Irgendwann trifft es jede Frau: die Wechseljahre. Die Autorin Karina Lübke über ihren kalten Hormonentzug. Den Versuch, das Gleichgewicht trotz Herzklopfen und Schlafstörungen im Leben wiederzufinden.
Von Karina Lübke
Von den Wechseljahren erwartete ich jede Menge - hauptsächlich Gutes. Kinder hatte ich genug, und von Bauchschmerzen und Stimmungsschwankungen in der Regel mehr als genug. So freute ich mich auf die multimedial verheißene Freiheit vom Diktat der Hormone. Stylische Vorbilder für die modernen Golden-Girls-Zeiten gibt es auf Instagram genug: Alterslose Elfen mit seidigen, weißen Haarmähnen, die Luftsprünge am Meer machen und hinterher Avocados mit grünen Sojabohnen naschen. Als vor zwei Jahren J. Lo (53) und Shakira (44), beide super sexy während der Halbzeit des US-Superbowl athletischer performten als die Footballer spielten, bestätigte das sämtliche großen Hoffnungen. Auch im Spiel des Lebens wird die Halbzeit eine Mega-Showtime sein!
Laut meiner disziplinierten Lebensplanung würden die fruchtbaren Tage sanft ausbluten und ein, zwei Wechseljahre später Körper, Hirn und Seele einfach wieder nur mir gehören. Endlich entgiftet vom defensiv stimmenden Östrogen, das wegen der permanenten Nachwuchssorgen von Mutter Natur manipulativ eingesetzt wird, um Paarbindungen zu fördern und Streit zu vermeiden! Ich würde ein Vermögen an Tampons einsparen und frei, glücklich und zufrieden bis an das Ende meiner Tage leben; meine lebensschöpferischen Kräfte würden sich vergeistigen zu fruchtbarer Kreativität. Zudem könnte ich endlich ohne Angst vor ungewollter Schwangerschaft hemmungslosen Sex haben! Ewige Jugend? Heutzutage absolut machbar.
Was soll ich sagen: Als Lifestyle-Event haben mich die Wechseljahre schwer enttäuscht. Und ihr Auftritt dauert viel länger als gedacht. Auch die nervige Vorgruppe namens Perimenopause hatte ich nicht bestellt: Ehe meine Tage langsam wegblieben, traten sie zunächst mal alle zwei Wochen auf - und zwar gleich für neun Tage. Ich sah trotz Avocados, Tofu, Edamame und rezeptfreier Drogen aus der Apotheke nicht aus wie eine alterslose Elfe, sondern wie ein verquollener Vampir. Frustriert warf ich homöopathische Kügelchen, Traubensilberkerze, Mönchspfeffer und Rotklee-Extrakt in den Müll, ging zu Steaks und Rotwein über und schämte mich meiner Disziplinlosigkeit. Kaum trat diese Phase nach unzähligen ungewollten Zugaben endlich ab, sprangen als Hauptgruppe Ein- und Durchschlafstörungen, Dünnhäutigkeit und Herz-Rhythmusprobleme auf die Lebensbühne: Nein, das war kein Wunschkonzert!
Was mich aber zusätzlich deprimierte, war meine naive Annahme, der kalte Hormonentzug müsste mit der richtigen Ernährung und einer positiven Einstellung komplett beschwerdefrei ablaufen. Und das in doppelter Hinsicht: Erstens darf man keine Beschwerden haben, die wären alle nur noncebo eingebildet. Falls man zweitens trotzdem leidet, weil die Wechseljahre nichts für einen tun, außer zu entkräften, entnerven und entfeuchten, einen abzufalten und aufzurunden - dann darf man sich über diese Beschwerden auf keinen Fall beschweren. Denn „Wechseljahrsbeschwerden“ hatte ich als typisches Mitglied der Generation Selbstoptimierung für ausgestorben gehalten wie Schwindsucht und Skorbut. Unnötig. Vermeidbar. Persönliches Versagen. Wer mich in diesem Glauben bestärkte und damit weiter schwächte, waren ausgerechnet andere Frauen: Nämlich die Wechseljahrsstreberinnen, die sich „heute besser fühlen denn je!“ und das wirklich auch JEDEM ungefragt sagen müssen. Es sei ihnen gegönnt! Aber dann sollen sie sich ruhig glücklich schätzen, ohne andere selbstgefällig zu ermahnen, man müsse "einfach nur" genug Wasser trinken, meditieren, viel schlafen und natürlich Milch, Brot, Zucker und Alkohol meiden. Das sei schließlich keine Krankheit, sondern alles völlig natürlich und man dürfe da nicht so ein Theater darum machen. Ich verstehe das ansatzweise, schließlich kämpfen Frauen schon endlos darum, im Beruf als mindestens so leistungsfähig wahrgenommen zu werden wie Männer - und in ein paar Jahrhunderten vielleicht sogar ebenso bezahlt. Es gibt immer noch viele Kerle, die einen übertariflichen Herrschaftsanspruch daraus ableiten, ihre männliche Arbeitskraft wäre stabiler als die hormonell „hysterischer“ Kolleginnen. Mit „Hast du deine Tage oder was?“ wurde wohl schon jede mal jede in einer Konferenz mundtot gemacht. Und jetzt hat man nicht nur seine Tage, sondern seine Jahre. Vielleicht lebenslänglich!
„Leute, wenn Männer diese Probleme hätten, gäbe es längst jede Menge Hilfsangebote und Erleichterungen“
Schon das Wort Meno “Pause“ ist ja komplett falsch: Erstens klingt eine Pause nach Erholung, und zweitens würde es bedeuten, die Eierstöcke würden wie "Mon Chérie" nur eine kurze Winterpause machen, ehe sie heiß ersehnt in neuer Pracht wieder auf den Markt kämen. Haha, frühstens im nächsten Leben! Das jetzt ist nicht nur der kurze hormonelle Sturm vor der Ruhe. Für die einen ist es vielleicht Theater, für die anderen das längste Unwohlsein der Welt. Und da reicht es nicht „einfach dein Mindset zu ändern“. Man kann sich trotz aller Disziplin in seinem Körper gruseln, der ein sicheres Zuhause war und in dem es plötzlich spukt: Die Lichter gehen nachts manchmal unvermittelt an und aus, der Heizungsthermostat scheint defekt, in den Stützbalken knarrt und ächzt es. Es ist nicht alles eine Frage der Einstellung - jedenfalls nicht der mentalen, eine der Hormone schon. Deswegen sollte es auch jeder Frau freigestellt sein, sämtliche verfügbaren Hilfsstoffe auszuprobieren, ohne des Dopings bezichtigt zu werden.
Leute, wenn Männer diese Probleme hätten, gäbe es längst jede Menge Hilfsangebote und Erleichterungen: Kostenlose Therapeutische Chat-Platformen für Schlaflose zwischen drei und fünf Uhr nachts und das große „Los Annos“ Meno-Menü mit Sojabohnen und Rotkleeburger bei McDonalds. Männer bekämen bezahlten Erholungsurlaub im Job und Amnestie für emotionale Ausraster. Frauen dagegen sollen leise heulen. Solange ich also für die Wechseljahre keinen Behindertenausweis für Parkplätze und eine gratis Meno-Bahncard für die Erste Klasse dazu bekäme, möchte ich meinen Hormonstatus nicht mehr diskutieren und keine „hilfreichen“ Ratschläge mehr.
Mittlerweile bin ich zum Glück bei der After-Show Party angelangt. In einer Übergangsmanteltasche fand ich einen Tampon und musste tatsächlich kurz überlegen, was das nochmal war. Meine Eisenwerte sind wieder gut und meine Wochenendplanung ist frei von „Mist, da kriege ich wahrscheinlich meine Tage“. Und der Sex - der ist tatsächlich phantastisch und hemmungslos, ohne Angst vor ungewollter Schwangerschaft. Kann übrigens sein, dass es auch daran liegt, dass etliche Frauen in den Wechseljahren auch noch den Mann an ihrer Seite wechseln. Ja, es gibt ein gutes Leben nach dem Tod der Eier! Aber dass 50 das neue 30 ist, sollte nicht mal jemand glauben, der so schlecht in Mathe ist wie ich.
Karina studierte erst Design, machte ein Diplom in Mode und absolvierte dann bei Wolf Schneider die Hamburger Journalistenschule. Sie wurde anschliessend Redakteurin und Kolumnistin bei TEMPO und schrieb dann freiberuflich für einige Magazine. Ihre monatliche Kolumne "Bitte recht feindlich" in der Zeitschrift BARBARA hat eine große Fangemeinde und ist als Buch erschienen. Zwischendurch heiratete sie, zog eine Tochter und einen Sohn groß. Mehr erfahrt ihr hier.
Ihr neues Buch „Bitte recht feindlich“ ist jetzt im Buchhandel erhältlich. Es geht um Kerle und Kinder und kindische Kerle, um Politik, Gesellschaft, Geld und gute Worte. Und um Liebe – trotz allem. Dieses Buch fasst ihre besten Kolumnen aus der Zeitschrift BARBARA zusammen und enthält neue, bisher unveröffentlichte Texte.