Seit zehn Jahren beherbergt Stefanie Wilke regelmäßig Untermieterinnen und Untermieter. Nicht etwa aus Barmherzigkeit: „Pas du tout!“. Als unfreiwillig Alleinerziehende braucht sie das Geld. Denn leider haben die Eltern ihr kein Friesenhaus auf Sylt vermacht – der Papa hat die Kohle beim Black Jack verballert. Als Vermieterin teilt sie mit Höflingen, blinden Passagieren, Gespenstern und Pionieren die Küche und das Bad. Das Erlebte hat sie kurz und bündig für SoSUE als Serie aufgeschrieben.
Elbe 15- Eine Art Heimaterzählung
Kapitel 8
Von Stefanie Wilke
Die Pandemie verändert alles
Die nächste Mitbewohnerin, die für ein Berufspraktikum nach Hamburg gekommen war, trug nie ihre Sachen über die Schwelle. Im März wurde die globale Covid-19-Pandemie offiziell. Ich wollte auf Nummer sicher gehen und organsierte der jungen Frau eine Alternative. Ich blieb im Home Office. Meine jüngere Tochter blieb im Homeschooling. Meine erste Tochter saß allein in einem winzigen Studierzimmer, die Uni war geschlossen. Wir desinfizierten Türgriffe, isolierten uns, wuschen permanent unsere Hände und lauschten dem NDR Podcast mit Christian Drosten. Unsere muntere Herberge verwandelte sich in ein Kammerspiel.
Die ersten Tests waren eine Sensation!
Glücklicherweise lebten wir mit zwei Hunden, denen war die Pandemie egal, sie durften mit aufs Sofa, wurden noch mehr gestreichelt als zuvor und Frauchen verließ, außer für ausgedehnte Spaziergänge, kaum noch das Haus. Also alles bestens. Jeden Tag um 17 Uhr tranken wir Tee und aßen Kuchen. Ich brauchte Kuchen. Es war als ob uns der Kuchen tröstete. Ich begann, regelmäßig Markus Lanz zu schauen, ich hörte seinen Gästen zu und füllte damit die Gesprächslücke auf, die ich vor der Pandemie nie erlebt hatte. Ich war ja immer in Kontakt mit anderen Menschen gewesen. In meiner Wohnung, bei der Arbeit. Auf einer unserer Fensterbänke ließen wir ein Taubenpaar gewähren, sie bauten ein Nest, ich brachte es nicht übers Herz sie zu vertreiben. Jedes Lebenszeichen war willkommen. Wir gaben ihnen Namen, Anton Covid und Gurr-drun Corona, ihre Küken nannten wir Tommy und Annika. Ich konnte sie von meinem Schreibtisch aus beobachten. Dort saß ich ja fast den ganzen Tag und plapperte in den Bildschirm hinein bei endlos und sinnlos scheinenden Zoom Meetings. Unter widrigsten Umständen harrte die Taubenfamilie auf der Fensterbank aus. Ein Nachbar aus dem gegenüberliegenden Haus beschoss sie regelmäßig mit einer überdimensionalen Wasserspritzpistole. Sie blieben sitzen. Ich erhielt Beschwerdepost. Ich sah das zweite Gelege flügge werden. Die Pandemie blieb. Ich entwickelte eine heimliche Leidenschaft für Karl Lauterbach. In meiner Fantasie traf ich ihn nach meiner dritten Impfung in Berlin zu einem salzfreien Abendessen. Es war höchste Zeit für ein neues Inserat.
Ende
Stefanie Wilke wächst auf Sylt am Strand unter Piraten und FKK-Fans auf. Schon als Kind sah sie an der Buhne 16 Prominente „wie Gott sie schuf“. Diese Impressionen trugen möglicherweise dazu bei, dass sie mit Mitte zwanzig als Redakteurin bei der GALA anheuerte, und dort auch Knuth kennenlernte. Seit etwa zehn Jahren schreibt sie Kolumnen über Liebeskummer und Lebenskummer. Immer wieder auch für Sue, die sie bereits kannte, als Sue noch als TV-Reporterin Hollywood-Stars in Cannes interviewte.