Knuth wurde von der Monotonie des Alltags „angefahren“. Plötzlich war alles gleichförmig. Davonlaufen bringt nichts, stellte er fest, die Langeweile holt dich immer wieder ein. Aber ganz so schlimm war für ihn der Oktober am Ende doch nicht. Mehr in seinem neuen Monatsrückblick Lost & Found mit vielen Tipps.
#BonjourTristesse
Oktober 2022
Oh, sie arbeitet da nicht mehr.
Dann kann ich sie aus der Liste streichen.
War eine sehr nette Kollegin.
In dieser Redaktion werden es immer weniger.
Was ist das für eine Melodie? Da übt jemand Klavier. Bach?
Jesu bleibet meine Freude? Mal googeln!
Du musst die Liste bearbeiten Knuth!
Nächster Name.
Ein Millenial-Frauen-Vorname: Carla. Und schon Senior-Editorial-Manager.
Alle jungen Menschen wollen heute ein Senior sein.
Wer hat denn am Vormittag Zeit, um Klavier zu üben?
Ganz sicher Bach.
Diese Liste ist unendlich lang und nur deutsche Namen.
Pianist oder Pianistin?
Können Experten das am Spiel hören, ob Mann oder Frau?
Oje! Ich bin immer noch bei den Hamburger Redaktionen.
Schreiben immer alle von Diversität.
Und nur deutsche Namen überall.
Ich brauche einen Kaffee.
Die Zeit will an diesem Vormittag nicht vergehen. Ich arbeite an einer Excelliste und aktualisiere Adressdaten. Als Ein-Mann-PR-Agentur muss ich das selber machen. Immer wieder unterbreche ich die Arbeit. Tagträume. Hänge planlos im Web ab. Dann gebe ich mir wieder einen Ruck. Konzentriere mich. Aber nach ein paar Minuten stellt sich dann wieder eine Leere ein, die ich nur aus dem Matheunterricht kenne.
Die Kaffeepause tut gut. Ich beobachte eine Katze. Sie hockt gegenüber im Haus und schaut aus dem Fenster. Sie saß schon vor zwei Stunden da, als ich mit meiner Liste anfing. Muss doch öde sein für so ein Tier, denke ich. Als Katze willst du durch Gärten und Hinterhöfe streifen. Zurück am Schreibtisch google ich die Begriffe Katze und Langeweile. Die Suchmaschine liefert viele Tipps, wie Besitzer ihrer Hauskatze Zerstreuung und Abwechselung bieten können. Klorollen scheinen der Hit bei Katzen zu sein, mit dem sie sich gerne beschäftigen und dabei vergessen, dass sie Streuner sind.
Aber was ist mit mir? Wenn ich mich langweile? Was ist meine Klorolle? Also vertrödele ich weitere Minuten im Netz. Und lese Tipps von Frauenzeitschriften und Achtsamkeitsblogs. Bester Schlaumeiertipp: „Selbstkontrolle: Ein guter Plan für den Tag oder gar für das Leben kann Langeweile entgegenwirken.“ Jeder, der einmal eine Diät gemacht hat, weiß wie schwer Selbstkontrolle ist. Dazu kommt, dass wir Menschen oft zu Planungsfehlschlüsse neigen, weil wir unsere Vorhaben viel zu optimistisch angehen. So geht es mir mit dieser Liste, sollte schon längst fertig sein, aber dann kam die Ermüdung. Die Langeweile hatte ich nicht auf dem Zettel. Mein Magen meldet sich. Dankbar nehme ich sein drängeln an. Brav schaffe ich gerade noch einen Eintrag. Und weil ich ein Mann bin, haue ich mir selbst kräftig auf die Schulter. „Gut gemacht Knuth!“ Als Belohnung gönne ich mir einen Ausflug in eine Pommesbude.
Beim Essen fällt mir ein, dass ich die Langeweile sogar mal provoziert habe. Als ich noch Marathon gelaufen bin, habe ich es wie japanische Läufer gemacht und mir in der Vorbereitung eine monotone Trainingsstrecke ausgesucht. In einem kleinen Park in meinem Viertel, dessen Runde knapp 800 Meter lang ist, habe ich einen 32-Kilometer-Trainingslauf absolviert. Immer die gleichen Runden. Nach zwei Stunden wollte ich abrechen, aber ich hielt durch. Der Sinn dieser Übung war, die Konzentration zu trainieren. Wach bleiben, egal wie stupide die Laufstrecke ist.
Jede Mittagspause geht mal zu Ende. Wieder in meinem Homeoffice, greife ich mir ein Buch über die Langeweile. Dort habe ich mir eine Stelle über den deutschen Philosophen Martin Heidegger markiert, der die Langeweile in drei Formen eingeteilt hat:
1.Gelangweilt werden von etwas
Warten kann sehr eintönig sein. Die Minuten bei der Lufthansa, der Bahn, auf dem Amt oder bei Waschmaschinen fühlen sich mitunter wie Stunden an. Sie scheinen festgeklebt zu sein.
2. Sich-langweilen bei etwas
Meetings, Konferenzen, der Kaffeeklatsch am Sonntag, Vorträge, TV-Sendungen oder Stories bei Instagram können zu Befindlichkeitsstörungen führen. Der spannungslose Dauerbeschuss von den immer gleichen Abläufen, Inhalten, Bildern oder Worten wirken dann wie Schlaftabletten.
3. Es ist einem langweilig
Für mich die schlimmste Form der Langeweile: ich gegen ich - gelangweilt von sich selbst. Dann verliert sogar eine Wandertour, Party oder ein Luxushotel seinen Reiz und verkommt zu einem ereignislosen irgendwas.
Gestärkt mit Pommes und neuen Wissen mache ich mich wieder an meine Arbeit. Was im Marathontraining funktionierte, muss auch bei einer Excelliste funktionieren. Der Flow wird kommen.
Immer weniger Doppelnamen.
In München gibt es so viele Redaktionen.
Und die Alpen sind nicht so weit
Jetzt im Biergarten hocken. Das wäre toll!
Diese Liste.
Endlos.
Endlos endlos.
Musste Einstein nicht auch im Patentamt langweilige Patente prüfen?
Mal googeln.
Er war Experte im Patentamt Bern und prüfte technischen Erfindungen.
Muss eine eintönige Arbeit gewesen sein.
Wie ich Excel hasse.
Warum hängt dieser Kack-Cursor jetzt?!!
Geh schon du Scheißding!!
Was steht da?!
Die praktische Arbeit in Bern förderte auch Einsteins Kreativität.
Stimmt Langweile war auch immer eine Quelle der Inspiration.
Sag sich so leicht. Einstein musste auch keine Excelliste bearbeiten.
Was macht eigentlich die Katze?
Die Katze ist weg. Das Herbstlicht hat meine Straße in ein warmes Licht getaucht. Sie wirkt weicher. Schulkinder rennen um die Wette. Blätter wirbeln durch die Luft. Auf der Straße ist richtig was los. Eine halbe Tasse Kaffee habe ich noch, bevor ich die Liste vervollständige. Ich trinke ganz langsam und starre aus dem Fenster.
The Watcher
Solltest du demnächst in ein neues Haus einziehen oder du bist vielleicht gerade in dein neues Heim eingezogen, dann empfehle ich dir: SCHAU DIR DIESE NETFLIX SERIE NICHT AN. Was Nora (Naomi Watts) Dean Brannock (Bobby Cannavale) und ihre Kinder erleben, ist der Horror. Die Gruselserie basiert auf einer wahren Geschichte. Das New Yorker Paar kauft sich von seinen Ersparnissen eine Villa mit Park und Pool. Die perfekte Christian-Lindner-Yuppie-Idylle. Wären da nicht die seltsamen Drohbriefe, merkwürdige Situationen und die bekloppten Nachbarn. Das Leben der Traumfamilie läuft so langsam aus dem Ruder. Wer Lust auf ein wenig Gänsehaut hat, sollte es wagen.
The Watcher – Verfügbar auf Netflix
Gedankenspiele über die Eleganz
„Ja, Eleganz kann zum Ideal werden, umso mehr, als es keine einfachen Regeln gibt, wie sie zu erlangen ist. Eine Spur geheimnisumwittert bleibt sie immer.“ Gedanken zum Thema Eleganz: Sie sollte immer mühelos sein. Das lässt sich so leicht schreiben, es umzusetzen erweist sich oft als schwierig. In den letzten Jahren bringen viele Verlage kleine Bücher heraus, die sich einem Thema widmen. Ich greife häufig zu, weil sie sich gut lesen lassen. Wie in diesem Fall das Buch der slowakischen Schriftstellerin Ilama Rakusa. Ihre Assoziationen über die Anmut sind für mein beschleunigtes Leben ein angenehmer Zeitvertreib.
Gedankenspiele über die Eleganz – Ilama Rakusa, Literaturverlag Droschl, 48 Seiten
this is what ____ feels like (Vol. 1-4)
Von „JVKE“ schon einmal gehört? Laut dem Musikmagazin Radio Active hat der junge Mann über 550 Millionen Streams und seine Musik wurde auf Social Media 26 Milliardenmal aufgerufen. Sein neues Album ist eine Hymne auf die Liebe. Gut gemachter Tik-Tok-Pop, der die Mädelherzen höherschlagen lässt. Das Album hat er zusammen mit seinem Bruder aufgenommen. Alles selbst gemacht. Mein Lieblingstrack „This is what falling in Love feels like“. Ein wenig kitschig, aber mein Gott, der Winter naht und die Zeiten sind anstrengend, da stört ein verlorener Wuschelkopf nicht, der über die Liebe singt.
This is what ____ feels like (Vol. 1-4) – JVKE auf Apple Music und Spotify
Tender Bar
Das Buch „Tender Bar“ habe ich verschlungen. Der Film von George Clooney lauerte schon lange auf meiner Streaming-Wunschliste. Über die Feiertage hat er mich dann gepackt. Weil die Mutter komplett pleite ist, zieht der kleine J.R. mit ihr zurück in ihr Elternhaus. Hier regiert sein schlecht gelaunter Opa und es wohnen dort jede Menge Verwandte, die auch Probleme haben. Aber J.R. gefällt das neue Heim und das liegt an seinem Onkel Charlie (Ben Affleck). Der Barbesitzer hilft J.R. wo er kann. Er führt ihn in die „Männerwissenschaften“ ein und begeistert ihn für Bücher. Jeder seiner Tresen-Weisheiten saugt der Kleine auf und die machen ihn fit für die Yale Universität. Ein guter amerikanischer Film, in dem du alles schaffen kannst, wenn du nur fest daran glaubst und einen Onkel Charlie hast. Macht gute Laune. P.S. Wer Lust hat, hier im Lost & Found Januar mein Buchtipp „Tender Bar“.
Tender Bar – Verfügbar auf Amazon Prime
Inside Vogue
Vogue ein Name, der für Glamour, Luxus, Couture und für unglaublich viel Zickereien steht. Ohne Vogue würde es manchen Modedesigner nicht geben und Begriffe wie It-Girl würden wir nicht kennen. Das Modemagazin prägte mit seiner Ästhetik die Style-Bubbles vieler Generationen, ich denke dabei nur an den „Porn-Chic“. „Inside Vogue“ erzählt unterhaltsam die Geschichte der US-Vogue und deren Schwestermagazine in Paris und London. Viele Aspekte kannte ich vom Hörensagen, beispielsweise, wie die Eigentümerfamilie Conde Nast, die damalige Vogue Paris Chefredakteurin Joan Juliet Buck in eine Entzugsklinik einwies, obwohl sie weder süchtig noch krank war, nur um ihre Nachfolgerin zu installieren. Fans von Team Anna kommen auch nicht zu kurz. Ein guter Mix aus Tratsch und Geschichte.
Inside Vogue - Nina-Sophia Miralles, Hoffmann und Campe, 416 Seiten
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Der Oktober war sehr warm, zum Heißen brauchte ich nur die Fenster aufmachen. Er war nicht so langweilig, wie ich oben geschrieben habe. Ich war mal kurz Weg an der See. Es war herrlich. Es ist schön, dass du dir Zeit genommen hast. Danke! Ich hoffe es war nicht eintönig. Wir sehen uns im Dezember wieder. Bis bald und mach es gut.
Knuth ist Gründungsmitglied von SoSUE und unterstützt noch weitere Marken. Er selbst beschreibt seine Arbeit als „irgendwas mit Medien“. Der Hamburger würde am liebsten auf einen Berg mit Strand ziehen. Mehr über Knuth erfahrt ihr auf seiner Website Collideor and Scope.