Die Journalistin Miriam Stein hat einen Bestseller über die Wechseljahre geschrieben – aus der Not heraus. Sie stolperte, wie viele Frauen ihrer Generation, völlig unvorbereitet in ihre Menopause. Nun setzt sie sich für die Sichtbarkeit älterer Frauen ein.
Von Miriam Stein
Vor ein paar Tagen wurden eine Freundin und ich in einem Berliner Kaufhaus von Sicherheitsbeamten zurechtgewiesen. Es sei verboten sich in der in-Store Boutique eines Couture-Labels umzuschauen, stattdessen müssten wir stillsitzend auf unsere Verkäuferin warten. Dabei hatte meine Freundin sogar einen Termin. Der Grund für den rüden Anranzer lag in unserer Erscheinung: Wir waren beide ungeschminkt, unaufgedonnert und hatten keine Ehemänner als wandelnde Bonitätsgarantien und Kreditkartenbesitzer im Schlepptau. Außerdem sind wir beide Mitte 40, anscheinend sah der Sicherheitsmann nur zwei alte Schachteln, keine zahlungskräftigen Kundinnen. Ernsthaft? Reicht es für eine Frau in meinem Alter ungeschminkt auszugehen um nicht nur als unsichtbar, sondern als gar störend wahrgenommen zu werden?!
Leider passt diese Reaktion in das Bild, das unsere Gesellschaft von Frauen im mittleren Alter kultiviert – ausgetrocknet, marginal, abgehängt. Das liegt an einem völlig veralteten, frauenfeindlichen Bild von den Wechseljahren. Sues Freundin Stefanie Wilke hat in ihrem Beitrag zur „Lila Pause“ eindringlich und ehrlich von ihrer eigenen Perimenopause berichtet. Ich teile ihre Erfahrungen: Mit Anfang 40 konnte ich plötzlich nicht mehr schlafen. Ich wachte nachts auf und schwitze mein Nachthemd durch. Entsprechend anstrengend wurde der Alltag – ich war einfach immer müde. Eigentlich hatte ich gehofft, dass die 40er die Zeit meines Lebens würde – mein Sohn ist älter und selbstständiger, meine Karriere läuft gut und ich bin finanziell unabhängig von meinem Mann – doch mein Körper schien andere Pläne zu haben: Erschöpfung, Schlafprobleme, Zyklusschwankungen, Splatter-verdächtige-Monster-Menstruationsblutungen, Blähungen, Rosacea erschwerten mir den Alltag – um hier nur mal ein paar Symptome aufzuzählen. Kein einziges Symptom hätte ich zuvor mit den Wechseljahren assoziiert - die Menopause, so dachte ich, bedeutet, dass ich meine Tage nicht mehr habe und davor vielleicht zwei Hitzewallungen erlebe. Easy!
Von wegen. Jede Frau erlebt die Menopause anders, alle meine Symptome gelten als medizinisch normal. Trotzdem musste auch ich mich auf eine Odyssey zu diversen Ärzt*innen begeben, an deren Ende ein Besuch bei der Privatärztin und „Woman on Fire“-Autorin Sheila de Liz in Wiesbaden mir endlich helfen konnte. Meine Berliner Frauenärztin meinte zuvor, ich müsse meine Symptome aushalten, weil sie „natürlich“ wären – Pech gehabt. Warum muss ich mir sowas eigentlich anhören? Weil die patriarchale Gesellschaft anscheinend immer noch „Fruchtbarkeit“ mit „Attraktivität“ gleichstellt. Kommt die Fruchtbarkeit zum Ende, verliere ich als Frau die mir zugewiesene Stellung als sexuell interessantes Wesen. Somit gehören die Wechseljahre zu den letzten Tabus der Frauengesundheit, obwohl sie die Hälfte aller Menschen betreffen. Bis zum heutigen Tag bestimmen Mythen und Fehlinformationen den Diskurs um die Menopause, sie erscheint als peinliche Hormonmangel-Krankheit. Der unfruchtbar – und somit unattraktiv – gewordenen Frau wird geraten, sich neu zu erfinden, ganz so, als sei während der hormonellen Umstellung ihre gesamte Identität verloren gegangen.
Im Grundstudium Medizin kommen die Wechseljahre übrigens gar nicht vor, in der Fachausrichtung Gynäkologie nur als Randthema. Denn der Schwerpunkt der Frauenmedizin liegt auf der Geburtsheilkunde. Außerdem galt lange Zeit der männliche Körper in der Medizin als Standard. Nur hat der dummerweise keine Eierstöcke, keine Gebärmutter und entsprechend keine Periode, keine PMS, keine Schwangerschaft, keine Endometriose und keine Wechseljahre. Aus Scham als alt und abgehalftert abgestempelt zu werden, fällt es Frauen schwer ihre Menopause öffentlich zu thematisieren. Ich finde, wir müssen ganz dringend darüber zu sprechen, vor allem mit Ehemännern, Kindern, Chefs, Kollegen und Freundin. Denn unsere Gesellschaft altert und immer mehr Frauen werden in die Wechseljahre kommen. Die privaten Befindlichkeiten von Frauen zwischen 40 und 50 betreffen irgendwann die Volkswirtschaft. Das Unternehmen Vodafone hat im vergangenen Jahr als erster Großkonzern eine eigene Studie zur Menopause als Teil eines umfassenden Vorsorge-Pakets für Mitarbeiterinnen in Auftrag gegeben. Laut dieser Studie werden im Jahr 2025 weltweit eine Milliarde Frauen in den Wechseljahren sein, das entspricht 12% der Gesamtbevölkerung. 66% der deutschen Frauen haben in dieser Studie ausgesagt, dass die Symptome ihre Arbeitsfähigkeit beeinflussen, knapp die Hälfte der Frauen empfinden es als Tabu am Arbeitsplatz über diese Symptome zu sprechen. Vodafone hat im vergangenen Herbst ein konzernweites Programm für Frauen in der Menopause eingeführt, wie gleitende Arbeitszeit, auf Wunsch Ventilatoren am Arbeitsplatz oder auch Aufklärungsgespräche. Eine Sonderbehandlung ist das nicht – schließlich stehen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Rückenproblemen auch Stehtische zu. Diverse Unternehmen in Großbritannien folgten dem Beispiel – Channel 4 und die Bank Santander führten ähnliche Maßnahmen ein.
Deswegen habe ich beschlossen, meine Wechseljahrsbeschwerden aus der Isolation meines Badezimmers hinaus in die Welt zu schreiben. Ich habe über Haarausfall, Hautausschlag und Hitzewallungen geschrieben, weil ich nicht einsehe, mich dafür schämen zu müssen. Nur durch Gespräche und öffentliche Debatten wird eine bessere Versorgung und Aufklärung möglich sein. Information ist der Schlüssel zur bestmöglichen Selbstbestimmung für Frauen in der Menopause, ob nun mit oder ohne Hormon-Therapie, aber auf jeden Fall ohne böse Überraschungen und monatelange Ärztetouren. Denn letztendlich bietet diese Lebensphase Frauen eine Chance – durch das abfallende Östrogen fällt es uns chemisch leichter die eigenen Bedürfnisse zu berücksichtigen. Heute kann ich viel besser meine eigenen Bedürfnisse artikulieren als noch vor fünf Jahren. Im Kaufhaus hieß es: Gehen. Aber nicht ohne lautstarken Hinweis auf die absurde Altersdiskriminierung im Service. Die Verkäuferin zeigte sich schockiert und solidarisch, am Ende gab’s eine Entschuldigung und eine Entschädigung in Form einer Champagnerflasche. Richtig so. Nicht ich muss mich ändern, sondern die Gesellschaft um uns herum. Es ist an der Zeit veraltete Bilder zu revidieren und neue zu schaffen.
„Die gereizte Frau“, von Miriam Stein, erschienen im Goldmann Verlag, 18 Euro
Miriam Yung Min Stein ist Journalistin und Buchautorin und lebt mit ihrer Familie in Berlin. Sie wurde 1977 in Südkorea geboren und wuchs in einer deutschen Familie als Adoptivkind auf. Sie hat mit Christoph Schlingensief und Rimini Protokoll Theater gemacht, schrieb zehn Jahre für die Süddeutsche Zeitung und ist heute Kulturchefin der deutschsprachigen Ausgabe der Harper's Bazaar. Miriam hielt sich immer für eine alte Seele im jungen Körper - aus heutiger Sicht ein Zeugnis jugendlicher Verklärung. Die gereizte Frau ist ihr viertes Buch, zuletzt erschien von ihr Das Fürchten verlernen.