Knuths Lost & Found Mai 17

 

Der Wonnemonat Mai war im Urlaub und wurde in diesem Frühjahr vom November vertreten. Es hat geregnet und es war kühl. In seinem Monatsrückblick schreibt Knuth, warum ihn der Regen trotzdem nicht gestört hat. Außerdem hat er viel gelesen, gehört und gesehen, alle seine Tipps könnt ihr jetzt hier nachlesen.

 #Rainman

 

Mai 2021 – Wenn der Regen in meinem Hinterhof auf die Baumwipfel prasselt, so klingt das, als würde ein Schnitzel in Butterschmalz brutzeln. Meistens unterbreche ich dann meine Arbeit. Lieber beobachte ich die Tropfen auf der Fensterscheibe, wie sie um die Wette nach unten gleiten. Wenn es regnet, dann wird es für meine Augen und Ohren nicht langweilig. Ein Ereignis, dass den Tag wegspült und meine Träume wachsen lässt.

Du hast es sicherlich schon gemerkt: Ich mag Regen.

Nach einem kalten und dunklen Winter ist die Erwartungshaltung an den Frühling immer sehr hoch. Doch dieses Jahr war die Sehnsucht nach Sonne und Wärme viel höher als sonst. Dieser Mai stand wirklich unter einem gewaltigen Druck. Dem launischen April vergeben wir viel, aber beim Wonnemonat Mai sind wir gnadenlose Richter. Interessanterweise interessiert sich das Wetter nicht für unsere Hoffnungen und Urteile. Wir sind ihm vollkommen egal. Ich behaupte sogar, dass Wetter weiß nicht einmal, dass es so etwas wie Frühling gibt. Daher sollten wir das Wetter nicht persönlich nehmen.

Vielleicht habe ich mit dem Regen auch deshalb weniger Probleme, weil ich als Kind bei fast jeder Witterung draußen gespielt habe. Auch wenn es mal lange geregnet hatte, galten keine Ausreden. Ich wurde immer rausgeschickt. Das Argument „Nass werden“ zeigte bei meiner Mutter kaum Wirkung. Sie antwortete nur: „Regen ist nur Wasser, Klamotten können wir trocknen und frische Luft hat noch keinem geschadet.“ Und während sich alle in ihre Häuser verkrochen, um der Nässe zu entgehen, entdeckte ich die angenehme Leere von verwaisten Spielplätzen, Straßen und Gärten. Das ist heute noch so. So jogge ich am liebsten bei Regen, dann habe ich die Parks und Wälder für mich allein. Ich erlebe die Natur auch viel intensiver. Es scheint mir, als würden die Bäume dann viel stärker duften. Meine Nase nimmt bei Regen viel mehr Aromen wahr. Wäre das Wetter ein Parfüm, wäre der Regen die Basisnote, weil er viel sinnlicher und aufregender ist. Die Kopfnote und Herznote überlasse ich gerne den Hochdruckgebieten. Auch die Farben der Blätter und Blüten erscheinen mir weit kräftiger als sonst, weil sie nach einem Schauer immer so aussehen, als wären sie gerade frisch auf eine Leinwand gepinselt worden.

Niederschläge haben in meinem Land einfach einen schlechten Ruf. Die meisten Menschen empfinden sie wie eine Mücke in der Nacht, die einem den Schlaf raubt. Meine Schwärmerei für Regen, das ist sicher, wird nur wenige Menschen begeistern. Vielleicht wären die Töchter und Söhne des germanischen Donnergottes Thor eher dazu bereit, einen Wolkenbruch als schön zu empfinden, wenn am Anfang der Bibel in der Schöpfungsgeschichte folgende frei erfundene Worte stehen würden: Und Gott sprach, es werde Regen! Und es ward Regen. Und Gott sah, dass der Regen gut war.

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Im Grunde genommen wollen die Menschen nur in Frieden leben. Wenn ich Sätze mit „Im Grunde genommen“ anfange, dann ist das mein Ausdruck von Hilflosigkeit. Die politischen Geschehnisse im Mai machen mich schon sehr nachdenklich. Ich habe ein wenig Ablenkung gesucht und gefunden. Diesmal ist es ein wenig mehr geworden. Verzeihung.

 


 

Soul

 

Joe Gardner ist Jazzmusiker mit Leib und Seele, muss sich aber als Musiklehrer durchs Leben schlagen. Er hat keine Freundin und seine Mutter stopft ihn seine kaputten Unterhosen. Ein echter Loser. Ausgerechnet an dem Tag, wo er die Möglichkeit bekommt, zusammen mit einer berühmten Jazzband aufzutreten, schlägt das Schicksal zu. Er hat einen Unfall und findet sich auf dem Weg ins Jenseits wieder. Er flieht und will zurück in sein Leben. Es beginnt eine turbulente Jagd durchs Jenseits, Diesseits und Vorseits. Richtig gelesen Vorseits. Eine lustige und optimistische Story. Das ist schön. Sehr schön sogar.

Soul – auf Apple TV, Disney+ (kostenpflichtig)

 


 

Arbeit auf Abruf – Digitale Tagelöhner

 

Die Arbeitswelt ist im Umbruch. Immer mehr Menschen schuften für digitale Dienstleister, fahren Essen für Lieferando aus, karren für Uber Menschen durch die Gegend oder warten bei Task Rabbit auf Microjobs, damit sie irgendwo einen Ikea-Schrank zusammenschrauben können. Diese Ich-AGs sehen wir noch, aber es gibt viel mehr, die wir nicht sehen. Die ARTE Dokumentation zeigt das ganze Ausmaß. Es war mir auch nicht bewusst, dass Amazons MTurk weltweit ein Heer von Ghostworkern beschäftigt, die das erledigen, was Künstliche Intelligenz und Algorithmen nicht auf die Reihe kriegen: Bilder Sortieren, Umfragen machen, Produkttexte schreiben, übersetzen und viel mehr. Die Reportage erinnerte mich an das Elend der Arbeiter und Arbeiterinnen am Anfang der Industrialisierung. Bitte anschauen.

Arbeit auf Abruf – Digitale Tagelöhner, in der ARTE Mediathek

 


 

Grenzenlos

 

In meiner Geschichte „Sommer ohne Frau“ schrieb ich mal, dass ich gerne eine Schwalbe wäre, weil diese kleinen Vögel sehr mutig sind. Sie überqueren Wüsten, Meere und Berge. Sie nehmen diese Strapazen und Gefahren auf sich, nur um bei uns zu brüten. Es muss ein sehr großes Abenteuer sein. Sicherlich könnte eine Schwalbe viel erzählen. Jedes Jahr wandern Tiere auf dem Land zu Wasser und in der Luft, um sich zu paaren oder um satt zu werden. In „Grenzenlos“ beschreibt die Wissenschaftsjournalistin Fancesca Buoninconti die Reisen der Tiere. Wie sie sich orientieren und warum sie sich die viele Mühe machen. Leicht, verständlich und fesselnd geschrieben. Nach dem Lesen sehe ich eine Sardine mit ganz anderen Augen an und mache mich auch nicht mehr über Pinguine lustig.

Grenzenlos – Die erstaunlichen Wanderungen der Tiere, Francesca Buoninconti, Folio Verlag, 206 Seiten

 


 

An seiner Seite

 

 

An seiner Seite – ZDF Mediathek Charlotte (Senta Berger) kehrt mit ihrem Ehemann (Peter Simonischek) heim nach München. Sie hat alles für die Karriere ihres Mannes geopfert und spürt plötzlich, dass sie im Leben viel versäumt hat. Dazu kommen familiäre Probleme: Die Tochter ist sauer auf sie, ihre Enkelin kennt sie kaum und ihr Mann kommt nicht zur Ruhe. Sie merkt, dass es Zeit wird, etwas zu ändern. Senta Berger spielt diese Verunsicherung und den Frust einer älteren Frau mit einer Präzession, dass die leisen Momente zwischen den Dialogen unglaublich schön sind. Das ist keine Schauspielerei. Das ist Kunst. Senta Berger wurde im Mai 80 Jahre alt und ist immer noch cool.

 


 

Vogelwelt

 

1982 sitzt ein dicker Halbchinese mit seiner Schulklasse bei der Berufsberatung und füllt einen Fragebogen aus. Er will wissen, was aus ihm beruflich werden soll, denn er selbst hat keine Idee. Der Berufsberater geht über den Fragebogen und teilt ihm das Ergebnis mit: Er soll bitte Förster werden. Da gibt es keinen Zweifel. Lehrer und Mitschüler können sich vor Lachen kaum halten. Der Dicke war ich und wenn ich ehrlich bin, so schlecht war der Test gar nicht. Ich bin wirklich gerne in der Natur. In der letzten Zeit entwickele ich mich sogar zu einem Bird-Spotter. Ich habe mir ein handliches Fernglas gekauft und mir die Vogelwelt-App des NABU geladen. Hier gibt es Informationen zu über 300 heimischen Vogelarten. Mittlerweile freue ich mich, wenn ich einen Gartenrotschwanz erblicke.

Das Beste, die App kann das Gezwitscher bestimmen und herausfinden, welcher Vogel gerade in der Hecke oder in den Wipfeln piept. Für mich ist das eine große Hilfe, weil ich die meisten Vögel oft nur höre. Ein Must-Have für Menschen, die gerne draußen unterwegs sind.

Vogelwelt App – NABU, für iOS und Android


 

What‘s going on

 

Wenn mich jemand fragt, wer die beste männliche Soulstimme ist, muss ich nicht lange nachdenken. Für mich persönlich ist es Marvin Gaye. Ich liebe seine Stimme und Musik. Das hat sicherlich mit dem Album „What’s going on“ zu tun. Es kam im Mai 1971 raus und hat in den letzten 50 Jahren nichts an Relevanz verloren. Es ist ein Protestalbum. Es richtet sich gegen Gewalt, Ungerechtigkeit und Diskriminierung. Neben „What’s going on“ ist „Inner City Blues“ sehr hörenswert.

What’s Going On – Marvin Gaye, iTunes und Spotify

 


 

Halston

 

Das Drama von vergessenen Modedesignern und Modedesignerinnen ist, dass wir uns nur noch an sie erinnern, wenn wir in einer Drogerie ihr Parfüm oder ihren Namen auf einem Schlüpferbund gedruckt sehen. Bei Roy Halston Frowick genannt „Halston“ ist das ähnlich. Er war mal der innovativste und glamouröste Modedesigner in den USA. Die Netflix Serie „Halston“ beschreibt noch einmal seinen Aufstieg und Fall in den 70er- und 80er-Jahren. Grandios Ewan McGregor als Halston. Interessant: Die Looks aus der Serie können Fans kaufen. Und warum auch nicht, Hemdblusenkleider a la Trenchcoat, Hotpants oder fließende Kaftane mit Batikdruck können sich auch heute noch sehen lassen.

Halston – Netflix, Miniserie

 

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Danke, dass du dir ein wenig Zeit für meinen Monatsrückblick genommen hast. Das ist schön. Ich mag dich aber nicht weiter aufhalten. Du hast bestimmt Besseres vor. Vielleich schaust du im Juni wieder mal vorbei. Ich würde mich freuen. Bis bald. PS: Wenn du noch nicht geimpft bist, dann drücke ich dir die Daumen, dass es bald klappt.

 


 

Knuth ist Gründungsmitglied von SoSUE und unterstützt noch weitere Marken. Er selbst beschreibt seine Arbeit als „irgendwas mit Medien“. Der Hamburger würde am liebsten auf einen Berg mit Strand ziehen. Mehr über Knuth erfahrt ihr auf seiner Website Collideor and Scope.

 

 

 


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