Inga Griese ist Senior Editor Style and Fashion in der "Welt"-Gruppe, außerdem verantwortet sie als Chefredakteurin die Stil-Magazine ICON und Die Stilisten. Im SoSUE Interview spricht die Modeexpertin über ihre Blattmachertätigkeit in Corona-Zeiten, über neue Trends und erzählt, wo sie ihre alten Donaldson-Jacken wiedergefunden hat.
In der aktuellen Stilisten Ausgabe gibt es eine Modestrecke mit dem Titel „Raum für die Seele“, die ihr in Worpswede fotografiert habt. Inga, was ist in der Corona Zeit dein Raum für die Seele?
Mein Seelenraum, und das nicht nur zu Coronazeiten ist meine Familie. Klingt abgedroschen, aber ist so. Ich bin eine glückliche, dankbare Mutter und Großmutter. Und zum Beispiel mit den pfiffigen kleinen Hamburger Mädchen an der Alster zu checken, ob die Entenbabys schon gewachsen sind, sortiert die Seele ungemein.
Du bist eine erfahrene Journalistin, wie war es, in diesem Jahr ein Heft zu machen? Habt ihr alle vom Home Office - vielleicht von Sylt aus - gearbeitet?
An Ideen hat es uns nicht gemangelt, gerade weil das Jahr so eine Herausforderung war. Ich wollte aber unbedingt zuversichtlich bleiben und da ICON so etwas wie ein schöner Garten und Erholung ist, wollte ich unbedingt schöne, auch motivierende Ausgaben machen. Nicht weltfremd, aber das Gegenteil von verzweifelt. Wir sind gereist, wann immer es möglich war, haben bei aller Umsicht unsere Shootings gemacht. Wir waren und sind natürlich auch im Home-Office, aber nicht durchgängig. Ich bin ein begrenzter Fan von Teams-Konferenzen, wa mutt dat mutt, okay, aber ich bin eher ein großer Fan von Menschen miteinander, wir sind ja keine Avatare. Für die ICON-Produktion braucht es vor allem in der Endphase das schnelle Miteinander über die Bildschirme hinweg, wir „basteln“ ja an unseren Heften bis zur letzten Sekunde, zudem gilt es, viele Proofs anzusehen und zu korrigieren. ICON ist ein Print-Produkt mit hohem Anspruch an die Qualität, dementsprechend muss ich es im gedruckten und nicht im digitalen Zustand sehen. Iconmagazine.de, unser digitales Pendant wiederum lässt sich natürlich herrlich am Bildschirm entwickeln und produzieren.
Aber viel wichtiger, was hast du im Home-Office getragen? Jogginganzug und für die Videokonferenzen kurz Bluse mit einem „Zoom-Collar“ übergeworfen?
Ich musste mich gar nicht so verstellen. Da ich generell Dinge trage, die mir Freude machen und frei nach Jil Sander Energie geben, und ich nicht der Typ für hautenge Korsagen bin, trage ich im Büro und auch auf Reisen Hosen, die nicht auf die Hüfte drücken, schöne Pullover und Blazer, die wie Jacken geschnitten sind oder einen gefühlt in den Arm nehmen. Man verliert sich leicht in der Zeit im Home-Office. Also hab ich morgens etwas anderes angezogen, damit ich abends wieder eine Jogginghose anziehen konnte. Gibt Struktur. Allerdings habe ich in diesem Jahr kaum Kleider getragen, sonst die Basis meiner Ausstattung, weil ich am liebsten nur mit Handgepäck reise.
Modejournalismus hat auch immer was mit Events zu tun, wie z.B. Modenschauen oder Red-Carpet-Events? Die waren ja plötzlich nicht mehr da, wie habt ihr es trotzdem geschafft, die Ausgaben zu füllen?
Es hilft, wenn man den Job schon so lange macht wie ich und auf einen Erfahrungs- und Erlebnisfundus zurückgreifen kann. Und auf Kollegen und Fotografen, die ihre Energie auch in schwierigen Zeiten nicht dem Sortieren der Bücherregale opfern.
Welcher Event hat dir besonders gefehlt?
Die Modewochen. Ich liebe diesen Marktplatz der Kreativität und Eitelkeit. Ich bin ja für immer Reporter.
Werden sich Online-Fashion-Shows durchsetzen?
Teilweise. Aber nicht ausschließlich. Ent- oder weder wird es wahrscheinlich in keinem Bereich mehr geben - mehr geben können. Ich finde zum Beispiel die Idee von Moncler spannend, einen Live Event in China zu machen und ihn in Mailand dann zu streamen.
Du bist gut vernetzt, kannst du bitte mal beschreiben, wie ist aktuell die Stimmung in der Modeszene?
Es kommt darauf an, mit wem man spricht. Die Excel-Tabellen-Herrscher und die Finanziers sind sicher nicht glücklich, die Umsatz-Zahlen sind deprimierend. Asien und auch online können nicht wettmachen, was an Konsum einfach nicht stattgefunden hat. Für viele Designer wiederum war es eine ganz schöne Erfahrung, mal wieder zu Hause in Ruhe kreativ sein zu können.
Viele Designer und Modeexperten, sagten dass sich die Mode durch die Krise verändern wird? Was würdest du sagen, was so die ersten Trends sind?
Mode ist ja immer ein gesellschaftlicher Seismograph, insofern reagiert sie und hat auch reagiert. Hinzu kommt, dass das Virus wie ein Scheinwerfer in Ecken geleuchtet hat, über die wir schon lange diskutieren: Nachhaltigkeit, Überproduktionen, circular economy, think global-act local, die aber in der Hektik der digitalen Möglichkeiten und Begehrlichkeiten immer wieder aus dem Fokus gerieten. So gesehen hat die Pandemie uns – hoffentlich – geholfen. Allerdings sind Menschen nur Menschen. Ob die Vernunft siegt, wird sich zeigen. Und ob wir Begehrlichkeit wirklich opfern wollen, weiß ich gar nicht.
Die große Dame der Trendanalyse Li Edelkoort sagte in der SZ, die Mode könne jetzt eine neue Seite aufschlagen. Es ist die Zeit für „Quarantäne der Zukunft“ Endlich könne man anhalten und über Bord werfen, was unnötig sei, und umarmen, was man wirklich brauche. Es sei eine Chance für die Industrie, für die Menschen, letztlich für den Planeten Erde. Glaubst du auch, dass nach Corona eine Phase des verantwortungsvollen Konsum kommt?
Wir müssen noch definieren, was verantwortungsvoller Konsum ist. Für wen gilt der? Wir müssen achtgeben, dass wir nicht aus einer gesättigten Haltung aus den gegenüber gieren, die all die Chancen vielleicht noch gar nicht hatten. Ich bin aber in jedem Fall ein Freund von Konzentration. Lieber ein schönes, langlebiges Teil als billigen Schund. Das ist im Übrigen auch nicht sozial. Schlechtes Zeugs, damit sich auch die ärmeren Menschen etwas leisten können – was für eine Idee ist das eigentlich?
Nachhaltigkeit in der Mode setzt ja auf langes tragen. Gibt es ein Teil bei dir im Kleiderschrank, die du schon seit Jahren mit Begeisterung trägst?Viele! Damals wie heute passe ich zum Glück weiterhin in meine Jil Sander Sammlung und habe in ein paar Teile von Maria Grazias Dior investiert, die immer auf Wiedervorlage sind. Im Sale in New York habe ich mal eine extradicke und knielange Kaschmirjacke von Loro Piana geschossen, wie ich überhaupt finde, dass Kaschmir immer ein gutes Investment ist…eines meiner Seelenstücke ist ein Strickmantel aus der Salzburg-Kollektion von Karl Lagerfeld für Chanel. Den werde ich nie weggeben. Ist schon traurig genug, dass Karl nicht mehr ist.
Neue Kollektionen sind immer eine Wette, keiner weiß, ob das auch wirklich bei den Kunden ankommt. Was sind die die drei wichtigsten Trends im nächsten Frühjahr/Sommer 2021? Und welche neuen Designer sollten wir auf jeden Fall „stalken“?
Schau mal bei Tom van der Borght. Und vor allem geht es um Farbe!! So sehr ich dunkelblau liebe…aber zum Glück gibt es jetzt ja auch viel hellblau. Im Ernst, da sind wir wieder bei den Seismographen, wir sehnen uns nach Lebensfreude, nach Optimismus. Das haben die Stoffproduzenten und Designer längst geahnt. Das Leben muss wieder bunt werden. Und wie Giorgio Armani jüngst sagte: „Ich möchte die Frauen wieder schön anziehen!“
Deine Seelenheimat ist Norddeutschland. Erklär doch mal unseren SoSUE Followern die Liebe der Fischköppe zu der Farbe Blau, was macht sie so einzigartig?
Blau ist eben nicht schwarz. Ist versöhnlicher. Ist ein Versprechen wie der Himmel und das Meer. Steht jedem. Aus gutem Grund heißt es doch: Mach mal blau.
Wo hast du Weihnachten verbracht?
Wir waren statt alle zusammen auf Sylt dieses Mal auf Großeltern-Tour in Berlin und Hamburg, von Haushalt zu Haushalt unserer Kinder. Anders, aber auch schön. Das Band, das uns alle zusammenhält, ist ja elastisch. Am 26. Dezember sind ich, mein Mann, unser jüngster Sohn, seine Verlobte und Harry unser Teckelbaby nach Kampen gefahren. Grauenhaftes Wetter, herrliche Luft, viel Doppelkopf und Dachboden aufräumen. Da tauchten die herrlichen Donaldson-Jacken wieder auf, für die ich vor 25 Jahren ein Vermögen ausgegeben habe, weil sie so cool und besonders waren. Sie hängen jetzt wieder an der Garderobe. Neben den quasi antiquarischen Ralph-Lauren Anoraks und dem neuen Uniqlo Daunenmantel von Jil Sander.
Danke liebe Inga für das tolle Interview!
Stay Tuned – eure SoSUE