Während ich diese Zeilen schreibe, überfliege ich Rio Richtung Iguazu. Unter mir erstreckt sich noch einmal die ganze Bandbreite dieser flirrend – verwirrend schönen Mega-Metropole Süd-Amerikas. Ich überfliege die Copacobana, wo gestern noch über eine Million Menschen, ganz in weiß gekleidet, das neue Jahrzehnt gefeiert haben: Mit Samba und Eimern voller Caipirinha. Mit Blumen für die Meeresgöttin und einem Feuerwerk, das die Nacht zum Tage werden lässt. Von der Dachterrasse unserer Hotels im Emiliano sieht der Strand aus wie ein Wimmelbild von Ali Mitgutsch: Menschenmassen unterschiedlicher Couleur, soweit mein Auge reicht. Ich kann nicht anders, die Menschenmasse zieht mich an – ich mische mich unter die pulsierende Menge und lasse mich anstecken von den Samba-Rhythmen und der Euphorie in dieser Nacht.




Ich bewundere die Brasilianer für ihre natürliche Lebensfreude und diesen Körperkult. Rio liebt es leger: kurz-knappe Sporthosen und hautenge Tops sind Stadtuniform. Kein Gucci, Celine und Co. – alles viel zu viel. Nein, die Masse ist amorph. Ein Lachen im Gesicht und eine auffällige Lebendigkeit sind die Accessoires, die es gilt zu besitzen. Da tanzen Menschen im Meer ohne dass Musik spielt. In Rio gibt es große und sehr weitläufige Strände, aber an der Copacobana rücken sich die Menschen bewusst auf die Pelle und zu Sylvester sowieso.
Da wird der Strand zum Stadtstaat mit Zeltburgen, Kleinst-Kiosken und künstlerischen Sandfiguren und alle fünf Meter wird etwas anderes angeboten: Muschelketten, Blumenbänder, Bikinis, gebratene Scampis oder bunte Zuckerwatte. Tabletts mit Cocktails werden kunstvoll durch die Menge getanzt und Badewannen voller Sekt & Champagner liegen gut eingegraben in Sandbuchten abrufbereit. Verdursten wird heute Nacht niemand und geschlafen wird auch nicht – dafür getanzt und zwar Samba…“wir tanzen Samba, wir Tanzen Samba die ganze Nacht“ Die Rhythmen reißen mich mit und meine Füße scheinen plötzlich ein Eigenleben zu entwickeln. Ich tanze mich fast in Trance, bis mich das Feuerwerk um Mitternacht aufschreckt und mich in die Wirklichkeit zurückholt. Ich bin in Rio, einer 6.5 Millionen Stadt, in der arm und reich ziemlich eng Seite an Seite leben, die Uhren generell etwas langsamer laufen und die Temperaturen um diese Jahreszeit gern mal bis 40 Grad raufklettern.




Vier volle Tage sind für Rio eingeplant und ich sauge jeden Moment intensiv auf, sehe verfallene, morbide Paläste aus Allendes „Geisterhaus“ und daneben schicke Neubauten von Star-Architekt Oskar Schnitzer. Darf die moderne Kathedrale bewundern, in der fünftausend Menschen Platz finden, wenn der Papst zu Besuch kommt, fahre den Zuckerhut rauf und reihe mich immer wieder in Warteschlangen, um die Sehenswürdigkeiten Rios zu bewundern. Geduld ist eine Tugend und hier wird sie auf eine harte Probe gestellt. Bei der Jesus-Statue fühle ich mich wie vor dem Turm zu Babel: so viele Sprachen vermischen sich zu einer einzigen Soundcloud. Es geht nicht ums verstehen oder um den atemberaubenden Ausblick auf die imposante Stadt zwischen Bergen und Meer, sondern um ein Selfie mit Jesus. Eine kurze Verschnaufpause finde ich im Sockel der Statue – hier ist kaum jemand.


Ich fahre nach Santa Theresa – das ist so etwas, wie das Karo Viertel von Hamburg: Viele kleine Lädchen mit Vintage, Trödel und Kunst, offene Bars, in denen Live Musik gespielt wird und Pubs, wo Fußball – Volkssport No.1, geschaut wird. Hoch oben über der Stadt weht hier ein laues Lüftchen und ich könnte ewig bleiben, wenn mich nicht meine Neugierde auf noch mehr Rio weitertriebe. Der schönste Blick über die Stadt bietet sich mir vom Zuckerhut. Pünktlich zum Sunset klatschen die Menschen die Sonne ins Meer und genießen die anschließende Dunkelheit, die sich wie ein großer Teppich ausbreitet und sich auf uns legt. Fast zeitgleich gehen die Lichter an der Copacobana und Ipanema an und funkeln mit den Sternen um die Wette. „Oh Augenblick verweile…“, denke ich und steige andächtig wieder in die Gondel nach unten.




Ipanema (Wasser ohne Fische) steht am nächsten Tag auf dem Programm und natürlich habe ich Getz Gilberto und sein Mädchen aus Ipanema im Ohr, während ich diesen bunten Stadtteil durchlaufe. Rauf und runter und am Ende ist immer der Strand in Sicht. Kleine Restaurants, Boutiquen, Salons und viel Grün geben diesem Viertel seinen Hippie-Charme. Junge Familien, Beachboys und hippe Hostel-Gäste schieben sich auf dem viel zu engen Trottoir aus wund aufgerissenem Kopfsteinpflaster. Ich schlängele mich durch die Straßen und schaffe es in keinen Laden reinzugehen. Das Überangebot an weißen Sommer-Fummeln erschlägt mich und ich bin satt, bevor ich überhaupt Appetit bekomme. Dafür habe ich eine neue Leidenschaft entdeckt: Acai. Ich teste es in jedem Viertel, und vergleiche, wo es wohl das beste Acai gibt - es gibt nämlich himmelweite Unterschiede in der Zubereitung. Dieser Superfood-Fruchtbrei ist herrlich sämig in der Konsistenz, erfrischend kalt und ich bilde mir ein, ähnlich wie Asterix und sein Zaubertrank, super Kräfte davon zu bekommen.



Jedenfalls spüre ich keinen Jetlag und viel Schlaf scheine ich dieser Tage auch nicht zu brauchen. Die Stadt wühlt mich auf und ich stelle mir vor, wie es wäre, hier zu leben; die brasilianische Lebensfreude überträgt sich ganz automatisch auf mich und meine Laune hellt sich jeden Tag ein wenig mehr auf. Am vorletzten Tag werde ich sogar übermütig und buche einem Flug mit einem Gleitschirm, gebe mein Leben in die Hände eines brasilianischen Parachute-Piloten und springe in ein Tal, in der Hoffnung auf ein unvergessliches Erlebnis und eine sichere Landung. Beides erfüllt sich an diesem letzten Tag des Jahres, als ich hoch über der Stadt und dem Meer mit den Vögeln schwebe. Es ist so still dort oben und mein Herz, noch vom Startsprung aufgewühlt, beruhigt sich langsam und ich schließe meine Augen, um dieses Gefühl der unbeschreiblichen Leichtigkeit zu vertiefen. Bei der Landung setze ich soviel Adrenalin frei, dass ich kurz weinen muss. Aber das ist ok, habe ich doch gelernt, dass Tränen, die ich im alten Jahr vergossen habe, der perfekte Nährboden für die Samen von etwas Neuem sind.


Danke Rio für Dein ehrliches Gesicht und die Lebensfreude, die Freundlichkeit und das lange Warten in den Schlangen, die mir ein Stück mehr Gelassenheit beigebracht haben; dass Du mir gezeigt hast, dass es nur sehr wenig braucht, um glücklich zu sein und man nur dem richtigen (Samba) Beat folgen muss, um innerlich Luftsprünge zu machen.
Wie sagt doch ein brasilianisches Sprichwort? „Alles kommt zu dem, der warten kann“. Espero ver-te em breve (Ich hoffe auf ein baldiges Wiedersehen)
Tipps:
- Allgemein sollte man ohne große Garderobe und Schmuck nach Südamerika reisen. Rio ist gefährlich, wenn man diese Spielregel nicht beachtet.
- Bitte vorher informieren, welche Viertel einigermaßen sicher sind. Ich habe mich nie unsicher oder bedroht gefühlt, aber es gibt natürlich immer wieder Überfälle.
- Abends in Restaurants direkt vorfahren lassen und nur tagsüber durch Viertel, wie Santa Thersa schlendern. Uber hat einen hervorragenden Service in Südamerika und kann bedenkenlos genutzt werden. Aber auch alle gelben Taxis und öffentliche Busse. U-Bahn – vor allem, wenn man auf den Plan schauen muss, würde ich vermeiden.
- Das Fasano Hotel in Rio-Ipanema (auch in Sao Paulo und Punta del Este sind absolute Oberknaller – leider auch sehr teuer)
- Das Emiliano ist auch ein sehr schönes Boutique Hotel an der Copacobana mit tollen Blick über die Bucht. Wer es mondän mag, steigt im Copacobana Palace ab. Aber es gibt so viel andere und schöne kleine Hostels und Gasthäuser in Rio. Am Besten einfach mal in die Suchmaschine eingeben, was gewünscht ist.
- Tickets für den Zuckerhut oder Jesus-Figur und ähnliche Ausflüge immer online oder über das Hotel vorbestellen. Das verhindert zwar nicht die Warteschlange, dauert aber nicht ganz so lange.
- Wenn ihr nur wenig Zeit für Rio habt, empfehle ich einen Reiseführer(in) – es ist immer eine Bereicherung mit den Augen eines Locals in die Gepflogenheiten einer fremden Kultur einzutauchen. Berner Travel ist sehr gut connected und kann ich guten Gewissens empfehlen.
- Meine Stationen könnt ihr in den Highlights in den SoSue Stories sehr gut nachvollziehen. Tolle Vorschläge für einen perfekten Tag in Rio gibt es übrigens auch bei Lonely Planet.


Anbei noch ein paar Tipps von Trip4Kids, die ich zum Teil auch ausprobiert habe. Alles noch top aktuell:
- Alessandro & Federico: Das ist ein sehr nettes Restaurant in Ipanema zum Frühstück, Lunch und Dinner. http://alessandroefrederico.co
- Sushi Leblon: Das beste Sushi der Stadt gibt's hier. Unbedingt reservieren! https://www.sushileblon.com/
- Zaza Bistro: Das ist ein uriges Bistro in der Nähe des Strandes, hier sitzt man auf Kissen am Boden oder auf der Terrasse. Sehr nette Stimmung. http://www.zazabistro.com.br/
- Sheraton Hotel: Das Hotel ist etwas ausserhalb, hat aber eine super Lage, einen eigenen Strand und einen sehr schönen Garten mit großem Pool. Hier kann man sehr gut zum Sundowner hingehen auf einen Drink oder mittags zum Lunch. Es ist ein großer Kasten und nicht sehr hübsch. Aber hier macht es die Lage. Die deutsche Fussballnationalmannschaft war hier während der WM in Brasilien. https://www.marriott.com/hote
- Aprazivel in Santa Teresa: Dieses Restaurant hat mit den besten Ausblick auf Rio. Man sitzt in einem lauschigen Garten mit Lichterketten und es ist eine sehr schöne Stimmung. Überhaupt ist der Stadtteil Santa Teresa toll. Es ist ein Künstlerviertel und hat eine besondere Atmosphäre. Auch tagsüber einen Ausflug wert. Unbedingt reservieren und mit dem Taxi vor die Tür fahren lassen. http://www.aprazivel.com.br/
- Hotel Vila Santa Teresa: sehr hübsches Boutiquehotel mit einem Mega Ausblick und gutem Restaurant "Beatriz". Auch tagsüber zum Lunch oder auf einen drink toll. https://www.vilasantateresa.co
- Shopping: Tolles Shoppingcenter mit brasilianischen und internationalen Designer findet man im Shopping Leblon- Av. Afrânio de Melo Franco, 290 - Leblon, Rio de Janeiro - RJ, 22430-060, Brasilien
- Kleine Geschäft und Boutiquen findet man am besten in Ipanema oder Leblon
- Sonntags ist in Ipmanema immer Hippie Markt, da gibt's nette Mitbringsel und lustige T-Shirts mit Aufdruck
- Unbedingt einen Abstecher in den Botanischen Garten einplanen: Man schlendert durch riesige Palmen im Schatten durch den tropischen Garten, es gibt ein nettes Café für einen kleinen Lunch. Mit Taxi hinfahren. http://www.jbrj.gov.br/
- Natürlich darf ein Ausflug zum Corcovado nicht fehlen. Dort auch bis zur Zahnradbahn mit dem Taxi und dann mit der Bahn hoch. Einfach so schön da.
- Zuckerhut: Ist ganz in der Nähe von der Copacabana. Mit Taxi hin und Ticket kaufen. Ein bisschen Zeit mitbringen. Da ist es manchmal sehr voll. Auch abends toll.
- Innenstadt: es gibt ja nicht so viele alte Gebäude, aber in der City gibt es einen ganz schönen Altstadtkern. Besonders toll ist das Museum, das Theater und die kleine Fussgängerzone. Aber alles sehr voll und touristisch.
- Ausflug nach Buzios: falls Ihr Zeit habt ist auch ein Ausflug dahin toll. Das ist das Saint Tropez Brasiliens mit vielen netten Pousadas, Restaurants und einem tollen Strand. Leider sehr voll an Silvester.
Rio
Wirklich schöner,sehr persönlicher Reisebericht !!!
Irgendwie erinnernt mich das ein wenig an Lissabon mit seiner Morbidität und trotzdem, oder gerade deswegen, Schönheit...
wenn ich noch reisen könnte...ich würde Deinen Spuren un Anregungen sofort folgen !!
liebe Grüße
Karin