100 Tage Instagramer

Foto: Kung Shing - Mit Instagram wuchs mein Ego.

 

"Wir formen unser Werkzeug, und danach formt unser Werkzeug uns."

Marshall McLuhan, Medientheoretiker

"Es gibt kein endgültiges Foto."

Susan Sontag, Schriftstellerin

 

In meinem ersten Leben war ich einmal Fotograf und Fotoredakteur. Vor acht Jahren beschloss ich meine Kamera zur Seite zu legen, weil ich mich entschieden hatte, einen neuen Beruf auszuprobieren. Mein Interesse an Fotografie versiegte. Das änderte sich vor einem Jahr, als ich bei SoSUE angefangen habe zu schreiben. Ich bewundere Sue und Yassi, beide beherrschen die App, die es erst seit 2010 gibt virtuos. Mein Interesse wuchs und so beschloss ich selber zu „instgramen“. Diesmal richtig mit eigenen Fotos und nicht nur zuschauen, denn ein Instagram-Konto hatte ich schon lange, aber da war ich nur ab und zu. Ich wollte jetzt 100 Tage lang täglich ein Foto auf Instagram posten.

#WasSollIchSchreiben?

Mitte März früh morgens beim Laufen fotografierte ich den Mond. Das war mein erstes Instagram-Foto. Kann man posten, muss man aber nicht. Ich postete den Mond. Schwieriger als das Foto, war für mich der Text, was schreibt man dazu, soll ja wie das Foto originell, witzig sein und irgendwie Geist haben. Weiß, nicht warum ich mir so viele Gedanken über das schreiben gemacht habe. Dabei geht es doch bei Instagram um Fotos und nicht um Worte. Beim Tippen des Textes, vergaß ich alles, was ich vorher über Instagram gelernt hatte. Ich lud das Bild hoch und freute mich über 19 Likes in Form von Herzen. Gott sei Dank wird auf Instagram nur gelobt. Das macht das Posten einfacher. Es gibt keine Richter, die entscheiden, was gut oder schlecht ist. Es gibt immer nur Applaus, mal mehr und mal weniger.

#WasSollIchFotografieren?

Es ist Anfang April und ich hatte gerade mal drei Instagram Fotos hinbekommen. Ehrlich gesagt wusste ich nicht, was ich fotografieren sollte. Dass alle Themen schon besetzt sind, machte die Sache auch nicht einfacher. Ich wusste nur, dass ich täglich posten und möglichst viele Aufnahmen mit meinem iPhone machen möchte. Kurz dachte ich darüber nach, ob ich Interior-Instagramer werden sollte. Immerhin besitze ich einen Eames Chair, den könnte ich von Zimmer zu Zimmer schieben und davon Fotos machen. Zwischendurch ein Foto von einem Cappuccino auf einem weißen Kissen im Schlafzimmer auf Instagram hochladen, das würde Follower und Likes bringen. Auf „Insta“ ist das sehr beliebt und es gibt Instagramer, die damit Tausende von Followern gewonnen haben. Am Ende wurde ich doch kein Interior-Instagramer. Auf einer Reise nach Italien kam mir in Mailand auf dem Flughafen in den Sinn, dass ich Alltagsdinge fotografieren sollte, wenn möglich nur im Detail. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht, dass mich das in einen unendlichen Motivstrudel ziehen würde.

Foto: Kung Shing - Man braucht viel Luft und Ausdauer auf Instagram, wenn man wahrgenommen werden will.

#UndHeuteDieGanzeWeltSofort

Seltsamerweise dachte ich, meine Bilder sieht die ganze Welt. Das ist natürlich Quatsch. Teilweise hatte ich nur eine Reichweite 100 bis 300 Leute pro Post, aber Instagram ist gut da drin dir das Gefühl zu geben, dass du auf der ganzen Welt gesehen wirst. Laut Statista wurden 2014 täglich bis zu 60 Millionen Fotos täglich auf Instagram hochgeladen und man kann davon ausgehen, dass es heute noch viel mehr sind. Also ich gegen 60 Millionen und mehr. Ich musste mich anstrengen. Instagram weckte in mir den Gamer, ich wollte das nächste Level erreichen und den Diamanten bekommen.

#Egoshooter

Wenn ich also ein berühmter Instagramer werden wollte, musste ich nicht nur regelmäßig posten, ich musste ständig posten. Instagram selbst empfiehlt einen noch besser zwei Posts am Tag, zusätzlich musste ich auch andere Instagramer Liken und kommentieren, und dass wie ein Irrer. Ich likte und kommentierte, wann immer ich konnte: in der U-Bahn, vorm Fernseher, kurz bevor ich einschlief oder vor dem Morgenlauf. Das kostete viel Zeit und Energie. Instagram belohnt Aktivität mit weiteren Likes und Followern. Ich gab mir mehr Mühe beim hashtagen, markieren, texten und der Bearbeitung der Fotos. Wenn ich etwas gepostet hatte, beobachtete ich meine Posts wachsam weiter. Ich wollte wissen wer mich gelikt hatte und wer nicht. Dazu lud ich mir eine spezielle App runter, damit konnte ich das Verhalten meiner Follower genauer studieren. Das Engagement zahlte sich aus. Meine Like-Zahlen und Follower stiegen und mein Ego auch. Ich wollte noch mehr Likes und Follower. Narziss erwachte in mir. Narziss ist wortverwand mit Narkose und tatsächlich war ich wie betäubt von meinen Fotos und die Erweiterung meines Egos auf die anderen Menschen. Das gefiel mir.

#ImSchattenStehen

Ich gebe mir viel Mühe, aber es zahlte sich kaum aus. Meine einmaligen Bilder werden nicht wahrgenommen. Kann doch nicht sein. Es sind doch so tolle Bilder! Mein Ego ist verletzt. Noch mehr verletzte es mein Ego, wenn mich Follower wieder verließen. Das nahm ich persönlich. Ich fühlte mich, wie ein schlechter Schauspieler bei dem das Publikum mitten in der Vorstellung aufsteht und geht. Ich überlegte kurz, ob ich mir für ein paar Euros zusätzliche Fans kaufen sollte. Aber für mich fühlte sich das an wie Doping und ich musste an die Spätfolgen von Doping denken. Das Gewissen siegte und ich machte eifrig weiter, wie bisher.

#Motivstrudel

Zweimal am Tag Posten, das heißt, ich brauche jede Menge eigene Bilder. Also war ich in einem ständigen Fotografier-Modus. iPhone Kamera und eine Daten-Cloud mit viel Speicher machten es mir leicht, dass ich oft und überall fotografierte. Ich kam zu spät zur Arbeit, weil die Alster so schön glitzerte oder ich in einer Pfütze schöne Reflexionen sah. Wenn ich mit meiner Frau spazieren ging, kamen wir nicht voran, weil in meiner Einbildung überall Motive waren und ich keines übersehen wollte. Ich verlor mich in meinen Bildern und auf der Suche nach ihnen. Es ging sogar so weit, dass ich bei einem Konzert im Hamburger Michel meine Frau vor dem Eingang stehen gelassen habe und das nur, weil ich ein tolles Motiv festhalten wollte. Es ging mir mittlerweile nicht mehr nur um das Foto: Ich hatte angefangen, Bilder in Likes und Reichweiten zu bewerten.

#tschüssKiosk

Das merkwürdige an meinem Experiment war, dass ich keine Mode- oder Lifestylemagazine mehr kaufte. Ich informierte mich über Mode, Design und Lifestyle nur noch auf Instagram. Ich stellte meine eigene „Vogue“ aus Modemarken, Moderedakteure, Fashionblogger und Modemagazine zusammen. Ich fühlte mich schneller informiert und beim Durchblättern der Magazine kam ich mir überlegen und schrecklich altklug vor. Ich dachte immer zu: „Kenn ich schon.“

Nach den 100 Tagen hatte mich Instagram verändert. Ich griff öfters zum Handy und checkte nicht nur Instagram, sondern auch gleich Facebook regelmäßiger. Mein Stunden und mein Tag wurden zerhackt. Ich beobachte an mir eine Ungeduld. Ich wurde impulsiver. Meine Frau hielt mir vor, dass ich nur noch für meine Bilder da bin. Sie hatte recht. Bilder haben durch das Cyberspace eine viel größere Magie bekommen als noch vor hundert Jahren. Daher verwundert es nicht, dass ein so großer Kampf um Bilder geführt wird. Aber der Instagram Algorithmus schafft es nicht mehr so richtig bei mir, er hat sein Maximum bei mir erreicht. Ich brauche nicht noch mehr Wirklichkeit.

Ich möchte kein Kulturreaktionär sein und Instagram verteufeln, ich habe dort auch viel Schönheit und Weisheit entdeckt. Es wird, wie mit dem Fernsehen sein, wir werden uns daran gewöhnen müssen. Ich selbst werde jetzt wieder etwas weniger instagramen. Ich gehe jetzt wieder raus, schaue mir die Welt an ohne an Likes zu denken und behalte viele meiner Bilder einfach im Kopf. Das ist krass oder?

Foto: Kung Shing - Auf Instagram wird nur gelobt, das machte mich mutiger und ich wuchs ein wenig


Tags: Instagram

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