Mein Leben als Hund - Teil 5

SoSUE Autorin Steffi Wilke führt ein Leben im Rudel. Hier auf SoSUE berichtet sie regelmäßig über ihr Leben mit ihren Vierbeinern. Der Serienstart ist eine Liebeserklärung an ihre Partner mit der kalten Schnauze.


Das Dorf voller Hunde
Mein Morgenspaziergang, sagen wir freitags um 7:30 Uhr, klingt so: „Guten Morgen Niels! Hallo Herrmann! Bonjour Heidi! Grüß Gott Vanja!“ Ich begrüße die Hunde in der Chronologie, in der sie mir im Park auf dem Weg zum Strand begegnen. Nur wenn wir Ruby treffen bleibe ich still, denn das freudige Terrier-Mädchen gerät bei Ansprache zu sehr aus dem Häuschen. Den Rat zum Gruße gab mir eine Hundepsychologin bei der ich Trainingsstunden zur Zähmung meines Rudels nahm. Angeblich soll es die Alpha-Position im Revier manifestieren. Eine solche Gelegenheit lasse ich ungern verstreichen. Ich grüße auch die Herrschaften der Vierbeiner. Dazu muss ich sagen, dass Hundebesitzer auf ihrer Hausstrecke immer zuerst den Namen der Vierbeiner erfahren. Im Status der Hundebekanntschaft bin ich angelangt sobald ich die Namen der Besitzer kenne.

Auf meinem Trampelpfad hinunter an die Övelgönne, mit dem Etappenziel „Strandkiosk“, haben sich mittlerweile Gruppen gebildet. Regelmäßig tobt die Dackel-Bande am Elbufer. Der Dackel (in der Ausführung Langhaar und Rauhaar) hat eindeutig den Labradoodl und den Vizsla aus den vorderen Chartplätzen der Beliebtheit vertrieben. Ich bin mit den Dackeln Rosi, Heidi und Marsmann befreundet.

Die Clique zu der ich gehöre besteht im Kern aus sieben Menschen und zu vieren von ihnen habe ich eine Freundschaft entwickelt. Wir sind Dorfbewohner einer Stadt, und wenn uns mal die Themen ausgehen sollten, sprechen wir über unsere Hunde. Also reden wir immer.

Der Strandkiosk ist der Stammladen aller ortsansässigen Hundefans. Hier herrschen Stammesregeln und ich erkenne sowohl Zufallsbesucher als auch Touristen an ihren Kommentaren über das herrschende Tohuwabohu. Verständlich, denn woher sollten diese Gäste wissen, dass immer eine Schüssel gefüllt mit Wiener Würstchen für die geräuschvoll bettelnden Hunde auf dem Tresen steht. Obendrein zwischen und unter den Tischen eifrig nach Bällen und Croissant-Resten gebuddelt wird und dabei gelegentlich Sand in den Caffe Latte fliegt. Lautstarke Rangeleien sind an der Tagesordnung. Hier fliegen die Tassen hoch, das mag nicht jeder, der verträumt Containerschiffe gucken möchte. 

Neulich war richtig Land unter an unserem Strandkiosk. Und zwar nicht wegen des Hochwassers, sondern weil die Kaffeemaschine defekt war. Da konnte ich lässige Männer äußerst gereizt in freier Wildbahn studieren: „Was?! Heute keinen Espresso?!“ Echtes Entsetzen. Gruppendiskussion mit Analyse. Abzug ohne Heißgetränk. Soll noch mal einer behaupten, Koffein zählt zu den weichen Drogen. Glücklicherweise war der Nachschub an Würstchen gesichert, sonst wäre die Kaffeekrise zur Meuterei ausgeartet.

Geschnatter, Gebelle, das Mahlwerk der Espressomaschine, die Geräusche des Hafens – ich erlebe täglich ein Strand-Happening. Wenn ich allein sein möchte, kehre ich nicht ein, sondern laufe weiter bis zum Alten Schweden. Der Findling ist eine Attraktion aus der Eiszeit und Treffpunkt für Grillgelage.

Meine Hunde spielen am Ufersaum ausgelassen Fangen. Manchmal bekomme ich ein Lächeln von entgegen kommenden Spaziergängern spendiert. Den Unbekannten und den Bekannten. Einer von ihnen fehlt. Ein älterer Herr, der mit Pepe unterwegs war. Einige Jahre grüßten wir uns, oft an derselben Stelle. Vor wenigen Wochen im November ist der Mann gestorben. Im August sah ich ihn zum letzten Mal. Er rief mir im Vorbeigehen fröhlich zu „ich bin noch da!“ Ich antwortete: „Wie schön! Ich habe Sie schon vermisst.“ Wir lächelten uns eine Spur zu vielsagend an.

Und diesmal laufe ich weiter, am Alten Schweden vorbei. Wir sind ein Dorf voller streunender Hunde. Einer von uns fehlt.


Über den Autor:
Die Autorin Stefanie Wilke ist 1964 auf Sylt geboren, dort war es damals ganz schön wild. Sie ist am Strand unter Piraten aufgewachsen. Heute lebt sie in Hamburg und hat Magazine wie AMICA, Allegra, Emotion und enorm mit Ideen und Texten begleitet. Aktuell arbeitet sie als Texterin in einer Agentur. Das Schreiben über Psychologie und die Liebe zählt zu ihren Lieblingsbeschäftigungen. 

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