An einem ganz normalen Mittwoch sitze ich bei einer Tüte Erdnussflips und einer Flasche Rotwein „Big Easy“ und lasse den Tag an mir vorüberziehen:
Die Nacht war holprig – mein Sohn hatte wieder über Kopfschmerzen geklagt und das Duell Biden/Trump raubte mir ab 2 Uhr morgens vollkommen den Schlaf.
Wie benommen kämpfte ich mich durch unser Frühstücksritual und befand mich im Wach-Schlaf-Zustand. Erst als meinem Sohn sein Rührei nicht schmeckte, nachdem er am Vortag schon sein Leibgericht Hühnerfrikassee verschmäht hatte, klingelten innerlich bei mir die Alarmglocken. Ich recherchierte eine Arztpraxis, in der wir kurzfristig einen Corona Test machen konnten. Wie in einem schlechten Tatort fuhren wir 2 Stunden später auf einen Parkplatz im schönen Harvestehude. Die Ärztin kam, sah uns und nahm eine Speichelprobe. Das ist zwar unangenehm und vor allem in der Nase spürt man den Stab-(Hoch)Stoß in den Nebenhöhlen noch Minuten später.
Kaum waren wir zu Hause, kam auch schon der Anruf von der Ärztin: Ihr Sohn ist positiv und Sie negativ. Ich musste mich erstmal setzen – so schwindelig war mir plötzlich zumute und der erste Gedanke: es waren die gleichen Gefühle, als ich damals nach der Fruchtwasseruntersuchung das Ergebnis bekam, dass Rufus gesund ist und keine Matilda wird. Der gleiche Schwindel im Strudel der Gefühle: Ja, es ist Corona, nein es ist für ihn nicht lebensbedrohlich und ja, ihr müsst nochmal für einen weiteren Test kommen.
Meine Gedanken schossen wie Fahrgestelle über meine Schienen, schlugen Loopings, um dann jäh in der Sachlichkeit zum Stehen zu kommen: Zeit zum Durchdrehen ist später auch noch! Jetzt erstmal die nächsten Schritte abarbeiten. Alle Betroffenen informieren, recherchieren wann wie wo, Termine absagen und die Woche lahmlegen. Rufus Mut zusprechen und die Versorgung sichern.
Schon immer wieder erstaunlich, wie sehr wir Menschen unter Stress funktionieren.
Den halben Tag am Telefon verbringen- solche Nachrichten überbringt man ja nicht per Whatts App. Ich fühle mich automatisch schuldig – mein Kind könnte andere infiziert haben, dabei könnten ja auch andere mein Kind infiziert haben. Und trotzdem: ich bin in der Bringschuld zum Wohle der Allgemeinheit, und es tut mit unsagbar leid, ich mache mir Vorwürfe und fühle mich wie Don Quijote, der mit Sancho Panza, der gegen Windmühlen galoppiert. Denn: die wenigsten angerufenen Kontakt-Personen verstehen meine Besorgnis und Anweisungen bzw. Rat, was jetzt zu tun sei: dass sie sich auch testen lassen müssen, dass ich sie bei der Behörde melden muss. Mir ist speiübel und ich stelle mir schon mal eine große Flasche Rotwein als Seelentröster bereit. Nur heute, sage ich mir – wohlwissend, dass das eine Lüge ist. Auf Insta platzt das Postfach an guten Wünschen für uns Zwei und es rührt mich, wie viele Menschen an uns denken und schon in genau derselben Situation gesteckt haben. Wie so oft ist diese Plattform ein guter Impulsgeber, weitere Maßnahmen zu überdenken.
Erstaunlich, wie gelassen mein Sohn diese Nachricht aufnimmt: zu Hause möchte er erstmal eine große Portion Brat-Nudeln. Er spricht mit seinem Schuldirektor über die Geschehnisse, als ob es ihn gar nicht beträfe, findet das irgendwie spannend und geht zur Tagesordnung über: Fifa wartet auf seinem Monitor und die gegnerische Mannschaft wartet auf Revanche. Ich lass ihn – vermeintliche Normalität ist erstmal gut zur Beruhigung und ich koche ihm sein Wunschgericht. Er will alleine sein und sich im Spiel verlieren – er weiß, dass er jetzt wieder Homeschooling machen muss und das stresst ihn. Er ist wie ich, liebt es in der Gemeinschaft zu sein und Quatsch zu machen. Ich fühle mit ihm und das erste Mal finde ich es gar nicht so schlecht, eine Playstation im Haus zu haben. Denn jetzt heißt es: Wein trinken und Abwarten – und das ganze 14 Tage lang.
„Morning has broken…“ schön war’s, die vielen guten Wünsche von Freunde und Bekannten haben mich in den sanften Schlaf gehoben – meinen Freund habe ich in sein Ursprungszuhause ausquartiert und wir sind jetzt ganz allein. Nein, ich halte mich nicht von meinem Sohn fern und trage auch keine Maske. Er braucht jetzt meine Liebe und Körperkontakt. Ich glaube ganz fest daran, dass er dadurch schneller wieder gesund wird – und ich mich hoffentlich nicht anstecke. Auch vergangene Nacht bin ich hoch in sein Zimmer und habe mich an ihn gekuschelt, seinen Kopf befühlt und die Fenster aufgerissen.
Er ist so tapfer und tut ganz gelassen. Aber er ist das erste gemeldete Kind an der Schule und es wird die Runde machen…ich versuche ihm die Zeit zu versüßen. Mal sehen, was mir so alles für uns einfällt.
2. Tag Quarantäne
Rufus braucht meine Nähe und schläft bei mir. Nein, ich habe keine Angst, mich zu infizieren und glaube, dass intensive Zuwendung und Streicheleinheiten eine heilende Wirkung haben. Ich erinnere mich, als ich Kind war und mal Grippe hatte – da wurde mir aus Angst vor Ansteckung das Essen vor die Tür gestellt. Das hat mich wohl nachhaltig beeindruckt – jedenfalls mache ich es anders. Ich genieße es, dass Rufy jetzt meine Nähe sucht und nochmal kuscheln möchte. Wir schauen die Nachrichten zusammen und ich versuche ihm die Wahl in Amerika mit den Wahlmännern zu erklären. Er sagt: Mami, weißt Du noch als wir in NYC waren und ich dachte, dass diesem Donald Duck äh – Trump die ganze Stadt gehört? Ja, lache ich, das war ein guter Vergleich. Ich liebe diese Momente mit ihm, denn sie werden immer weniger – die Pubertät klopft gerade an seine Tür und dann kommt wirklich nur das Nötigste aus ihm heraus. Der zweite Tag in Quarantäne fängt besonnen an, ich setze mich mit einem Kaffee auf die Veranda, atme die kühle Herbstluft ein und beobachte wie die Eichhörnchen die Bäume rauf und runter rasen, wie das Laub auf den Rasen fällt und atme tief ein und aus. Frische Luft hat in Zeiten von Corona eine neue Bedeutung bekommen. Vor allem, wenn ich Maske trage, giere ich nach Frischluft. Zu Hause reiße ich alle Fenster auf, als könnte ich das Virus damit auf Durchzug schalten.
Ich genieße noch einen Augenblick die Stille – heute muss ich keine Schulbrote schmieren, dafür muss ich aber jetzt mein Quarantäne Leben organisieren. Der Kühlschrank ist leer und Rufy’s gesamter Jahrgang hat jetzt (seinetwegen) wieder Online-Homeschooling. Er fühlt sich gut damit – hat weder erhöhte Temperatur noch Kopfschmerzen und es gelüstet ihm nach Obstsalat. Ich deute das als ein gutes Zeichen und bestelle beim Obstladen meines Vertrauens eine große Kiste Obst und Gemüse. Ich richte mich ein in der Quarantäne, telefoniere mit dem Gesundheitsamt, Freunden und Familie. Dann folgt ein SoSUE Team-Meeting, wie wir die nächste Zeit auf SoMe und dem Blog gestalten und wer übernimmt, wenn ich ernsthaft krank werden sollte. Ja, es scheint absurd – aber natürlich müssen wir solche Themen anschneiden. Wir sind ein Team und auch wenn ich mich kerngesund fühle, ist es im Bereich des Möglichen, dass auch ich mich infiziert haben kann.
Jetzt aber heißt es einen Plan machen und eine Routine in der Quarantäne schaffen: Zeit- Einheiten für meinen Sohn, Insta-Stories und die nächste SoSUE Kollektion. Die ist nämlich heute ins Haus geflattert und will gefittet werden. Wie? Das weiß ich auch noch nicht – im Zweifel per Video und vorm Spiegel. Der Tag hat viel zu wenig Stunden – am Abend habe ich noch einen Live-talk mit Alfons Kaiser über seine neue Biographie über Karl Lagerfeld. Die Fragen für das Interview stehen, aber einige Passagen möchte ich nochmal lesen. Davor aber noch Essen machen und aufräumen. Keiner mehr da, der mal kommt und hilft. Als ob dem Haus der Stecker gezogen ist – alles so ruhig – kein Sonos, Netflix und der Fernseher ist auch wie von Geisterhand ausgegangen. Dagegen steht meine innere Unruhe und was alles noch auf dem Tagesplan steht. Irgendwann gegen Mittag brauche ich eine Einheit hopsen und online-Sport mit Marcus, danach bin ich wieder ruhiger und komme gut durch. Vor dem Talk gibt’s eine schnelle Pizza und zu Feier des Tages ohne Symptome und zur Einstimmung auf Karl den Großen – ein Glas Champagner! A Bientot
Mein Highlight des Tages: in den Insta - Stories hatte ich gepostet, dass ich kein Waschpulver mehr habe – und plötzlich klingelt es und vor der Tür steht eine Tüte Persil. So dankbar für diese rührende Geste!
Tag 3 Quarantäne
Es ist als ob sich der Tag nur schwer entscheiden kann, ob es Licht werden soll. Der Herbstwind wird langsam kälter und ein grauer Wintervorbote zieht an meinem Fenster vorbei. Ich schleppe mich nach unten in die Küche und taste mich zur Kaffeemaschine vor. Ich brauche vertraute Geräusche heute morgen – das Surren meiner Nespresso Maschine weckt meine Lebensgeister und ja, ich rieche auch noch den Kaffee-Duft. Ich hatte nämlich einen Albtraum – den allerersten seit dem Ausbruch des Virus; das ich nichts mehr schmecke und rieche und an einem Beatmungsgerät hing. Ich vertreibe die schlechten Bilder der Nacht mit Instagram und einem Telefongespräch mit meiner Freundin Steffi: sie geht jeden Morgen an der Elbe mit ihren Hunden spazieren und es ist tröstlich, wenn ich im Hintergrund die Hafen- und Hundegeräusche höre. Eddi frisst schon wieder Scheiße. Ich muss lachen – tun wir das nicht irgendwie alle im Moment. Wir werden doch ganz schön auf die Probe gestellt und der Lockdown im März kommt mir wie ein „Sommermärchen“ vor.
Wir sprechen über die schockierenden Bilder in den Nachrichten und wo das Miteinander und die Empathie geblieben ist? Wie können wir uns motivieren, durch diesen Corona-Winter zu kommen, jetzt wo die Sonne nicht mehr jeden Tag scheint, die Zahlen rasant steigen und ein Impfstoff wohl nicht das Allheilmittel sein wird.
Mein Postfach quillt wieder über und ich sortiere, was meine Follower dieser Tage bewegt. Ich wundere mich, wie viele schon Corona positiv waren und wie wenig darüber gesprochen wird – als ob es ein gesellschaftliches Stigma ist! Viele bedanken sich, dass ich mit unserer Situation so offen umgehe und wünschen mir viel Kraft und noch mehr Vitamin D für die nächsten Tage in der Quarantäne. Jemand empfiehlt mir die Seite von Marc Raschke, einem Kommunikations-Profi vom Klinikum Dortmund, der es schafft, medizinische Themen sehr anschaulich zu erklären. Sofort kehrt meine volle Lebensenergie zurück: Mit diesem Mann muss ich sprechen. Am Besten im Live-Talk. Zum Glück ist er genauso angetan von meinem Thema „Kommunikation in Zeiten von Corona“ und wir verabreden spontan einen Live-Talk am Abend. Jetzt habe ich wieder ein Etappenziel, bin instant gut gelaunt und scheuche meinen Sohn aus den Federn. Das Gesundheitsamt hat gesagt, ich soll ihn“ isoliert halten“ – aber das klingt für mich nach Hunde-Zwinger. Nein Danke – auch auf die Gefahr, dass ich mich anstecke…bin schließlich alt genug und weiß was ich tue. Ich bin fit, habe mich gut ernährt und brav immer Vitamin C und Zink geschluckt. Jetzt können die ganzen Supplements mal zeigen, was in ihnen steckt!
Der Rest des Tages rauscht an uns vorbei – anstelle von Sport wird geputzt – auch das kann in einem Haus mit Treppen schweißtreibend sein. Im „täglich grüßt das Murmeltier-Modus“ schnippele ich schon wieder Obstsalat und gehe im Kopf unserer Vorräte durch: Ja, noch fast alles da. Mittags gibt’s die mit Erbsen aufgerüschten Reis-Reste vom Vortag und abends ein Tomatensoßen- Rezept von Sonia- einer bezaubernden Followerin aus Milano, die schreibt mir, dass sie jetzt nur noch mit Zertifikat auf die Straße dürfen und Italien im Komplett-Lockdown ist. Ich sortiere die Post, und frage mich, warum Pakete verschwinden oder ewig brauchen in diesen Zeiten, Rechnungen aber immer sofort durch den Briefschlitz geschoben werden?
Weiter geht’s im Programm, während ich koche, höre einen Podcast zum Thema Geduld – genau das richtige Vorspiel um mich danach an das Fitting meiner nächsten Kollektion zu setzen. Das muss ich nämlich diesmal irgendwie mit mir selbst hinbekommen: vorm Spiegel, tausend Stecknadeln und Berge von Stoffproben und Farbkarten. Zum Glück ist Rufus jetzt im Online-Unterricht- die ganze Stufe wurde Seinetwegen ausgegliedert. Kein schönes Gefühl, aber ich habe gelernt, mich von Schuldgefühlen zu befreien – im Tango mit dem Virus sind sie völlig fehl am Platz, denn es kann jeden, jederzeit treffen. Auch Rufy hat sich irgendwo angesteckt. Wo? Wir wissen es nicht.
Ach, wenn ich doch wenigstens mal Joni Mitchell zwischendurch lauschen könnte, anstelle nur meinem eigenen Gedanken-Karussell. Ich versuche, mich ein wenig auszuruhen am Nachmittag und fühle mich heute ein wenig wie der eingebildete Kranke. Sind das etwa Kopfschmerzen, die sich sanft über den Hypothalamus von hinten an mich ranschleichen? Mit einer Tüte Gummibärchen prüfe ich, ob meine Geschmacksnerven noch funktionieren und ich befehle mir eine halbe Stunde horizontale Bettruhe. Rufy übt brav seine Klavier-Einheit (nachdem ich ihn fürchterlich erpresst habe, seine Play Station aus dem Fenster zu schmeißen). Eigentlich wollten wir am frühen Abend noch das Laub zusammenkehren, aber morgen ist auch noch ein Tag!
Tag 4 Quarantäne
Leider um 2 Uhr morgen aufgewacht und nicht mehr eingeschlafen. Es sind einfach zu viele Themen gerade auf dem Tablett des Lebens: Die Sorge um Rufy, die Wahlen in Amerika, die zum Teil angsteinflößenden Bilder der Pandemie und meine eigenen Themen, die in der vermeintlichen Ruhe an die Oberfläche kommen. Das alles will verordnet werden und wegdrücken oder mit Arbeit kompensieren scheint im Moment nicht zu helfen. Ein Online Coaching ist vielleicht keine schlechte Idee. In der Zwischenzeit hilft ein morgendlicher Check-up Anruf meiner Freundin von der Elbe. Einfach mal kurz den Tränen freien Lauf lassen – und verbal getröstet werden – wirkt wie ein Pflaster an diesem eigentlich sehr schönen Morgen. Die Sonne bringt meinen Garten zum Leuchten und ich mache ein wenig Turnübungen – auch immer ein guter Seelentröster und Garant, dass es mir danach besser geht. Heute ist keine Schule und meine Energie gilt heute Rufy – und dass er nicht den ganzen Tag Fifa spielt. Leider gelingt mir das nur, indem ich irgendwann die Konsole abbaue und verstecke – auch das Handy wird eingezogen. Erst schmollt er in seinem Zimmer – aber irgendwann kommt er runter und wir spielen Karten – es ist gemütlich auf der Terrasse mit Tee und Schokolade. Wir mummeln uns warm ein und gehen erst rein, als wir gefühlt Eiszapfen sind. Dann gibt’s Kinderessen: Spinat & Fischstäbchen und dann gehe ich früh ins Bett – ein wenig Schlaf nachholen. Ich freue mich, dass Team Biden/Harris gewonnen hat und schlafe traum-los und gedankenlos ein. Bonne Nuit.
Tag 5 Quarantäne
Es ist Wochenende, aber das macht eigentlich keinen Unterschied – für uns steht die Zeit irgendwie still. Rufy ist putzmunter und spielt Fifa. Ich höre sein Jauchzen bis nach unten auf die Terrasse schallen – dieses Geräusch, gepaart mit dem Sound der sonntäglichen Kirchenglocken aus der Ferne ergibt eine sehr beruhigend-beschauliche Soundcloud für mich, denn im Unterbewusstsein rüttelt die Angst schon ganz schön an meinen Nervengerüst. Ich habe Albträume, schlafe schwer ein und wache schwer auf. Scheint die Sonne, so wie heute, werden die trüben Gedanken ein wenig ausgeblendet und ich bin viel an der frischen Luft. Vitamin D soll ja jetzt ganz wichtig sein, sagen alle, die ES schon hatten. Aber Vorsicht, überdosiert soll es toxisch wirken. Mein Postfach mit den liebevollen Wünschen und Tipps gibt mir Kraft, verunsichert mich aber auch gleichzeitig. Too much Information! Ich muss mal zu Ruhe kommen und das fällt mir in dieser Gemütslage wirklich sehr schwer.
Yassi hat mir neue SoSUE Kollektionsteile vor die Tür gelegt, die muss ich heute irgendwie mit Selbstauslöser shooten oder meinem Sohn motivieren… natürlich mit gebührendem Abstand. Es kommt immer wieder die Frage, wie wir das hier machen mit der räumlichen Trennung. Rufy ist meistens in seinem Zimmer, aber zu den Mahlzeiten habe ich ihn gern bei mir – zum einen, weil ich dann besser abschätzen kann, wie es ihm wirklich geht und zum anderen glaube ich auch, dass der familiäre Kontakt heilende Kräfte hat. Auch wenn ich dafür länger in Quarantäne muss. Morgen lassen wir uns wieder testen und dann sehen wir weiter.
Instagram ist mein Fenster zur Welt. Ich schaue in diesen Tagen verstärkt, was die anderen so machen, sammle neue Ideen und lasse mich inspirieren. Ich habe nie fomo (fear of missing out) und werte das mal als gutes Zeichen. Ich freue mich, wenn es anderen Menschen gut geht, das gibt auch mir Kraft und Zuversicht. Und heute gibt es mehr als genug zu feiern: Biden/Harris haben die Wahlen in Amerika endgültig für sich entscheiden können. Das ist doch schon mal ein Lichtblick für die Demokratie. Für uns Frauen ist es ein Meilenstein und wenn alles gut läuft, wird Kamala Harris die erste Präsidentin Amerikas.
Tag 6 Quarantäne
Montag Morgen - mein innerer Wecker meldet sich und unserer Routine fühlt sich schon viel leichter an: schnell Obstsalat schnippeln und Rufy wecken – er hat wieder Homeschooling und ich gleich SoSUE Teammeeting. Mein Team ist erleichtert, dass es uns gut geht und dass Plan B: „es geht mir schlecht und ich kann keine Stories und Tutorials machen“ nicht eintreffen wird. Ich freue mich über den Austausch und Pläne für die nächste Woche. Ich brauche jetzt kleine Lichtblicke für die Zeit nach der strengen Quarantäne.
Das Meeting dauert bis mittags und es ist das erste Mal, seit ich denken kann, dass ich mich freue, dass der Tag schon halb rum ist. Den Rest des Tages verbringe ich vorm Computer und am frühen Abend beschließe ich mir etwas Gutes zu tun: Ein Molke-Bad von Susanne Kaufmann und danach Kinder-Essen mit Kartoffeln, überbackenen Brokkoli und Spiegelei. Rufy und ich sind ganz vergnügt und albern rum. Er möchte gern noch Rangeln – aber zu viel Körpernähe finde ich noch gefährlich. Ich gehe früh ins Bett zum Lesen und höre den Podcast von Hotel Matze mit Joachim Meyerhoff. Der geht 3 Stunden 51 und ist ganz spannend aber irgendwann schlafe ich dabei ein. Am frühen Morgen wache ich auf und es sind wohl die Nacht alle Folgen von Hotel Matze durchgelaufen. Jedenfalls fühle ich mich total vollgequatscht und meine Gliedmaßen fühlen sich bleischwer an. Der Himmel ist grau und einen Augenblick überlege ich tatsächlich im Bett zu bleiben…
Tag 7 Quarantäne
Mein Pflichtgefühl ist noch vor meinem Körper hellwach – schnell raus aus den Federn, bevor ich es mir anders überlege: Rufy sitzt zum Glück schon vor seinem Computer und hat „Humanities“ Ihm ist eingefallen, dass er noch 100 Seiten „Damals war es Friedrich“ lesen muss. Er ist etwas panisch und als ich ihm anbiete, es ihm vorzulesen, blafft er mich an, er wäre keine 2 Jahre alt. Ok – ich atme tief ein und lasse ihn das Problem allein lösen. Ich bin stand bye – bringe ihm das Essen und versuche es – so gut es eben geht, ihn zu motivieren. Sein Zimmer ähnelt einem Pavian-Käfig und eine Spur Süßigkeiten-Papier verrät mir, dass sein Zuckerspiegel ungewöhnlich hoch ist – dazu kaum Bewegung: kein Wunder, dass er aufbrausend ist. Zum Glück geht’s gleich zu unserer Hausärztin: Wir lassen uns beide noch einmal testen und wenn wir negativ sind, dürfen wir morgen wieder raus. Jetzt heißt es abwarten und Tee trinken. Wieder zu Hause merke ich, wie gut uns der kleine Ausflug getan hat: Menschen auf der Straße zu sehen, vorbeifliegende Häuser; einfach ein ganz normaler Dienstag morgen Betrieb. Ich spüre das Pflaster in meiner Armbeuge – die Blutabnahme für den Antigen-Test habe ich gar nicht gespürt – nun kriechen die Stunden bis zum Abend gefühlt so langsam, wie eine Schnecke. Immer wenn der Computer „Pling“ macht, checke ich meine Mails. Dieses Warten ist grausam und heute helfen weder Arbeit noch die vielen kleinen Überraschungsgeschenke, die ins Haus geflattert sind, mich abzulenken. Ich fühle mich wie ein nervöses Rennpferd in seiner Box kurz vor dem Start. Ich spüre, wie tiefer gelagerte Ängste und Sorgen wie eine mit Luft gefüllte Boje an die Oberfläche wollen. Auch hier hilft wieder intensives Atmen – ich schaue mir mit Rufy lustige You tube Videos an und Lachen hilft! Dann mache ich einen Plan für den Rest des Tages und hoffe, dass eine feste Struktur mir ein gutes Gerüst gibt. Mein Sohn ist zum Glück tiefenentspannt – so, als ob ihn das alles gar nicht beträfe. Er wünscht sich Pizza zum Dinner und ich mir, dass er endlich mal duscht. Dieser Tage geht es leider nur mit Erpressung.
Tag 8 Quarantäne
Das Warten hat ein Ende: Beim Aufwachen gibt’s eine positive Überraschung: Wir sind negativ! Beim überbringen dieser Nachricht juchzt mein Sohn laut auf – wir freuen uns bei einem herzhaften Frühstück mit Eiern und Avocado und auch wenn der Tag draußen grau beginnt, spüre ich ein innerliches Scheinen. Es ist, als ob mir jemand wieder den Stecker in die Steckdose gesteckt hat und ich lade mich energetisch auf. Mein Laune Pegel steigt und ein plötzlicher Aktivismus befällt mich: jetzt das Haus auf Hochglanz bringen, die Betten frisch beziehen und die letzten Viren mit Desinfektionsspray ausmerzen. Ich stecke voller Tatendrang und guter Laune und auch Rufy ist ganz aus dem Häuschen. Und doch trauen wir uns noch nicht raus. Es ist, als ob wir es uns in der Quarantäne länger eingerichtet haben als geplant. Vielleicht ist es aber auch so, dass unser zu Hause ein felsenfester Schutzraum geworden ist, wir jetzt „clean“ sind und das da draußen neue „Viren“ Gefahren lauern. In der Psychologie gibt es bestimmt einen Fachbegriff dafür – jedenfalls beschränkt sich mein Bedürfnis vor die Tür zu gehen vorerst auf meine Terrasse. Ein bisschen Hüpfen und Tanzen gegen den grauen November-Nebel, dann ab in die Zoom-Calls und zurück in die Küche – zurück in unsere Quarantäne Routine. Auch meinen Sohn zieht es nicht in die Welt hinaus. Er hat auch lange Home-Schooling und die Spielkonsole ist dieser Tage auch ständig im Einsatz. Der Kühlschrank ist noch voll – nur die Süßigkeiten gehen uns langsam aus. Morgen ist auch noch ein Tag, sage ich mir und gehe früh schlafen. Denn so plötzlich die neugewonnene Energie gekommen ist – so schnell verlässt sie mich auch. Die letzten schlaflosen Nächte machen sich bemerkbar und jetzt, wo sich die Erleichterung im Kopf und Körper ausbreitet, muss ich nun ständig gähnen. Der Mann kommt nach Hause (er wurde kurzerhand in Sicherheit gebracht) und ich freue mich auf ihn. Nach dem ich das Damengambit gesehen habe, hat er mir versprochen, mir Schach beizubringen. Heute ist ein guter Abend für spielerische Niederlagen – denn mir ist klar, dass ich (noch) nicht gegen ihn gewinnen kann. Was für ein schöner Tag: Pech im Spiel – Glück in der Liebe und das alles ohne Corona-Viren. Es tut gut ein Stück Normalität in diesen Zeiten zu leben und einmal nicht an die Bedrohung von außen zu denken. Sondern einfach mal wieder Alltag leben. Der fängt ab morgen wieder an – allerdings mit Maske und dem gebührenden Abstand. Ich werde jetzt noch viel vorsichtiger sein und die AHA Regeln penibel einhalten und ich denke, auch Rufy hat seine Lektion gelernt – auch wenn er nur Kopf-und Magenschmerzen und ein wenig Fieber hatte. Es hätte alles viel schlimmer kommen können und die Erkenntnis nicht unverwundbar zu sein macht mich demütig, dankbar und auch sehr nachdenklich. Wieder einmal habe ich die Bedeutung von „gesund zu sein“ hautnah gespürt und das es gilt dieses zu schützen – für mich und meine Mitmenschen. Es ist, als ob uns das Virus klarmachen möchte, wie sehr wir miteinander verwoben sind und wie divers, aber auch fragil unsere Gesellschaft ist. Wir müssen diese Pandemie als Chance begreifen, aus der Ich-Gesellschaft zu kommen und das Rad des Lebens neu zu justieren. Leben – und zwar unser aller Leben ist kostbar. Wir sollten es besser schützen.