Knuths Lost & Found August 32

 

Was kommt in den nächsten Monaten? Die Katastrophen häufen sich und keiner hat befriedigende Antworten. Das verunsichert viele. Knuth meint, dass wir uns an Ungewissheiten gewöhnen sollten und das Lösungen einfach mehr Zeit brauchen. Außerdem in seinem Monatsrückblick Lost & Found August ein paar Tipps über eine mutige Aktivistin, einen Film mit Seele und ein Buch, das erklärt, warum Menschen autoritäre Politik so anziehend finden.

 #Prepper

August 2022 - Mein größtes Problem mit Ferien ist, dass ich nicht weiß, ob alles so klappt, wie ich es mir vorgestellt habe. Denn sobald ich mein Haus verlassen habe, setze ich mich einem Kontrollverlust aus. Das bedeutet, es kann alles passieren, das ich nicht steuern kann: Reifenpanne, Koffer verschwindet, Flieger bleibt am Boden, verpasste Zuganschlüsse, Hotel ist überbucht oder das Handy geht kaputt.

Bei meinem letzten Urlaub durfte mein Zug auf der Rückreise wegen Böschungsbrände nicht weiterfahren. Und so blieb ich mit meiner Frau in Erfurt hängen. Die Bahn kann nichts dafür, dass es in diesem Sommer vermehrt in Deutschland brennt. Die Feuer durchkreuzten unsere Reisepläne. Keiner wusste, wie es weitergehen sollte. Weder Schaffner noch Bahn-App konnten mir sagen, ob wir an diesem Tag Hamburg erreichen würden. Am Ende hatte sich unser Blatt abermals gewendet, die angezeigten Verbindungen fuhren tatsächlich noch und so kamen wir mit großer Verspätung mitten in der Nacht an. Da war ich Stunden vorher davon überzeugt gewesen, dass wir in einem Hotel übernachten würden und nun lag ich glücklich, aber erschöpft zu Hause in meinem Bett. Der Morgen zeigte sich bereits und ich musste wieder feststellen, dass im Leben nicht immer alles glattläuft.

„Nichts in dieser Welt ist sicher, außer dem Tod und den Steuern.“, schrieb der amerikanische Naturwissenschaftler Benjamin Franklin. Er wusste, dass es nur wenig Sicherheiten im Leben gibt. Mit der Pandemie, dem Dürre-Sommer, der Inflation und dem Ukraine-Krieg haben sich viele meiner Gewissheiten in Luft aufgelöst. Leider muss ich erkennen, dass ich viele Jahre lang die Herausforderungen verdrängt, banalisiert oder belächelt habe. Vieles, was uns Politik, Stakeholder und Wirtschaft versprochen haben, taugt leider nur bei Sonnenschein etwas. Zu meinem Wirklichkeits-Hangover kommt noch hinzu, dass die aktuelle Situation sehr komplex ist und einfache schnelle Lösungen oft gar nicht möglich sind, weil alles mit allem zusammenhängt.

Gerne hätte ich ein Schicksal-Navi, damit ich unfallfrei durchs Leben komme. Eine Versicherung gegen die täglichen Apokalypsen wären auch nicht schlecht. Leider ist beides nicht möglich. Aber Ungewissheit bedeutet nicht, dass wir gar keine Ideen für Lösungen haben. Es finden sich immer Wege und Mittel. Beispielsweise können wir mehr für den Klima- und Naturschutz tun, für eine faire Gesellschaft eintreten und uns für demokratische Werte einsetzen. Krisen werden damit nicht verschwinden, aber mit ein bisschen mehr Verantwortung könnten wir sie ein wenig abmildern.

Keine Frage, die nächsten Monate werden verwirrend und anstrengend werden. Was ich mache? Ich setze auf ein altes Konzept von mir, das aus meinen frühen Kindertagen stammt. Zu jener Zeit war meine alleinstehende Mutter mit dem Leben überfordert. Es war sehr chaotisch. Oft wusste ich nicht, wie der nächste Tag wird. Ich rechnete immer mit dem Schlimmsten. Mein Prinzip war einfach: Das Leben ist voller Risiken. Sehe zu, dass du klar kommst und lass dir was einfallen. Immer mit dem Schlimmsten zu rechnen, hat mich zu einem Optimisten gemacht. Komischerweise hat es mir geholfen. Viele Situationen konnte ich meistern, selten perfekt, aber mit ein paar Schrammen schaffte ich es irgendwie. Damals lernte ich mit der Ungewissheit zu leben, denn unverhofft kommt oft.

 


 

Belfast

 

 

„Du weiß wer du bist. Du bist Buddy aus Belfast. Wo alle dich kennen“, sagt der Großvater zum neunjährigen Buddy (Jude Hill). Der liebt seine Viertel und seine Klassenkameradin. Der Junge hatte bisher eine gute Kindheit, bis der Nordirland-Bürgerkrieg ausbricht und alles durcheinanderbringt. Kenneth Branaghs Filmdrama trägt autobiografische Züge und hat eine ganz große Seele. Eine echte Liebeserklärung an die Stadt und ihre Menschen. Den Film wollte ich immer schon sehen. Bereut habe ich es nicht. Könnte ich immer wieder anschauen.

Belfast  – Verfügbar auf Amazon Prime und Apple TV

 


 

Die Verlockung des Autoritären

 

 

Noch immer bin ich fassungslos: Wie konnten Halunken, wie Trump oder Johnson Wahlen gewinnen? Wieso lassen Polen und Ungarn es zu, dass ihre Freiheitsrechte von korrupten Regierungen eingeschränkt werden? Warum finden Menschen anti-demokratische Herrschaftsformen so toll? Dieser Cocktail aus Nostalgie, Verschwörungstheorien, Fremdenhass, Frauenfeindlichkeit, Homophobie, Nationalismus, Wissenschaftsfeindlichkeit, Antisemitismus und Eliten-Bashing scheint in unsicheren Zeiten vielen zu schmecken. Die Journalistin Anne Applebaum zeichnet ein erschreckendes Bild über die aktuelle Situation westlicher Demokratien. Sie konnte mir viele Fragen beantworten. Wer verstehen will, warum plötzlich Familienmitglieder, Freunde oder Kollegen sich wieder eine „starke Hand“ in der Politik wünschen, die richtig aufräumt, der sollte dieses Buch lesen - wehret den Anfängen.

Die Verlockung des Autoritären – Anne Applebaum, Siedler Verlag, 208 Seiten

 


 

 A Museum and Equation

 

 

Ein zufälliger Fund auf Apple Music hat mir im August das Schreiben und Wandern erleichtert. A Museum and Equation ist angenehme „Hausmusik“, als würde nebenan bei mir in der Nachbarschaft jemand musizieren. Das Trio (Violine, Cello, Piano) hat populäre Hits und eigene Kompositionen wie „Hocus-Pocus Equation“ eingespielt, die wirklich schön sind. Leider fand ich nichts über die drei japanischen Musiker, aber das Album verzaubert ein wenig. Ich fühlte mich an verwinkelte Salons erinnert, in denen leise geflüstert wird, wo ich in einer Ecke sitzend, Tee trinke und dem Treiben zuschaue und tagträume.

A Museum and Equation – Atsushi Hayakawa, Tetsuya Osawa, Takashi Ochiai verfügbar auf Apple Music und Spotify

 


 

Mit wehenden Haaren gegen die Mullahs

 

 

Mit Millionen von Followern ist die Aktivistin und Journalistin Masih Alinejad das Sprachrohr der Iranerinnen, die gegen den Kopftuch-Zwang rebellieren. Sie ist eine der prominentesten Kritikerin des Mullah-Regime und nichts scheint den Männern in Teheran mehr Angst zu machen als Frauen mit offenen Haaren. „Meine Heimat, du Leidende ohne Aussicht auf Linderung“, singt sie in ihrem New Yorker Exil. Wer sich dem Hijab widersetzt, muss als Frau im Iran mit hohen Strafen rechnen. Der Dokumentarfilm zeigt ihren täglichen Kampf, der mit Drohungen, Ängsten und Demütigungen verbunden ist. Eine aufrechte Kämpferin, die ihr Leben riskiert. Beeindruckend.

Mit wehenden Haaren gegen die Mullahs – verfügbar in der ARD Mediathek

 


 

 

Die Alpen

 

 

Och nö Knuth, nicht noch ein Sachbuch! Tut mir leid, geht nicht anders: Das ist kein Coffee-Table-Buch mit schönen Sonnenuntergängen und Gipfelromatik. Es ist tatsächlich ein wissenschaftliches Sachbuch, das sich mit dem Lebens- und Wirtschaftsraum der Alpen beschäftigt. Es ist gut und verständlich geschrieben. Prof. Dr. Werner Bätzing ist der weltbeste Bergversteher, der hinter die „heile Welt“ schaut, die der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Realität völlig widerspricht. Mittlerweile habe ich mich von vielen Bergklischees verabschiedet. Ich habe sein Buch nicht von vorne bis hinten durchgelesen. Es ist für mich eher ein hilfreiches Nachschlagewerk, wenn ich etwas nicht verstehe.

Die Alpen – Werner Bätzing, C.H.Beck, 431 Seiten

 

 

 

***

 

Wieder ist ein Monat vorbei. Ich hoffe, du hattest trotz der aktuellen Lage eine gute Zeit. Danke, dass du hier hängen geblieben bist. Vielleicht bist du nächsten Monat wieder dabei. Es würde mich freuen. Bis bald.

 


Knuth ist Gründungsmitglied von SoSUE und unterstützt noch weitere Marken. Er selbst beschreibt seine Arbeit als „irgendwas mit Medien“. Der Hamburger würde am liebsten auf einen Berg mit Strand ziehen. Mehr über Knuth erfahrt ihr auf seiner Website Collideor and Scope.

 

 

 

 

 


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