Mutter & Tochter

 

„Du bist wie deine Mutter“ - früher habe ich diesen Satz als Beleidigung empfunden. Tatsächlich gilt er unter Paartherapeut*innen als einer der tödlichsten Sätze in einer Beziehung. Weil niemand so sein will, wie seine Eltern: korinthekackerig, hysterisch oder selbstgerecht. Oder wir im Fall meiner Mutter: frech, fordernd und auf Krawall gebürstet.

Inzwischen denke ich: Wäre ich doch mehr wie meine Mutter. Als allein erziehende Frau mit drei Kindern von zwei Männern und einem eigenen Business hat sie mir und den Patientinnen in ihrer Frauenarztpraxis finanzielle Unabhängigkeit, Patchwork und Empowerment vorgelebt – und zwar schon zu Zeiten in denen diese Begriffe noch nicht in aller Munde waren. 

Im Gegenteil: Ich hatte früher das Gefühl, dass wir Freaks sind und meine Mutter auf viele Menschen einschüchternd wirkt. Eben weil sie so selbstbestimmt lebte und zu jeder politischen oder gesellschaftlichen Debatte ihre Meinung lautstark mitteilte. Sie ließ sich von niemandem, wie man so schön sagt, auf die Theke scheißen.

Nach dem Suizid meines Vaters war es schwer für sie einen Partner auf Augenhöhe kennenzulernen. Sie brauchte keinen Versorger, suchte sich Friends with Benefits oder jüngere Männer, die keine Kohle, dafür aber Humor hatten und Supertramp-Lieder auf der Gitarre spielen konnten. Als Kind verglich ich unsere Familie mit denen aus der Nachbarschaft und schämte mich dafür, dass es bei uns erst um 15 Uhr Mittagessen gab.

Erst als erwachsene Frau begreife ich den großen emanzipatorischen Moment dahinter. Meine Mutter wollte nie wieder von einem Mann abhängig sein, weder finanziell noch emotional. Sie ging arbeiten, gesellschaftliche Erwartungen, wie sie als Frau zu sein habe (und wann die richtige Zeit fürs Mittagessen ist), waren ihr egal, denn sie war von dem Konzept mehrfach enttäuscht worden. 

Mich als Tochter hat das geprägt. Patriarchalische Strukturen sind mir bis heute fremd, weshalb ich nicht nur in meinem Beruf, sondern auch Beziehungen immer wieder anecke. Aber ich sehe es inzwischen nicht mehr als Makel, sondern als Charakterstärke, auch wenn ich im Gegensatz zu meiner Mutter nicht immer in der Lage bin meine Bedürfnisse klar zu definieren.

Dabei wächst jedes fünfte Kind in Deutschland nur einem Elternteil auf – meist bei der Mutter. Durch eine Studie der European Society of Human Reproduction and Embryology wurde wissenschaftlich bestätigt, was ich als Tochter einer Single Mom erlebt habe: Kinder, die von einer Single-Mutter groß gezogen werden, sind genauso glücklich wie die Kinder, die zwei Elternteile haben. Ich denke, dass ich alle meine sozialen Kompetenzen wie mein Verantwortungsbewusstsein oder Organisationstalent meiner Single Mom zu verdanken habe, auch wenn ich das erst jetzt wertschätzen kann.

Parallel ist aber das Risiko, depressiv zu werden, bei alleinerziehenden Müttern im Vergleich zu Müttern, die in einer Partnerschaft leben, bis zu dreimal höher. Auch das habe ich aus nächster Nähe erlebt: nicht nur das Empowerment einer Frau Anfang 40, sondern auch den Preis, den sie dafür bezahlen musste. Jahrelange Einsamkeit in einer Lebensphase von der man sagt, dass Frauen unsichtbar werden. Mit 43 Jahren verstehe ich, selbst in einer Beziehung lebend, was das bedeutet.

Aber meine Mutter hat sich nie aufgegeben, so als hätte sie geahnt, dass das Leben als Rentnerin für sie mehr bereithalten wird, als Golfspielen und Enkelkinder hüten. Und tatsächlich: Mit 75 Jahren hat meine Mutter die Liebe für den Rest ihres Lebens wiedergefunden: John, ein Amerikaner, den sie aus Studienzeiten kennt. Die Beiden hatten sich 50 Jahre nicht gesehen. Aber seine Erinnerungen an die Einzigartigkeit meine Mutter waren so lebendig, dass es nur ein paar Telefonate brauchte, bis ihre Liebe neu entflammte. „Deine Mutter ist das frechste Mädchen, das ich je kennengelernt habe“, sagte John zu mir, als ihn fragte, was er an meiner Mutter mag. Er hat Recht. Das ist sie auch mit fast 80. Und genau für diesen Spirit liebe ich sie. Ich hoffe, ich werde mal wie sie.


Alexa von Heyden arbeitete als Modejournalistin und Bloggerin u. a. für Vanity Fair, Stern und Zitty. 2007 gründete sie ihr Schmuck-Label vonhey. Sie lebt in Berlin. Im letzten Jahr hat sie das Landleben für sich entdeckt und tauschte ihre Altbauwohnung in der Stadt gegen ein Haus am See im Grünen.


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