Mein lieber Mann ... Teil 13: Löschungstrotz

An dieser Stelle schreibt unsere Autorin Briefe an „ihren Mann“, den es zwar hoffentlich schon gibt, der aber noch nicht bei ihr geklingelt hat. Die Bilder zu der Serie sind von dem Fotografen Peer Kugler. Die beiden waren vor 30 Jahren ein Paar und haben die meiste Zeit ihrer verliebten 24 Monate im Kino verbracht. Beide wundern sich darüber, dass ihre Freundschaft schon so alt ist wie der Fall der Berliner Mauer. Auf einer gemeinsamen Reise nach Bukarest vor 24 Jahren schlug Stefanie Peer vor, eine Leica mitzunehmen, seither legt er die Kamera nur selten vom Körper ab.

Teil 13

Löschungstrotz

Vergangene Woche habe ich wie üblich den Agentur-Fahrstuhl genommen. Die Büros befinden sich im sechsten Stock. Ich stieg ein, hielt meine Karte gegen den Sensor, drückte die Sechs, die Tür schloss sich, ich sah auf die Uhr, wie üblich war ich acht Minuten zu spät; und der Fahrstuhl blieb stecken.

Nun drückte ich mehrmals auf die Sechs. Mit kleinen hämmernden Schlägen meines Zeigefingers. Diese Reaktion nennen Wissenschaftler Lösungstrotz. Jeder Mensch, der bei klarem Verstand ist, weiß eigentlich, dass durch diese Reaktion nichts beschleunigt, repariert oder verändert wird. Tack tack tack ... ich erwartete einen funktionierenden Fahrstuhl. Wie an jedem Arbeitstag. Lösungstrotz und anschließend einsetzende Hilflosigkeit machten sich bemerkbar. Aber schließlich hatte ich ja ein Telefon und eine echte Entschuldigung für meine Verspätung und obendrein eine gute Geschichte. Meine jungen Kollegen würden es „micro adventure“ nennen. Mein lieber Mann, Du merkst, dieser Morgen hatte es in sich. 

Die Zeit im Fahrstuhl war sehr lehrreich. Plötzlich kam mir in den Sinn, dass der überwiegende Teil der Menschheit sich entweder in der Haltung „der Fahrstuhl funktioniert“ (bis er es nicht mehr tut) oder im Löschungstrotz befindet. Beispielsweise meine ich damit den Klimawandel. Die Umwelt ist die Grundlage unserer Zukunft. Seit mindestens 30 Jahren kennen Zeitungsleserinnen und Leser die Warnungen des Club of Rome oder vielleicht den Dokumentarfilm „Eine unbequeme Wahrheit“ von Al Gore und selbstverständlich die aktuelle Debatte und die Tatsache, dass Schüler ihre Eltern (mich eingeschlossen) und Großeltern daran erinnern müssen, dass Konsum, Wohlstand, Flugreisen, Autofahren, Massentierhaltung etc. unmittelbar mit weiter steigenden CO2-Emmissionen verbunden sind. Gletscher schmelzen, Wälder brennen, der Planet röchelt und fiebert und die Mehrzahl der Menschen benimmt sich weiter wie beim Fahrstuhlfahren. Geht schon. Ging doch immer. Geht schon gut, irgendwie. Solange das Trinkwasser aus dem Hahn, das Benzin aus der Zapfsäule, das Kerosin nicht besteuert, die Lebensmittel aus den Regalen, das Geld aus der Wand und die neue Serie auf Netflix kommt. 

Ich habe Löschungstrotz. Meine Überlegungen hämmern immer auf den Hoffnungsknöpfen, sie heißen: Wird schon nicht so schlimm. Messbare Kälte- und Wärmeabweichungen hat es schon immer gegeben. Artensterben ebenfalls. Die Menschen sind genial, sie werden etwas erfinden und die Ozeane vom Plastik befreien, die Korallenriffe retten, das Ozon-Schild reparieren und die Gletscher vereisen. Das zaubert irgend so ein MIT-Crack oder ein Team vom Max-Planck-Institut wie ein grünes Kaninchen aus dem Hut. Mikroorganismen  werden das Wunder vollbringen... Tack tack tack.

Eine kluge Frau hat mir jetzt einen Weg aufgezeichnet, ich entdeckte ihre Arbeit bei einer Recherche. Professor Dr. Maja Göpel ist Politökonomin, Klimaexpertin und Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WGBU). Sie sagt: „Wir greifen mit der Infragestellung des Wachstums tief in die DNA unserer Geschichte ein.“ In einem ihrer Vorträge (YouTube/Wirtschaftswandel für Zukunftsgerechtigkeit) schlägt sie einen Diskurs-Wandel vor. Sie erläutert wie eine Zukunft auf unserem Planeten, mit vergleichsweise guten Rahmenbedingungen, noch möglich sein würde. Sie spricht von „Sinnsuchenden Akteuren“ und wie eine nachhaltige Wirtschaft die gelernten „Pfad-Abhängigkeiten“ des Wachstums ablösen könnte. Maja Göpel argumentiert mit Fakten, sie kennt die Parameter von Ökonomie und Soziologie. Sie sagt: „Es ist nicht utopisch was wir wollen. Es ist utopisch so weiterzumachen. (...) So zu tun als wäre es grad nicht dran ist an den Fakten vorbei.“ Die Transformation des Planeten läuft auch ohne uns weiter. 

Wissenschaftler und Ökonomen haben alternative Szenarien in petto. Umdenken im Kopf und im Handeln. Die Transformabilität in sozio-ökonomischen Systemen (Quelle: Stockholm Resilience Center) „ist die Fähigkeit, unbekannte Anfänge zu kreieren, aus denen eine fundamental andere Form des Lebens entsteht, wenn die existierenden ökologischen, ökonomischen und sozialen Konditionen das aktuelle System untragbar machen“. Es ist also nicht aussichtslos.

Wir müssen nur eine Sache ändern. Uns selbst.

Ich hörte auf, weiter auf den Knopf mit der Sechs zu hämmern. Jemand stand neben mir und wünschte mir mit bemerkenswert angenehmer Stimme einen guten Morgen. Dieser Jemand roch gut. Die Fähigkeit unbekannte Anfänge zu kreieren, klingt für mich wie etwas sehr Vertrautes. Mein lieber Mann, die Stunden mit dir im Fahrstuhl waren interessant. Zwei Fremde, die sich viel zu erzählen hatten. Über Löschungstrotz, wegweisende Ideen und schließlich die Befreiung aus einer Kapsel. Du hattest Wasser, ich ein Franzbrötchen: unser erstes gemeinsames Frühstück.

Teilen bleibt wichtig.

 


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