Corona, Atemnot und Maskenpflicht. SoSue-Gastautorin Berit Großwendt über ihre Erfahrungen in Jena, wo schon seit Wochen strengere Regeln gelten als anderswo.
Ich habe Asthma. Ich leide an Heuschnupfen. Ich trage eine Brille. Und ich lebe in Jena, der Stadt, die als erste in Deutschland eine Maskenpflicht im öffentlichen Leben, in Geschäften und Nahverkehr eingeführt hat. Eine Regelung, die ich befürworte, schließlich gelte ich als Risikopatientin und muss daher besonders aufpassen. Dass nicht gleich zu Beginn der Corona- Krise bundesweit einheitliche Maßnahmen umgesetzt wurden, wundert mich sehr, gleichzeitig bin stolz darauf, einen Bürgermeister zu haben, der wesentlich früher und weitsichtiger als andere Politiker diese Entscheidung getroffen hat.
Hätten wir einen normalen Frühling, würde ich je nach Pollenlage mehr oder weniger stark an Luftnot, Nasenjucken oder tränenden Augen leiden. Aber jetzt? Während die Natur uns Menschen ein vernichtendes Virus schickt, zeigt sie sich selbst so lebendig wie nie: Knospen sprießen, Bäume blühen, Vögel zwitschern – Alarm für jeden Allergiker. Prima, dachte ich beim ersten Mal, so eine Maske könne vielleicht beides abhalten, die Pollen und das Virus. Nach drei Wochen Erfahrung muss ich sagen: Jeder Gang nach draußen gleicht einer Tortur. Denn anscheinend funktioniert so ein Mundschutz wie ein Booster, der jede Art von Pollenbeschwerden potenziert. Was mir mittlerweile mehr Angst bereitet als das Virus selbst: mit Maske keine Luft mehr zu bekommen und in Situationen zu geraten, in denen ich die Kontrolle verliere.


Deshalb versuche ich, meine Erledigungen zu kompensieren und auf das Nötigste zu beschränken. Nehme regelmäßig meine Medikamente, habe mich gut einstellen lassen. Dennoch schaffe ich es auf dem Wochenmarkt gerade mal bis zum ersten Gemüsestand. Dann brauche ich mein Atemspray, das ich heimlich unter die Maske schiebe. Bloß nicht husten, bloß nicht auffallen. Im Supermarkt habe ich ständig das Gefühl zu ersticken. Mir wird schwindelig. Meine Brille beschlägt. Ich rase durch die Gänge, schnaufe, röchele, Schweiß auf der Stirn. Suche mir eine ruhige Ecke, wo ich mich kurz ausruhen kann. Zupfe am Stoff, binde die Maske lockerer, fühle die Erleichterung. Mit Bus oder Bahn muss ich zum Glück nicht fahren; hier in der City komme ich mit meinem Hollandrad überall hin.
Frage: Wie machen das Verkäuferinnen, Pflegedienste, Ärzte, Senioren oder ernsthafter erkrankte Menschen, die zurzeit rund um die Uhr eine Schutzmaske tragen müssen? Ich weiß es nicht. Ich habe größten Respekt. Ich versuche, die Sache positiv zu sehen. Weil ich mir trotz der persönlichen Unannehmlichkeiten sicher bin, dass wir das schaffen werden.
Denn die strengen Maßnahmen und das Tragen von Masken haben in der Zwischenzeit sehr viel bewirkt. In Jena sind seit längerem keine Neuinfektionen mehr gemeldet worden. Ein Hoffnungsschimmer. Und ein Erfolg, der unserer Stadt im Nachhinein viel Anerkennung brachte, am Anfang aber gar nicht abzusehen war. Im Gegenteil. Da gab es noch nicht mal Masken. Sämtliche lokalen Schneider- und Nähateliers mussten per Verordnung Uniklinikum und umliegende Krankenhäuser beliefern, sodass wir auf die Schnelle jedenfalls keine im Handel oder Internet kaufen konnten. Mein erstes Modell habe ich mir aus einem Vintage Hermès Foulard und zwei Zopfgummis zusammengebastelt. Stylisch, aber leider unpraktisch. Um wenigstens die ersten Tage über die Runden zu kommen, hat uns eine Freundin mit hübschen, selbstgenähten Baumwollmasken versorgt. Aktuell benutzte ich medizinischen Einmal-Mundschutz aus der Apotheke, der wieder vorrätig ist und mit dem ich besser atmen kann.
Auch was es im Alltag bedeuten und wie sich das Miteinander gestalten würde, war zu Beginn der Verordnung überhaupt nicht klar. Mittlerweile gibt es Beobachtungen und Einschätzungen, die ich mit vielen, mit denen ich darüber gesprochen habe, teile. Ich nehme eine Verunsicherung wahr, eine Anonymität und eine Distanz, die ich vorher nicht kannte. Niemand schaut sich mehr ernsthaft in die Augen oder lächelt. Stattdessen schämt man sich. Hält Abstand. Weicht aus. Fröhliche Blicke, freundschaftliche Gesten, offene Kommunikation, alles weg. Irgendwie gespenstisch. Dazu kommt: Man muss plötzlich lauter sprechen, um verstanden zu werden, weil so eine Maske viel schluckt.
Eine befreundete Fotografin befindet sich gerade auf Reportage-Tour, um diese außergewöhnliche Zeit einzufangen. Das Problem: Nichts lässt sich im Moment einfangen. Außer Tristesse. Sie berichtet von unschönen Situationen und von Menschen, die sich mit Maske lieber nicht fotografieren lassen wollen, um nicht erkannt zu werden. Grotesk. Fast scheint es, als ginge ein Stück unserer kulturellen Identität verloren, die darauf beruht, dass man sich einander frei und offen ins Gesicht sehen kann, um darin zu lesen oder Emotionen auszutauschen. Schwere Zeiten. Die zu dokumentieren war noch nie leicht.
Ende der Woche hat ganz Thüringen die Maskenpflicht eingeführt, andere Städte und Länder ziehen nach. Jeder von uns wird sich an Masken gewöhnen müssen seine eigenen Erfahrungen machen. Wenn alles gut geht, wird die Welt eine bessere sein. Mit mehr Wertschätzung, mehr Umweltbewusstsein, mehr Gemeinschaftsgefühl. Das wünsche ich uns allen, mit oder ohne Maske.

