Knuths Lost & Found August 20

 

Die Vergangenheit holte Knuth ein, als er einen Brief von der Rentenversicherung bekam. Plötzlich tauchten längst vergessene Menschen und Orte wieder auf. Außerdem hat er ein paar Tipps für euch von Dingen, die er im August gelesen, gehört und gesehen hat.

 #LifeIsLife

August 2021 – Die Deutsche Rentenversicherung hatte mir einen Brief geschrieben, sie bat mich, dass ich bitte meine Beschäftigungszeiten überprüfen sollte. Mein ganzes Arbeitsleben war aufgelistet. Es passte auf knapp zwei Din-A4-Seiten. Laut dem Schreiben gab es ein paar Lücken in meinem Erwerbsleben.

Mein Finger fuhr die Liste mit meinen Pflichtbeiträgen langsam runter. Mit jeder Jahreszahl, an der ich stoppte, traten immer mehr Menschen und Orte aus der langen Abwesenheit hervor. Sie schlichen sich zwischen meine Gedanken ein und schienen sich zu freuen, dass ich mal wieder bei ihnen war. Darauf war ich nicht vorbereitet.

Das erste Mal stoppte mein Finger bei 1988. In diesem Jahr machte ich meinen Zivildienst und pflegte einen schwerbehinderten Jugendlichen. Er war komplett hilflos. Damals sagte ich mir, wenn ich das hinkriege, kriege ich alles hin. Ich sehe mich, wie ich ihn wasche, er auf meinem Schoß sitzt und ich ihn mit Brei füttere. Im Radio lief immer leise klassische Musik. Die Mutter achtete darauf, dass wir Zivis den Sender und die Lautstärke nicht verstellten. Es war eine stille Arbeit, fast wie in einem Kloster. Heute muss ich sagen, das war vielleicht der beste Job, den ich gemacht habe. Mein Finger rutschte weiter runter, nur um fünf Jahre später wieder zum Stehen zu kommen.

1993 hatte ich zum Entsetzen meiner Freundin und meiner Familie mein Studium wegen der Fotografie an den Nagel gehängt. Ein paarmal bin ich noch falsch abgebogen, was auch daran liegt, dass ich nie einen Plan von meinem Berufsleben hatte. Ich strande eher immer irgendwo und manchmal auch im nirgendwo. Immer halfen Zufälle. In dem Jahr fragte mich jemand, ob ich nicht Lust hätte, als Assistent in einer Redaktion zu arbeiten. Es klang ganz gut und ich sagte zu. Meine Aufgabe bestand darin, dass ich Fotos sortierte und die Bildwünsche der Redakteure zusammenstellte. Damals wusste ich nicht, dass es der Auftakt zu meiner Grandtour wurde.

Mit Unterbrechungen erreichte ich endlich das Jahr 2008, hier stoppte mein Finger wieder. Trotz der vielen Schinderei schaffte ich es, so etwas wie eine Karriere zu machen. Wie mir das gelungen ist, weiß ich bis heute nicht. Am Ende war ich stellvertretener Chefredakteur eines seltsamen Männermagazins geworden. Alles drehte sich um Muskeln, Motoren und Mädchen. Tag und Nacht hatte ich mit meinem Kumpel geschuftet, damit es überhaupt ein wenig funktionierte. Die Mühe war umsonst. Das Heft wurde eingestellt. Mein über vierjähriges Vagabundenleben zwischen Hamburg und München endete. Ich blieb an der Elbe. Zum ersten Mal war ich arbeitslos. Ich genoss den Sommer und renovierte unsere Wohnung. Während ich den alten Lack von den Türen abschleifte, beschloss ich mich selbstständig zu machen.

Am Nachmittag war die Rekonstruktion abgeschlossen. Gegenwartsvergessen hockte ich weiter über der Liste und gab mich meinen Erinnerungen hin. Der Himmel klarte auf. Die Regentropfen auf der Fensterscheibe von meinem Büro lösten sich langsam auf. Das Nachsinnen über vergangene Tage und Taten muss aufhören, dachte ich und beschloss einen Spaziergang zu machen. Draußen füllten sich die Straßen, die Menschen freuten sich über die Regenpause.

Mit jedem Schritt ließ ich die Vergangenheit hinter mir. In einem Park blieb ich stehen und genoss die Sonne. Ahorn-Samen drehten ihre Pirouetten übermütig im Wind und freuten sich über ihre Freiheit. Ich schaute mir ihre Aufführung eine Weile an. Dann fragte mich eine Stimme, von der ich als Kind immer annahm, sie gehöre einer höheren Macht, bis mir klar wurde, dass es meine Eigene ist: „Was kommt jetzt Knuth?“ Ich grinste und sagte zu mir selbst: „Das Leben, Knuth. Was sonst!“

 

 

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Der August war nasskalt und die Nachrichten fühlten sich auch nicht sommerlich an. Afghanistan versinkt in einem furchtbaren Chaos und die 4. Corona-Welle steht vor der Tür. Dazu ein seltsamer Wahlkampf. Ein Monat, den ich am liebsten aus dem Kalender streichen möchte. Was ich gestreamt, gelesen und gehört habe, um mich zu trösten, könnt ihr  jetzt in meinen Tipps nachlesen.

 


 

Berge im Kopf

 

„...Immer mehr Leute entdecken ein starkes Bedürfnis nach den Bergen und erfahren dort auf wirkungsvolle Weise Trost. Im Grunde genommen stellen die Berge wie jede Wildnis eine Herausforderung für unsere überhebliche Überzeugung dar, der man so leicht verfällt, dass die Welt von Menschen für Menschen gemacht wurde...“ Wer mal auf einem Berg war, kann diese Worte gut verstehen. Robert Macfarlane erzählt von der Anziehungskraft der Berge und was sie mit uns machen. Wer die dünne Luft in den Höhen schätzt, sollte es lesen – unbedingt.

Berge im Kopf , Robert Macfarlane, Matthes & Seitz Berlin, 319 Seiten

 


 

Skate – Silk Sonic

 

Was Popmusik betrifft, bin ich recht einfach gestrickt: Ich muss zur Melodie wippen können. Ob mit der Hüfte oder den Füßen, das spielt keine Rolle für mich. Kopfschütteln zu Gitarrenriffs, gegenseitiges Schubsen von der Tanzfläche, zucken zu Kreissägenbeats oder freies Barfußtanzen, um sein wirkliches Ich zu finden: All diese Moves mag ich nicht. In den Wippmodus komme ich, wenn ich den Sound von Silk Sonic höre, einem Band Projekt von Bruno Mars und seinem Kumpel Anderson Paak. „Skate“ oder „Leave the Door Open“ guter Oldschool Soul perfekt zum Wippen. Believe me.

Skate  - Silk Sonic auf YouTube oder zum Streamen

 


 

Wild Rose

 

Rose-Lynn (Jessie Buckley) ist eine junge alleinerziehende Mutter aus Glasgow. Nach einem Jahr Knast wegen Heroinhandel kommt sie raus. In der Freiheit warten zwei Kinder und ein Job als Putzfrau auf sie. Das ist absolut nicht ihr Ding. Ihr Traum heißt Nashville und hier hofft sie auf ihren Durchbruch als Countrysängerin. Film und Soundtrack sind in der Pandemie komplett an mir vorbeigegangen. Aber zum Glück konnte ich ihn streamen. Obwohl ich zugeben muss, dass mein Fernseher und sein Sound für solche Filme viel zu mickerig ist, denn Wild Rose ist richtig großes Kino.

Wild Rose – Auf Netflix

 


 

Das Wetter

 

Ein großes Frachtschiff kämpft sich durch die Wellen. Es taumelt wie ein Korken im Strudel. Es bleibt stürmisch, als ich die nächste Seite aufschlage, springt mir ein Tornado entgegen. Tiere und Menschen sind vor seiner Gewalt auf der Flucht. Das Pop-up-Buch „Das Wetter“ zeigt Kindern und auch Erwachsenen, dass die Erde viele Witterungsarten kennt und sie leider immer mehr außer Kontrolle geraten. Es gibt viel zu sehen. Das richtige Buch für die Kleinen, wenn es draußen mal wieder regnet.

 Das Wetter  – Maike Biederstädt, Pop-up-Buch, 14 Seiten, Prestel Junior

 

 


 

Soldaten

 

Einen ganzen Tag bin ich wie ein Trottel behandelt worden, schon während der Musterung kam ich zu dem Entschluss, dass die Bundeswehr und ich nicht der perfekte Match sind. Vielleicht lag es damals auch daran, dass Armeen, die das Wort „Wehr“ in ihren Namen führen, bei mir ein hektisches Unwohlsein auslösten. Als ich vor Monaten mal so durch die Straßen spazierte, kam mir eine Gruppe Soldaten entgegen. Mir fiel auf, wie wenig Bundeswehrsoldaten ich in der Öffentlichkeit noch sehe. Ich fragte mich, was bewegt einen Menschen heute noch dazu, Soldat oder Soldatin zu werden. Diese Frage geht auch die ARD Dokumentation „Soldaten“ nach. Eine einfühlsame Beobachtung über drei junge Soldaten, die von ihrer Grundausbildung bis zum Abflug nach Afghanistan mit der Kamera begleitet wurden.

Soldaten – ARD Mediathek

 


 

Wein trinken und helfen

 

Im Juli wütete eine Sintflut im Westen von Deutschland. Es ist eine schreckliche Katastrophe. Besonders von der Flut getroffen: das Ahrtal. Hier gab es viele Opfer und massive Zerstörung. Zu den Betroffenen gehört auch das Weingut „Jean Stodden“. Ihr könnt es unterstützen, in dem ihr das Flutpaket „SolidAHRität“ bei ihnen bestellt. Es enthält Weinflaschen mit erlesenen Sorten, die das Hochwasser übrig gelassen hat. Wenn ihr mehr wissen wollt, dann klickt bitte noch einmal in meinen Artikel rein. Danke.

Das Flutpaket „SolidAHRität“  – Weingut Jean Stodden

 

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 Vielen Dank für die Zeit, dass du meine Texte gelesen hast. Es würde mich freuen, wenn dir meine Themen gefallen. Ich mag dich nicht noch länger aufhalten. Du hast bestimmt noch etwas Besseres vor. Bis bald im September. Bis dahin wünsche ich dir eine schöne Zeit.

 


 

Knuth Kung Shing Stein ist Gründungsmitglied von SoSUE und unterstützt noch weitere Marken als PR Berater und Content Curator. Er selbst beschreibt seine Arbeit als „irgendwas mit Medien“. Der Hamburger würde am liebsten auf einen Berg mit Strand ziehen. Mehr über Knuth erfahrt ihr auf seiner Website Collideor and Scope.

 

 

 

 


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