Die Reifeprüfung

Romy Schneider hätte an diesem Sonntag, den 23. September, ihren 80. Geburtstag gefeiert. Wir verehren diese großartige Frau zutiefst. Ihre Biografie, ihr Schicksal berühren uns noch immer. Sie zählt zu den Persönlichkeiten, die lebendig bleiben, auch weil ihr Werk überragend ist. „Sie war eine Ausnahmeschauspielerin.“ (Michel Piccoli) 

Der folgende Text wurde im April 2018 zum Filmstart von „Drei Tage in Quiberon“ in der ICON veröffentlicht. Ein Arthouse-Film, der drei Tage aus dem Leben Romy Schneiders erzählt. Wir danken der Chefredakteurin Inga Griese für die freundliche Geste, den Text von Stefanie Wilke nochmals veröffentlichen zu dürfen. Eine Hommage an die Schauspielkunst und an ihre Freundin Marie Bäumer.

Die Reifeprüfung

Einige Wochen vor den Dreharbeiten zu „Drei Tage in Quiberon“ war ihr die Aura der Annäherung an eine große Aufgabe deutlich anzumerken. Marie schnitt, gewohnt kraftvoll, rohen Fenchel für das Abendbrot, das grüne Kraut der Knolle verschwand beim Reden kurzerhand in ihrem Mund. Am folgenden Tag waren in Berlin erste Proben wie Masken- und Kameratests arrangiert. „Verdammte Axt!“, sagte sie und lachte, „ich weiß es doch auch noch nicht.“

Was an diesem Abend bei ihr zu Hause in der Provence, in vertraute Leichtigkeit verpackt, unter Freundinnen am Küchentisch besprochen wurde barg so viele Möglichkeiten des Scheiterns. Marie durfte sich in eine Frau Anfang 40 verwandeln, einen Weltstar namens Romy Schneider, die mit 43 Jahren verstorbene Österreicherin – und eine Frau in einem „Dreihundertsechzig-Grad-Sackgassengefühl“. Obendrein eine Ikone, die den deutschsprachigen Kulturbetrieb verlassen hatte, um in ihrer Wahlheimat Frankreich zu leben und zu arbeiten. Da lagen Parallelen wie dicke Kreidestreifen auf der Oberfläche, die galt es aufzulösen. Das Projekt war ein Husarenstück, denn allzu leicht hätte es passieren können, dass es der Karriere von Marie einen Knacks zugefügt hätte. Sowohl die Kritiker als auch die selbst ernannten Hüter des Erbes von Romy Schneider, und erst recht ihre zahlreichen Bewunderer – sie alle hätten beim kleinsten Fauxpas „das konnte ja nicht gutgehen“ geseufzt.

Als Künstlerin muss man die Angst vor dem Scheitern beiseite wischen können. Man muss die Gabe besitzen, vollständig zum Kern einer Idee oder einer Figur vorzudringen, um schließlich darin aufzugehen. Sich der Rolle ausleihen. Loslassen. Dieses verdammte Loslassen. Die Schmerzenskünstlerin Marina Abramovic empfiehlt für das Erreichen dieses Zustands das stundenlange Zählen von Reiskörnern. Der zweifache Oscar-Preisträger Christoph Waltz beschrieb es einmal so: „Nicht auftreten und dann anfangen, sondern anfangen und dann auftreten – ein einfacher alter Trick.“ Philip Seymour Hoffman sagte, wenige Monate vor seinem Tod: „Sich so zu fokussieren, dass die Konzentration und die Emotionen und die Vorstellungskraft zusammenwirken, ist ein bisschen, als ob man in seinem Kopf schwere Lasten eine Treppe hochwuchtet.“ Kurz nach dem Ende der Dreharbeiten in der Bretagne und auf Fehmarn, wo an beiden Orten buchstäblich überwiegend Nebel herrschte, schrieb Marie: „Wenn man einige Monate durch solche Tiefen hindurch geht und es dann ein plötzliches Ende hat, fühlt es sich an, als hätte jemand ein dickes Seil um dich geschlungen, verknotet und gezogen und gezogen. Dein ganzer Körper ist in dauerhafter Spannung und hält dagegen, um nicht umzufallen. Und mit einem Ruck löst sich dieser Zug. Ich dachte, ich falle. Aber nein, ich schwebte. Ich schwebte wie auf einer leichten Wolke meinem kleinen französischen Dorf entgegen, meinen Tieren, der Natur und dem Licht.“

Nach der Frankreich-Premiere von „Drei Tage in Quiberon“ schwärmte ein Kritiker: „Exzellent, man sieht die Arbeit der Schauspielerin.“ Im Februar feierte das Berlinale-Publikum den Festivalbeitrag: die filmische Momentaufnahme, ein Kuraufenthalt der seelisch angeschlagenen Romy Schneider in der Bretagne, bei dem sie den Fotografen Robert Lebeck und den Journalisten Michael Jürgs für ein „Stern“-Interview empfangen hatte. Die legendären Schwarzweiß-Fotografien Lebecks und die Aufzeichnungen von Jürgs dienten als Vorlage für das Arthouse-Projekt. Marie selbst und der französische Produzent Denis Poncet hatten die ursprüngliche Idee dazu entwickelt und holten anschließend die Regisseurin Emily Atef ins Boot.

In einer Schlüsselszene im Hotelzimmer, das besagte Interview soll beginnen, fragt der „Stern“-Reporter Michael Jürgs (Robert Gwisdek): „Wie geht es Ihnen?“ Ihm gegenüber sitzt, leicht abgewandt und rauchend, Romy Schneider (Marie Bäumer). „Wie geht es Ihnen?“, fragt sie und bleibt zunächst eine Antwort schuldig. „Gut“, antwortet Jürgs. „Wo kommen Sie her?“, fragt Romy weiter. Und Jürgs: „Ich wusste nicht, dass Sie ein Interview mit mir führen wollen.“ Sie kommentiert seinen Satz mit einem Lachen, das das Schicksal Romys mit nur einer Handlung in den Raum stellt. Atemberaubend schön und traurig zugleich ist das. Es geschieht nicht viel mehr, nur das bittersüße Lachen und dieser Minimalismus, wie ihr Kinn Richtung Brustbein kippt, Romy lachend den Kopf hängen lässt.

Wie der Körper zu einem Kommunikationsmittel werden kann, davon konnte ich mich in direkter Zusammenarbeit mit Marie überzeugen. Vergangenes Jahr zählte ich zu einer Gruppe Probanden, mit denen Marie ihr neues Konzept des „Atelier Escapade“ (Training für Persönlichkeitsentwicklung) probte. Eine bunt gemixte Truppe aus unterschiedlichen Berufsfeldern, drei Schauspiel-Studenten aus dem Abschluss-Semester waren mit von der Partie. Eine Szene wird mir im Gedächtnis haften bleiben. Einer der drei Absolventen, ein junger Mann, hatte sich bereit erklärt, eine Improvisation zu spielen, und wir durften ihn dabei beobachten. Marie gab ihm folgende Anweisung: „Also, du bist bei dir zu Hause, deine Freundin ist von dir schwanger, aber du liebst seit Kurzem eine Andere. Du rufst jetzt deine schwangere Freundin an und erzählst ihr die Wahrheit.“ Gespannte Stille im Saal. Er stand am Fenster, er sprach, er war nicht überzeugend, nach zwei Anläufen steht Marie auf und korrigiert ganz behutsam, die Kopf- und Nackenstellung des Anrufers, sie flüstert. Er probiert es ein drittes Mal, und nun stockte allen Anwesenden der Atem. Er spielt sich frei und wird später berichten, eine Blockade aufgelöst zu haben – seine Ergriffenheit ist jetzt kein Spiel mehr. „Es ist ganz leicht, wenn der Weg der richtige ist“, sagt Marie. Aufmerksamkeit, Genauigkeit, Timing. Das konnte ich an diesem Tag im „Atelier Escapade“ erleben und auch in der Provence, wo ich Maries Arbeit mit Pferden beobachtete, ihr wesentliches Feld, wenn man von Berufung sprechen möchte. 

Mit „Drei Tage in Quiberon“ legt sie ihre Reifeprüfung ab. Einen Vorboten ihres Vermögens gab es bereits 2003 auf der Berlinale in dem Beziehungsdrama „Der alte Affe Angst“ von Oskar Roehler. Marie wurde dafür mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet. Berlin ist für sie offenbar ein gutes Pflaster für Premieren. 

Vermutlich hätte Denis Poncet, der vor den Dreharbeiten verstarb, zur Feier des Tages einen Sack bretonischer Austern spendiert; Maries guter Freund Roger Willemsen hätte ihr nach der Berlinale einen seiner langen, klugen, amüsanten Briefe geschrieben und sich, unter anderem, über die Jury ausgelassen, die ihr den Bären wieder nicht gegeben hat. Und Romy Schneider? Die beiden Frauen hätten zwei Schachteln Marlboro weg gequalmt und partout nicht über die Arbeit gesprochen.

Wer mehr über das „Atelier Escapade“ erfahren möchte: www.mariebaeumer.com

„Drei Tage in Quiberon“ ist u.a. auf iTunes erhältlich.

 

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