Knuths Lost & Found April 28

 

Der April macht was er will und Knuth hat seine Träume wieder. Sie waren verschwunden. Wie das passiert ist, könnt ihr jetzt erfahren. Was er sich angeschaut hat und welche Bücher er empfiehlt, könnt ihr ebenfalls in seinem Monatsrückblick auf dem Blog nachlesen.

#GoodnightGoodLuck

April 2022

„Bist du Stein?“, fragte der Mann im weißen Overall, der sich als mein Vorarbeiter vorstellte. Ich zögerte mit meiner Antwort. Seine Arbeitsschuhe irritierten mich sehr, dass es mir die Sprache verschlug. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Schon gar nicht in einer Fabrik. Sie sahen wie futuristische Highend-Sneaker aus.

Er wurde lauter: „Du Stein?!“

„Ja ich bin Knuth Stein“, gab ich zurück.

„So kannst du hier nicht arbeiten!“

„Warum nicht?“

Der Vorarbeiter guckte mich intensiv an und pumpte seinen Oberkörper auf, als wollte er mir gleich eine verpassen. Er sammelte sich und sprach mit mir, als sei ich ein sechsjähriges Kind: „Wenn. Du. Hier. Arbeiten. Willst. Brauchst. Du. Arbeitskleidung. Und. Arbeitsschuhe.“

Er gab mir einen Zettel auf den folgende Dinge standen, die mir ausgehändigt werden sollten:

Zwei Overalls in Weiß

Zwei Arbeitsjacken in Weiß

Ein Paar Arbeitsschuhe in Weiß

Zwei Paar Arbeitshandschuhe in Weiß

Eine Baseballmütze ebenfalls in Weiß

„Das muss eine sehr saubere Arbeit sein, dass alles weiß ist.“ Mein Scherz kam nicht gut an. Sein Blick blieb voller Verachtung. Er schaute mir in die Augen: „Du gehst jetzt mit diesen Zettel zur Kleiderkammer. Holst dir dort deine Arbeitsklamotten ab. Ziehst dich um. Kommst wieder schnell zurück. Und ich meine schnell. Dann teile ich dich ein. Kapiert?“

„Kapiert!“, wiederholte ich artig und machte mich auf den Weg.

Der Weg zur Kleiderkammer war ausgeschildert. Überall waren Anlagen, Maschinen und Rohre. Ich ging durch menschenleere Flure, um dann wieder in einer anderen Maschinenhalle zu landen. Öffnete ich eine weitere Tür, wiederholte sich alles. In so einer großen Fabrik hatte ich noch nie gearbeitet. Gefühlt war ich schon seit Stunden unterwegs. Ich folgte den Wegweisern, aber die Kleiderkammer erschien nicht. Ich konnte auch keinen Menschen fragen, weil ich keine Seele antraf. Wie sollte ich das dem Vorarbeiter erklären. Langsam spürte ich Panik in mir aufkommen.

Ob ich jemals die Kleiderkammer erreicht habe, kann ich nicht sagen. Ich weiß es leider nicht mehr. Mein Wecker klingelte und riss mich aus dem Schlaf. Es war ein Traum.

Bettwarm verpackt in meinem Morgenmantel saß ich in der Küche, starrte in meinen Kaffee und versuchte diesen seltsamen Traum in Worte zu fassen. Mit der vierten Tasse Kaffee wurde ich endlich wach. Ich schrieb mein Fabrikabenteuer auf. Seitdem schrieb ich jeden Morgen meine Träume auf. Ich beschloss mir eine Traumsammlung aufzubauen. Und weil ich immer im Schlaf viel träume, freute ich mich auf die vielen Geschichten.

Welche Bedeutung die Bilder haben, die mir im Schlaf erschienen sind, interessiert mich nicht, weil ich auf Traumdeutung nicht so viel gebe. Der Vorarbeiter in meinem Traum ist mein Chef, aber daraus jetzt eine pseudopsychologische Macht- und Pflichtanalyse zu konstruieren, ist mir ehrlich gesagt zu einfach hergeleitet. Mit esoterischen Deutungen kann ich gar nichts anfangen. Weder sind meine Träume Botschaften meiner Ahnen, noch stammen sie von Wesen aus einer anderen Dimension.

In einer Zeitung stand, dass Träume eine Art aufräumen in Bildern sei. Das Hirn entsorgt, während wir schlummern viele unwichtige Eindrücke. Im Grunde ganz vernünftig. Es wäre schlimm, wenn wir jede WhatsApp, E-Mail, Werbung, Gespräch oder Ampelphase speichern würden. Wir würden alle implodieren. Nach dieser wissenschaftlichen Meinung wären meine Träume eine Art Mülldeponie meines Bewusstseins. Mein Traumaufschreiben wäre nichts weiter als das Recyceln von entsorgten unwichtigen Wahrnehmungen.

Mein Stapel mit den Traumzetteln wuchs. Ich träumte und schrieb hinterher alles auf, bis etwas merkwürdiges passierte. Mitten in einem Traum sprach ich zu mir selbst: „Hey Knuth, das ist ein guter Traum, den solltest du auch aufschreiben.“ Als ich aufwachte, hatte ich mir nur diesen einen Satz gemerkt, alles andere war verschwunden. Von diesem Tag an versiegten meine Träume. Dieser Zustand hielt ein paar Wochen an. Erst kurz vor Ostern kehrten sie plötzlich wieder zurück. Es war beruhigend. Sie fehlten mir.

Ob ich meine Träume noch weiterhin aufschreibe? Nein, das mache ich nicht mehr, weil ich mich sorge, dass sie dann ganz verschwinden. Ich möchte nicht wieder traumlos meine Zeit verpennen. Als Kind habe ich immer geglaubt, dass meine Träume die echte Welt seien und die Wirklichkeit nur ein Traum sei. Diese Vorstellung gefällt mir bis heute und ich hänge sehr an ihr. Jetzt freue ich mich wieder auf die Nacht, die mir viele wunderbare Abenteuer verspricht. Wenn ich erwache, werden die Träume wieder verschwinden. Na und. Träume sind manchmal nur Schäume.

***

 Über 60 Tage dauert der Ukrainekrieg schon und ich befürchte, dass er noch lange gehen wird, sollte nicht bald ein Wunder geschehen. Ich bewundere den Mut und die Entschlossenheit der Ukraine, obwohl Russland das Land in ein Schlachthaus verwandelt hat.

 


 

 Queer Eye Germany

 

 

Diese Makeover-Show nimmt dich auf den Schoß und wärmt deine Seele, wie ein Becher heißer Kakao an einem nasskalten und grauen Nachmittag. Endlich mal kein Vorher-Nacher-Format oder eine Casting-Sendung, in der jemand vorgeführt wird. Leni, David, Jan-Henrik, Ayan und Aljosha sind wie die guten Feen aus einem Disney-Film. Die Aschenputtels, die sie besuchen, haben harte Schicksale hinter sich. Sie haben Tausende von Regenbogen mit Goldtöpfen verdient. Mit viel Respekt, Empathie und ein paar parktischen Tipps machen sie den Menschen wieder Lust auf das Leben. Das gelingt den fünf überraschend gut. Die Teilnehmer*innen sind wie verwandelt. Richtig gut.

 Queer Eye Germany , verfügbar auf Netflix

 


 

Die Erfindung des Jazz im Donbass

 

 

Auf Hermans Visitenkarte steht nur, dass er Experte ist. Ob Glückspiel oder Parteienberatung Hermann versteht sich auf alles. Er schlägt sich so durchs Leben. Eines Tages muss er in den Donbass reisen, um die Geschäfte einer Tankstelle zu regeln, die sein Bruder betreibt, der verschwunden ist. Die Tanke liegt in der ukrainischen Steppe im Nirgendwo zwischen Maisfelder und Industriebrachen. Es beginnt eine schwüle Odyssee mit vielen schrägen Gestalten. Ein Roman, der betrunken und Freude macht. Ich war sehr dankbar für diese Entdeckung in meinem Buchladen. Zhadan ist ein guter Erzähler. Trotz des traurigen Geschehens im Donbass ist es ein gutes Buch für einen Sommer in einer Hängematte.

Die Erfindung des Jazz im Donbass – Serhij Zhadan, 394 Seiten, Suhrkamp Verlag

 


 

Just for the Records

 

 

Für die meisten Agenten und Manager war sie zu hässlich, wer will so etwas schon auf der Bühne sehen, geschweige denn hören. Die US-Entertainerin Barbra Streisand ließ sich nicht unterkriegen. Sie wusste, dass sie Talent hatte, schon als Teenager war Streisand wegen ihrer großartigen Stimme in Nacht- und Schwulenclubs gefragt. Im April wurde die Oscarpreisträgerin 80 Jahre alt. Eine unglaubliche Karriere hat das "hässliche Entlein" hingelegt. Ich habe in meiner digitalen Plattensammlung eine Compilation mit ihren besten Songs gefunden. Sie beginnt 1955 mit „You’ll never know“. Es ist alles dabei: Duette mit Judy Garland und Ray Charles. Natürlich sind auch alle ihre Hits drauf wie „Funny Girl“ oder „People“. Vier Stunden sehr gute Unterhaltung. Please listen!

 Just for the Records  – Barbra Streisand verfügbar auf Apple Music und Spotify

 


 

Eisvogel und Wasserblüte

 

 

Eines Tages tauchte ich mit einem Tuschkasten bei meinem Vater im Chinarestaurant auf und beschloss die chinesischen Holzschnitte, die dort an der Wand hingen, nachzumalen. Ich bewunderte die Blumen, Prinzessinnen, Krieger oder Fabelwesen. Sie waren so lebendig, als würden sie jeden Moment aus dem Rahmen springen. Natürlich bekam ich es nicht hin. Meine Bilder sahen aus, als wäre ich der erste Mensch gewesen, der versucht hat zu malen. Trotz dieser Niederlage ist meine Faszination für diese Kunst geblieben. Das Leporello „Eisvogel und Wasserblüte“  zeigt schöne Vogeldarstellungen der japanischen Holzschnitzkunst. Eisvögel, Spechte, Meisen zwischen Zweigen so zart und detailreich, dass ich jetzt immer mal wieder darin blättere, um mich von der Arbeit abzulenken. Zum Verschenken oder einfach als Juwel fürs Regal.

Eisvogel und Wasserblüte – Leporello-Ausgabe mit 60 Farbtafeln und 48-seitigem Booklet, im Schmuckschuber, Prestel Verlag

 


 

 Coda

 

Die 17-jährige Ruby (Emilia Jones) hat es nicht einfach im Leben. Sie singt gern. Nur ihre Eltern und ihr Bruder bekommen leider davon nichts mit, weil sie taub sind. Dazu hat ihre Familie, die von der Fischerei lebt, viele finanzielle Sorgen. Trotzdem gibt Ruby nicht auf und nutzt die Chance, die ihr ein Musiklehrer bietet. Der Film ist toll besetzt, einfach inszeniert und wunderbar erzählt, dass er zurecht den Oscar für den besten Film in diesem Jahr erhielt.

Coda –verfügbar auf Apple TV

 

***

 Vielen Dank für deine Zeit. Ich hoffe, dass ich dich ein wenig ablenken konnte. Wenn du nächsten Monat wieder dabei bist, würde mich das freuen. Bis hoffentlich bald. Ich wünsche dir einen schönen Mai.

 


 

Knuth Kung Shing Stein ist Gründungsmitglied von SoSUE und unterstützt noch weitere Marken als PR Berater und Content Curator. Er selbst beschreibt seine Arbeit als „irgendwas mit Medien“. Der Hamburger würde am liebsten auf einen Berg mit Strand ziehen. Mehr über Knuth erfahrt ihr auf seiner Website Collideor and Scope.

 


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