#bingewatch
Juli 2020 – Neuerdings zappe ich mich durch die Hamburger Stadtteile. Ich habe die Stadt nach Fernsehsendern und Streamingdiensten sortiert. Natürlich nicht alle, nur meine Gebiete, die ich in meinem Programm regelmäßig durchstreife. Mein Stadtteil Eimsbüttel zum Beispiel ist eine Mischung aus ARD, Netflix, KiKa, Alpha Bildungskanal und Pro 7. Ich lebe in einem Hipster-Streichelzoo mit lauter Beautys und Nerds. Die Männer sind die Beautys. Mark Forster ist ihr Style-Gott. Sie sammeln Sneakers, Vinyl und posten ihr Mittagessen auf Instagram. Die Frauen sind hier die Nerds. Sie sehen aus wie die Prusselise aus Pipi Langstrumpf. Kunterbunt in Vintage-Zara mit Dutt, Goldrandbrille und immer im Erklär-Loop. Außerdem tun hier immer alle so, als hätten sie die Hauptrolle in einem Film, der auf dem Sundance-Filmfestival außerhalb des Wettbewerbs läuft.
Die Sternschanze, Ottensen, St. Pauli und das Karoviertel sind so etwas wie RTL 2, QVC, Sky, Sonnenschein TV, Disney Channel und History. Hier geht es zu, wie in einer Dauerwerbesendung. Diese Gegendkultur aus Wut, Brauchtum und Bräsigkeit braucht für ihre Daily Soap einen besonderen Schmierstoff, damit der Streetcredit immer am Laufen bleibt. Dieser Schmierstoff heißt „damals“. Damals Hans Albers. Damals G20. Damals Tocotronic. Damals Geile Meile. Damals FC. St. Pauli. Damals Jan Delay. Ohne „damals“ gucken hier alle in die Röhre. Und auf Werbepausen hat hier wirklich keiner Bock.
Das ZDF findet in den Vierteln Eppendorf, Pöseldorf, Nienstedten, Blankenese, Alsterdorf und Harvestehude statt. Überall strahlt einem ein Claus-Kleber-Marietta-Slomka-Lächeln entgegen. Ein Fernsehgarten mit Sendungsbewusstsein. Weitere Lieblinge auf dem Performance-Index sind: NDR (wegen Sylt), ORF (wegen Kitzbühel), 3Sat (wegen Zürich), Amazon Prime (wegen gab-es-umsonst-dazu), DMAX (wegen anderen-bei-der-Arbeit-zuschauen), ARTE (wegen der Tierfilme) und nicht zu vergessen RTL (wegen Dieter).
Die Hamburger Innenstadt einschließlich der Hafencity sind MDR, RBB, BR, WDR, SWR, HR, RB, SR, NDR und SWR. Rund um das Hamburger Rathaus läuft ausschließlich Regionalfernsehen. Also die Dritten, die ganz am Ende in meiner Programmbelegung liegen. Meistens höre ich hier auf zu Zappen und schalte ab.
Tatsächlich schalte ich ab. Ich mache jetzt Urlaub. Mal sehen, wo es mich dieses Jahr hintreibt. Bei Corona mag ich nicht weit und lange reisen. Meine Mitmenschen sind mir zu kuschelig geworden. Aber jetzt erst einmal, was mich im Juli begeistert hat.
Eurovision Song Contest – The Story of Fire Saga
Was macht ein durchschnittlicher Sänger in einem kleinen Fischerdorf auf Island? Er träumt vom Eurovision Song Contest. Lars größter Wunsch ist es, sein Land im Finale zu vertreten. Will Farrell als Lars ist sehr komisch. Pierce Brosnan als fieser hübscher Vater ist genial. Wer auf ESC-Blödsinn und überdrehte Storys steht, den kann ich diesen Film nur empfehlen. Alles dabei. Mein Lieblingssong ist: Jaja DingDong. Er hat das Zeug zum Hüttenhit und soll als Vorbild deutsche Schlager haben.
The Story of Fire Saga - jetzt auf Netflix
Giovannis Zimmer
„...Doch leider können Menschen sich die Menschen ihren Ankerplatz, ihre Liebhaber und ihre Freunde ebenso wenig aussuchen wie ihre Eltern. Das Leben gibt sie und nimmt sie und die Schwierigkeit liegt darin, zum Leben ja zu sagen...“ Als ich diesen Satz las, wusste ich sofort, dass es mein Buch ist. James Baldwins Roman über die Affäre zwischen zwei Männern, darf in keinem Bücherregal fehlen.
Giovannis Zimmer – James Baldwin, dtv, 207 Seiten
Randonautica App
Lust mal seine Umgebung kennenzulernen. Die App Randonautica erstellt Ortskoordinaten, die wir besuchen sollen. Bei mir war es ein kleiner Park an der A7 in einer Mischzone aus Wohnsiedlung und Gewerbegebiet. Ich gebe zu, dass es reizvollere Ecken in Hamburg gibt. Aber es war lustig. Die App soll laut Branchendienst OMR „enorm erfolgreich“ sein. Tatsächlich wird die App auf Tiktok ständig genannt, weil Jugendliche sich einen Spaß daraus machen ins Unbekannte aufzubrechen. Für den Staycation-Urlauber, der schon alles in seiner Stadt gesehen hat, vielleicht eine Bereicherung.
Randonnautica – App im Google Play Store und im App Store
Whitney: Can I Be Me
Whitney Houston wurde nur 48 Jahre alt. Sie starb an einer Überdosis Drogen. Für ihre Fans ist sie aber an gebrochenem Herzen gestorben. Der Dokumentarfilmer Nick Broomfield und Musikvideo-Regisseur Rudi Dolezal haben mit vielen Weggefährten gesprochen. Wenn Ruhm einen Menschen tötet. Traurig. Dramatisch. Sehenswert.
Whitney: Can I Be Me – ARTE Mediathek und auf Netflix
Tru & Nelle
Tru ein kleiner dicker Junge verbringt seine Sommerferien in Monroeville, Albama. Für die dortigen Verhältnisse ist er ein wenig extravagant gekleidet und er sucht Freunde zum Spielen. Er trifft auf Nelle. Eine sehr aufgeweckte Streunerin, die sich wie ein Junge benimmt. Zusammen verbringen sie den Sommer und suchen nach einem lösbaren Kriminalfall. Ihre Freundschaft wird lange halten. Als junge Frau besucht sie Tru später in New York. Beide werden berühmte Schriftsteller. Tru schreibt „Frühstück bei Tiffany“ und Nelle schreibt „Wer die Nachtigall stört“. Schönes Jugendbuch, dass auf einer wahren Geschichte beruht - unbedingt lesen.
Tru & Nelle – G.Neri, Verlag Freies Geistesleben, 281 Seiten
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Knuth Kung Shing Stein ist Gründungsmitglied von SoSUE und unterstützt noch weitere Marken als PR Berater und Content Curator. Er selbst beschreibt seine Arbeit als „irgendwas mit Medien“. Der Hamburger würde am liebsten auf einen Berg mit Strand ziehen. Mehr über Knuth erfahrt ihr auf seiner Website Collideor and Scope.