine Coachingtermine ab. Schau einfach Ted Lasso, hier lernst du beispielsweise, wie du ein Team führst, dich in Menschen hineinfühlst und sie begeisterst. Ted Lasso ist ein mittelmäßiger College-Football-Trainer (das Spiel mit Helm), der nach England kommt, um ein schlechtes Footballteam (das Spiel ohne Helm) in der englischen Premier-League zu trainieren. Klar gibt ihn keiner eine Chance. Aber mit einem großen Herz, paar kleinen Tricks und Kabinenansprachen, die Obama-Reden würdig sind, überzeugt er seine Elf, Verein und Fans. Wunderbare Comedy-Serie, die auch Nichtfußballfans unbedingt sehen sollten. Warum? Football is Life!

Ted Lasso , Staffel 1 – 2  auf Apple TV+

 


 

Das Ereignis

 

Frankreich in den 60er-Jahren. Die Studentin Annie wird ungewollt schwanger. Das hart erkämpfte Studium ist in Gefahr. „...Um meine Situation gedanklich zu fassen, gebrauchte ich keines der Worte, die sie üblicherweise bezeichnen, weder „ich erwarte ein Kind“ noch „ich bin schwanger“....Es lohnte sich nicht zu benennen, was wegzumachen ich beschlossen hatte...“ Damals waren in Frankreich Abtreibungen illegal. Es folgen Episoden der Angst, Scham und Demütigungen. Knappe scharfe Worte über ein schreckliches Ereignis. PS: Ich bin Annie-Ernaux-Fan und habe sie schon letztes Jahr im Februar und August vorgestellt. Wer Lust hat, kann dort meine anderen Empfehlungen nachlesen.

Das Ereignis - Annie Ernaux, 104 Seiten, Suhrkamp

 


 

 Auslaufmodell Supermarkt

 

Demnächst in deinem Supermarkt: Mit deinem Handy checkst du die Waren, siehst den kompletten Lieferweg und Produktion, wie oft du es gekauft hast, wer es geliked hat und was du damit kochen kannst. Übrigens Kochen! Das muss du auch nicht mehr selber machen. Deine Einkäufe gibst du direkt im Supermarkt an einer Küche ab, wo dein Wunschgericht zubereitet wird. Falls du etwas vergessen hast, bestellst du es einfach online nach. Innerhalb von 30 Minuten kommt ein autonomer Lieferwagen mit deinem Einkauf vorbei. Alles easy, alles bargeldlos und ohne Warteschlangen, weil alles automatisiert ist. Das ist keine Zukunft mehr. In China gibt es bereits solche Supermärkte, die das alles können. Wie sich der Supermarkt verändern wird, das erfährst du in der ARTE-Dokumentation.  

Auslaufmodell Supermarkt – ARTE Mediathek

 


 

 Bach: The Art of Life

 

Toll, dachte ich, über zwei Stunden Bach und seine Kunst der Fuge. Aber warum diese Auswahl? Ich bin Klassikhörer, aber ich bin kein Klassik-Nerd und dachte, die PR-Prosa des Plattenlabels könnte mir weiterhelfen, aber warum sollte sie besser sein als die PR-Prosa eines Waschmittels? Ich fand nur Hochkultur-Geschwurbel. Pianist Daniil Trifonov führt uns hin zur Fuge und beginnt mit den Werken der Bachsöhne und Klavierbearbeitungen von Brahms, bis er zu seiner Fugeninterpretation kommt. Ein gutes Konzeptalbum. Trifonov zeigt die Wege zur Fuge. Beim Zuhören habe ich viel gesehen und viel verstanden. Danke.

Bach: The Art of Life – Daniil Trifonov, Deutsche Grammophon.

 


 

Krähen

 

Zu den schlausten Tieren, die das Tierreich zu bieten hat, gehört die Familie der Krähen- und Rabenvögel. Sie sind verspielt, neugierig und benutzen Werkzeuge. Forscher glauben sogar, dass sie die kognitiven Fähigkeiten von Menschenkindern haben. Hunde oder Katzen sind dagegen echte Dummbatzen. Ich fand diese Vögel schon immer sehr faszinierend und war dankbar, als mir das Buch „Krähen“ in die Hände viel. Jetzt im Winter fallen die Vögel wieder auf, vielleicht eine gute Gelegenheit, mehr über sie zu erfahren.

Krähen – Cord Reichelmann, Judith Schalansky, 155 Seiten, Mathes & Seitz

 

Vielen Dank für Deine Zeit. Du hast bestimmt noch etwas Besseres vor, lass dich durch mich nicht weiter aufhalten. Genieße den Herbst und beobachte Raben – vielleicht mit Bach. Bis zum November. Bis bald!

 


 

Knuth Kung Shing Stein ist Gründungsmitglied von SoSUE und unterstützt noch weitere Marken als PR Berater und Content Curator. Er selbst beschreibt seine Arbeit als „irgendwas mit Medien“. Der Hamburger würde am liebsten auf einen Berg mit Strand ziehen. Mehr über Knuth erfahrt ihr auf seiner Website Collideor and Scope


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