Mein lieber Mann ... Teil 9: Mogelpackung

An dieser Stelle schreibt unsere Autorin Briefe an „ihren Mann“, den es zwar hoffentlich schon gibt, der aber noch nicht bei ihr geklingelt hat. Die Bilder zu der Serie sind von dem Fotografen Peer Kugler. Die beiden waren vor 30 Jahren ein Paar und haben die meiste Zeit ihrer verliebten 24 Monate im Kino verbracht. Beide wundern sich darüber, dass ihre Freundschaft schon so alt ist wie der Fall der Berliner Mauer. Auf einer gemeinsamen Reise nach Bukarest vor 24 Jahren schlug Stefanie Peer vor, eine Leica mitzunehmen, seither legt er die Kamera nur selten vom Körper ab.

Teil 9

Mogelpackung

Mein lieber Mann, heute möchte ich Dir einen alten Bekannten vorstellen. Du bist ihm sicher schon begegnet. Solltest Du Ähnlichkeit mit ihm haben, dann wird das nichts mit uns. Leider. Mein alter Bekannter heißt Narziss und ich habe ungeheuer viel von ihm gelernt. Am meisten über mich.

Die ersten Monate mit Narziss waren irre aufregend, ja euphorisierend: Kaum zu fassen, dass ich solange auf diesen Hauptgewinn hatte warten müssen! Ihn zu erobern hatte mich vergleichsweise viel Zeit und Mühe gekostet, aber ich hatte noch nie wirklich Scheu davor gehabt, mich selbst zu riskieren. Diesmal sollte es eine Lektion fürs Leben werden. 

Und dann verbrachten wir die ersten Nächte miteinander. Nie zuvor hatte ich derart entfesselt gevögelt. Es war ein bisschen wie Hochleistungssport, aber auch romantisch mit überraschenden Gesten, so als hätte sich ein britischer Theater-Beau aus der zweiten Besetzung in mein Leben verirrt. 

Ich dachte tatsächlich, ich hätte einen Hamlet erwischt – aber es war Richard III.

Anfangs fühlte ich mich aufgewertet von diesem Prachtstück. Mein Grinsen in den frühen Morgenstunden beim Verlassen seiner Wohnung war die reinste Provokation.

Bereits nach wenigen Wochen wackelte das Bühnenbild.

Narzissten suchen sich starke Frauen in schwachen Momenten. Ihre Beutezüge verlaufen auf Trampelpfaden. Sie sind beliebte Partygäste, bemerkenswert charismatisch, eloquent im Smalltalk und sie hören sich selbst gern reden. Eigentlich haben sie auf jedem Gebiet Ahnung, wirken vordergründig souverän, immer ein Auge im Spiegel. Kaum jemand kommt auf die Idee, einem Narzissten in die Parade zu fahren. Entweder sind sie zu unterhaltsam oder sie sind gut getarnt. Ach, wie zugewandt sie sich geben können, wenn sie auf Jagd sind, es ist leicht, diese Gabe mit Empathie zu verwechseln. Sie entscheiden sich oft bewusst für die Position, von einer attraktiven Frau erobert zu werden. Folglich schlägt die Auserkorene fleißig Räder und eventuell kann in der Zwischenzeit noch ein kleiner Beifang vernascht werden. 

Mein lieber Mann, nicht, dass wir uns falsch verstehen, ich verachte Narzissten nicht! Das Leben wäre langweilig ohne sie. Zudem tummeln sich zahlreiche von ihnen in allen Abstufungen in unserer narzisstischen Gesellschaft. Nur das Ausmaß der Ausprägung macht sie riskant für Beziehungen. Es bleibt (für jede Frau und jeden Mann) zu klären, ob man es mit einem sogenannten „Größenselbst-Narzissten“ oder einem „Größenklein-Narzissten“ (sie baden in der Depression) zu tun bekommt. Ich hatte mit einer Mischform zu tun. Sehr anspruchsvolle Geschöpfe. 

Das Luftloch kam beim Fliegen. Weder waren die heftigen  Turbulenzen angekündigt, noch die Anschnallzeichen eingeschaltet. Hamlet wurde just übellaunig, weil seine Mutter ihm den Tag verdorben hatte. Es ging immer auffallend häufig um seine Mutter. Kurzerhand wurde ich bei einem Abendessen ausgeladen. Es hätte ein Warnschuss für mich sein können. Das Mutter-Thema und das unvorhergesehen Abweisende waren eindeutige Indizien. Aber lieber starb ich, ein ganzes Wochenende lang, melodramatisch wie Ophelia den Tod durch Ertrinken in meinen Tränen. Was war da nur los? Was hatte ich bloß falsch gemacht? 

Gar nichts. Es hatte rein gar nichts mit mir zu tun.

Aber in meiner großspurigen Annahme, ich könnte irgendetwas an dem System „komm mir nicht zu nahe“ ändern, verhedderte ich mich in den Fallstricken einer Bindungsstörung. Kreuzunglücklich, aber geduldig wartete ich auf die dramatische Versöhnung in seinem Spiegelkabinett – und sie kam auch. Zuverlässig. Erschöpft von meinen Selbstzweifeln, aber erleichtert, wieder in seiner Nähe weilen zu dürfen, stellte ich möglichst wenig Fragen. Fragen, die mochte er nicht. Es sei denn, sie dienten Antworten, die ihn in einem guten Licht darstellten. Und da ich eine starke Frau bin, begann ich mir selbst Fragen zu stellen. Anfangs nur zu dem Zweck, Hamlet besser zu verstehen, ihn bei Laune zu halten. Seinen durchbrechenden Kummer mit aufzufangen. Ihm eine gute Gespielin zu sein. Mich mit ihm zur Belohnung stundenlang in seinen Laken zu wälzen. Ich zahlte einen hohen Preis, ihn verschwitzt und nackt durch seine Wohnung wandeln zu sehen. Ich war zu seiner Idiotin geworden. 

Im Fachjargon heißt das Selbstobjekt-Verfügung – es ist ein zentrales Bedürfnis narzisstischer Störung. Da soll jemand von außen das bringen, was im Inneren fehlt. Es ist der nachträgliche Versuch, sich eine gute Mama einzuverleiben.*

Meine Auszehrung hatte begonnen. Ich ließ mir meine schönsten bunten Federn ausrupfen.  

Mein lieber Mann, es war sehr anstrengend, aus dieser Nummer wieder rauszukommen. Manchmal spüre ich noch die Nachwirkungen. Ich kenne Frauen, die schaffen es gar nicht, von einem lupenreinen Narziss loszukommen. Mich hat es gelehrt, das Alleinsein zu schätzen und Eigenständigkeit zu entwickeln. Dabei kam ich unweigerlich in Berührung mit meinen persönlichen Anteilen von Beziehungsstörung und sehr alten Verletzungen: It takes two to tango. Ich bin nicht mehr sauer auf meinen Hamlet. 

Es dauerte eine Weile die Speicher wieder aufzuladen. Die intime Nähe zu einem Narzissten kostet ungeheuer viel Kraft. Denn er bestimmt die Regeln, er geht nicht in die Verbindung auf Augenhöhe. Das halten nur Frauen aus, die einen guten Grund dafür haben. Der Archetyp der selbstlosen Dienerin funktioniert angeblich ganz gut. Allerdings muss sich die Frau darauf einstellen, dass häufig eine Zweitbesetzung im Ensemble ist. Der Größenselbst-Narziss schätzt die Abwechslung und braucht sehr viel Bestätigung. Der Größenklein-Narziss planscht hingebungsvoll in seiner Depression, er braucht viel Trost. Die versierte Dienerin hält zu hause den Scheinwerfer, reicht Suppe und Taschentücher. Sie sollte mit wenig Lob zufrieden sein. Die Partnerin eines Narzissten lebt von Erinnerungen.

* Hans-Joachim Maaz: Die narzisstische Gesellschaft; dtv

  

 

 


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